So einen besaß nun auch ich und ich wollte noch gar nicht nachlesen, wie es den anderen ging. Wollte nicht sehen, was mir noch alles passieren könnte, wenn die Meute erst einmal richtig Blut geleckt hatte.
Doch ein Thread fiel mir fast augenblicklich ins Auge: „RIP, wir konnten es nicht verhindern.“ Sofort bildete sich ein Kloß in meiner Kehle, den ich nicht herunterschlucken konnte, egal, wie sehr ich es versuchte. Dennoch konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und klickte darauf. Es waren so viele Beiträge und ich scrollte entlang.
So viele Bilder. So viele Gedenkschreiben, die mir die Tränen in die Augen trieben. Sie alle hofften, dass derjenige oder diejenige jetzt Frieden hatte und glücklich wäre und dass sie sie niemals vergessen würde. Manche von denjenigen, die ihr Bedauern aussprachen, tauchten später selbst als Tote auf.
So viele starben. Nahmen sich selbst das Leben oder wurden umgebracht. Ein eisiger Schauer glitt über meinen Rücken und ich entschloss mich aufzuhören. Ich wollte nicht weitergehen und weiterlesen. Schließlich kannte ich sie doch gar nicht und dennoch gingen mir ihre Schicksale nahe. Ich könnte auch irgendwann dort stehen.
Auch wenn ich nicht vorhatte, mich selbst umzubringen, so konnte ich mir nicht sicher sein, dass man mich nicht doch irgendwann aus Hass töten würde. Alex selbst hatte so etwas auch schon angedeutet. Hatte er dies schon einmal erlebt? Irgendwann einmal?
Ich schüttelte den Kopf und zwang mich etwas anderes zu tun, wodurch ich wahllos durch das Internet surfte. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass meine Gedanken immer wieder zu diesem Abschiedsthread zurückkehrten. Sie waren alle so jung und sie waren alle in irgendeiner Weise auch wie ich…
„Alex?“ Meine Stimme war leise, als ich zögerlich meine Hand nach ihm ausstreckte. Er sprach mit unbekannten Gestalten und schien nicht auf mich zu reagieren. Ich wünschte mir, dass er mich ansah. Noch einmal ein Lächeln schenkte.
„Alex?“ Ich wollte ihn berühren, doch er verschwand, als meine Finger durch seinen Körper glitten. Was passierte hier?
„Du bist widerlich“, hörte ich die Stimme von Robert, „warum hast du mir das gesagt? Hättest du nicht einfach weiter schweigen können? Ich hasse dich!“
Immer wieder drehte ich mich um die eigene Achse, doch alles um mich herum war schwarz. Ich wünschte mir, dass ich ihn sehen und um Verzeihung bitten konnte. Auch wenn ich nicht wusste, was ich ihm eigentlich getan hatte. Was wollte er von mir hören? Ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Oh Gott, wenn ich das könnte, hätte ich es doch schon längst getan.
„Perversling! Du bist so ein Egoist!“, hörte ich weiter seine Anschuldigungen, ohne ihn zu sehen. Wo war er? Warum zeigte er sich nicht? Und wovon sprach er?
„Ich… ich liebe doch niemanden von euch. Ihr seid nicht mein Typ. Glaubt mir doch, ich will nichts von euch“, begehrte ich auf, doch ich hörte nur das höhnische Lachen. Es wurde lauter und kam von überall her.
Warum ließen sie mich nicht in Ruhe? Was hatte ich nur getan? Ich will das nicht mehr. Verdammt ich will es nicht!
„Hört auf!“, schrie ich in die Dunkelheit und hoffte, dass sie mich endlich in Frieden ließen. Ihr Lachen verstummte. Warum wollten sie mich ärgern? Was war ihr wahres Ziel?
„Du hast mit deinem Outing mein Leben zerstört.“ Erneut war dort Robert und jetzt trat er aus der Dunkelheit auf mich zu. Er blieb vor mir stehen und sah mich mit einer Kälte in den Augen an, dass ich mich am Liebsten in irgendein Loch verkrochen hätte.
„Das… das stimmt doch nicht“, begehrte ich auf, wenngleich ich es kaum wagte, ihn anzusehen. Ich wollte diesen Hass nicht visuell aufnehmen. Es reichte schon, dass ich ihn hörte. Bitte, bitte, lass mich gehen.
„Was macht dich da so sicher?“ Seine Stimme war so eiskalt. Ich hasste ihn für das. Nein, das konnte ich nicht. Er war mein bester Freund gewesen. Wir hatten so viel Spaß zusammen. So oft haben wir gelacht. Wieso warf er das weg? Warum?
„Weil ich dir niemals schaden wollte“, erklärte ich mich und schluckte schwer, „du bist mein bester Freund, Robert. Ich… ich sehne mich danach, dass wir wieder zusammen sitzen und einfach über alles reden.“
„Das ist vorbei!“ Roberts Stimme war schneidend und sie ließ mich unbewusst zusammen zucken. Warum war er so grausam zu mir? Ich… ich hatte doch gar nichts getan.
„Warum?“ Die Worte kamen zittrig über meine Lippen und ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, wobei ich es wagte zu ihm hochzusehen. Warum konnte er so grausam sein, obwohl wir beste Freunde gewesen waren? Wieso sah er mich so kalt an? Das war einfach nicht fair.
„Weil du es kaputt gemacht hast“, sprach er ruhig weiter und erneut spürte ich, wie ich zitterte, während ich verzweifelt meine Hände ineinander krallte. Ich konnte seine Worte nicht verstehen. Schließlich hatte ich mit jemanden darüber reden müssen, weil ich sonst das Gefühl gehabt hätte, dass ich irgendwann platzen würde.
„Das… das wollte ich nicht“, widersprach ich erneut und ich wünschte mir, dass meine Stimme nur ein bisschen fester wäre, doch dies war leider nicht der Fall. Sie zitterte und flatterte wie eine Kerze im Wind. Wieso konnte ich nicht einfach mehr Selbstbewusstsein haben?
„Dennoch hast du es getan.“ Wie konnte er so kalt zu mir sein? Hatte er die gemeinsame Zeit denn wirklich schon vergessen? War sie ihm gar nichts mehr wert?
Ich sah ihn an. Mit großen Augen und einem Flehen im Blick, dass dies alles endlich aufhören möge. Wir konnten doch immer noch Freunde sein. Einfach nur Freunde sein. Ich wollte doch nicht mehr. Nur die Zeit zurück, als wir gemeinsam Karten gespielt oder zusammen die Mädchen geärgert haben.
„Das wollte ich nicht. Sag mir, wie kann ich es wieder gut machen?“ Ich würde alles tun. Alles, damit er mich nicht mehr hasste und dieser Albtraum endlich aufhörte. Es sollte einfach nur enden. Ich hatte das Gefühl, dass ich es sonst nicht überstehen würde.
Ein paar Atemzüge vergingen und im nächsten Moment trat er näher an mich heran. Er griff nach meiner Hand und drückte etwas Kaltes in sie hinein, legte meine Finger darum und gab mir nur einen kurzen Befehl: „Töte dich.“
Ich starrte an die Decke. Sie war weiß. Immer noch. So rein und unschuldig. Ich hasste sie, weil sie so war und sie mir auch nicht dabei half, den Traum zu vergessen. Das Gefühl der Klinge in meiner Hand und der Klang des Befehls in meinem Ohr verschwanden einfach nicht.
Ich war mitten in der Nacht aufgewacht und jetzt ging die Sonne langsam auf. Ich konnte nicht schlafen. Wollte nicht mehr, weil ich Angst hatte, dass der Traum weitergehen könnte. Dachte Robert wirklich so? War das sein Wunsch? Wollte er, dass ich starb?
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Nein, ich sollte nicht so darüber denken. Niemals hatte ich wirklich sein Leben zerstört. Das redete er sich nur ein. Sonst nichts.
Erschöpft fuhr ich mir durchs Gesicht, wobei mein Blick zu meinem Handy glitt und ich das kleine Gerät in die Hand nahm, bevor ich dann doch eine Nachricht schrieb:
Hallo, Robert. Mir geht unser gestriges Treffen nicht mehr aus dem Kopf und ich wollte dich fragen, was du damit meinst, dass ich dein Leben zerstört hätte. Bitte, antworte mir. Felix
Noch einmal überlegte ich kurz, bevor ich dann auf Senden drückte. Wahrscheinlich würde ich nur eine Hassantwort zurückbekommen, doch es war mir egal. Ich wollte, dass er wusste, dass es mir nicht egal war, wenn es ihm schlecht ging.
Klar, ich sollte mich freuen. Schließlich versuchte er doch selbst, mein Leben zu zerstören. Aber das war lächerlich. Dadurch wäre ich keinen Deut besser als er. Und ich wollte nicht so sein wie er. Hier ging es um Ehre und sonst nichts anderes.
Es war zu früh, um auf irgendeine Antwort zu hoffen, wodurch ich mich einfach dazu entschloss duschen zu gehen. Heute war Wochenende, wodurch ich nicht einmal in die Schule musste und meine Eltern wohl auch noch schliefen.
Kurz überlegte