Höllenteufel. Andre Rober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Rober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176665
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auf ihn, sondern auf die Uhr, die ihr gegenüber neben der Stahl­tür an der Wand hing. Was sie sah, löste keine er­kenn­­bare Reaktion aus: keine Langeweile, keine Ungeduld, keine Verärgerung. Wahrscheinlich schaute sie nur auf die Uhr, weil es Menschen, die auf etwas warten, einfach tun – und fragte man sie nach der Zeit, sie wüssten die Antwort nicht…

       Hinter den Bullaugen veränderte sich das Licht ein wenig und kurz darauf öffnete sich ein Türflügel nach innen. In der Öffnung erschien ein Mann, vielleicht Anfang sechzig, unter­setzt. Sein langer weißer Kittel war schmuddelig, die Finger, die an der Tür zu sehen waren, ungepflegt. Um seinen Hals baumelte eine OP-Maske und die dicken Gläser seiner Weit­sichtbrille vermochten nicht, seinen glasigen Blick zu ver­schleiern. Ebenso wie die rote Nase und das aufgedun­sene Gesicht gab er davon Zeugnis, dass auch am heutigen Vor­mittag schon zu viel Vodka die Kehle des Rechts­medi­ziners benetzt hatte.

      „модойдите сюда“, grunzte er kaum verständlich und ohne Begrüßung. Kommen Sie.

      Er trat einen Schritt zur Seite.

      Zögerlich erhob sich die junge Frau, sah unsicher zu dem Uniformierten und trat, nachdem dieser genickt und mit der Hand Richtung Tür gewiesen hatte, in den Raum. Der junge Mann blieb dicht bei ihr. Schüchtern sah sie sich um, wäh­rend sie dem Arzt zu einer Wand aus Kühl­fäch­ern folgte, de­ren Stahltüren ebenso abgenutzt und über­al­tert aussahen, wie die am Eingang. Sie fröstelte augen­schein­­lich, schob die gestrickten Pulswärmer bis über die Hand­fläche, stellte den Kragen ihres Mantels auf und zog den Schal etwas enger. Wie­der suchte sie Augenkontakt zu dem Beamten, der ihren Blick unbeholfen erwiderte und sich dann dem Kühlfach zu­wandte, an dem sich der bekittelte Mann zu schaf­fen mach­te. Die Tür schwang auf und eine Bahre wurde sichtbar. Ein La­ken, weiß und sauber, deckte den mensch­lichen Kör­per ab, der auf der metallenen Schublade lag. Der Pathologe zog sie heraus, bis etwa die Hälfte davon in den Raum ragte. Ohne Ankündigung, ohne vorbereitende Worte und ohne die Fra­ge, ob sie denn bereit sei, schlug er das Lei­nentuch zu­rück, so dass Kopf und Schul­tern einer jun­gen Frau zum Vorschein kamen. Der Tod war gnädig mit ihr ge­we­sen. Die an Alabas­ter erinnernde Haut war un­versehrt, die Augen und Lippen waren geschlossen. Sie strahl­te eine para­doxe Friedlichkeit aus, fast, als würde sie schlafen. Der Poli­zist konnte sich dem zarten Antlitz der To­ten ebenso nicht ent­ziehen wie zuvor auf dem Gang dem Anblick seines Schütz­lings. Trotz der schulterlangen, rot­gefärbten Haare der Verstorbenen war die ver­wandt­schaft­liche Bezie­h­ung zu seiner Begleiterin leicht zu erkennen. In­nerlich sank er ein wenig zusammen. Wie musste sie sich füh­len? Er sah hin­über und bemerkte, dass sie vor sich auf den Boden starr­te – sie hatte es noch nicht fertiggebracht, den Leichnam an­zu­sehen. Und wie sie da­stand, noch hilfloser und angreif­barer als zuvor, hätte er ihr die Notwendigkeit am liebsten erspart, auch wenn er wusste, dass dies nicht mög­lich war. Doch bevor er sich mit trösten­den Worten an die Frau wen­den konnte, raunte der ungedul­dig wirkende Arzt ein bar­sches „это ее?Ist sie es?

      Die Frau blickte auf und sofort zeigte sich der Schmerz auf ihrem Gesicht. Es dauerte eine Zeit, bis sie schweigend nickte und sich, bevor einer der beiden Männer es hätten ver­hin­dern können, nach vorne beugte und der Toten einen Kuss auf die Stirn gab. Dann wandte sie sich dem Polizisten zu, den die feste, fast entschlossene Stimme überraschte, als sie ihn bat, ihr genau zu erzählen, was passiert sei.

      Kapitel III

       Heute, 14 Jahre später

      „Ich habe doch gleich gesagt, dass es keine gute Idee ist, zu diesem Treffen zu gehen!“ Holger Wohlfahrt sah seine Frau Iris nicht an, der vorwurfsvolle Ton erübrigte eine Verstär­kung durch einen scharfen Blick. Außerdem konnte er trotz des Ärgers, den er verspürte, den Anblick ihres ver­heulten Gesichts nicht gut ertragen, immerhin war sie es, die es in die­ser Situation am schwersten hatte, das musste er ohne Abstriche eingestehen. Aber warum Iris im Vorfeld geglaubt hatte, dass es bei diesem – dem x-ten – Versuch besser laufen sollte als die Male zuvor, konnte Holger sich nicht erklären. Ein harmonisches Zusammen­treffen mit ihrer Schwester und deren Mann hatte sie sich trotz der nieder­schmetternden Er­fahrungen gewünscht. Er hatte sich gleich gefragt, warum es auf einmal anders sein könnte. Warum Patrick sie diesmal nicht von oben herab behandeln sollte, sich nicht über seine Tätigkeit als Sachbearbeiter in dem Lo­gistikunternehmen lus­­tig machen und nicht das halbe Deputat von Iris an der Grund­schule kleinreden? Nicht über die faszinie­ren­den Rei­sen prahlen würde oder ihn nicht gönner­haft zu einer Probe­fahrt in seinem neuen Ferrari oder McLaren einzu­laden, da­mit Holger auch einmal im Leben dieses Gefühl haben konn­te? Er hatte Iris diese Frage gestellt, aber in ihr schien der Wunsch, von ihrer Schwester ein wenig Beachtung, Zunei­gung, vielleicht gar Anerkennung zu erhal­ten, so be­stim­mend zu sein, dass sie seine Bedenken ausge­blendet und das Tref­fen organisiert hatte. Im Waldesruh, jenem sündhaft teu­ren Schlosshotel weit abseits gelegen in einem engen Schwarz­waldtal, in dem sie sich jetzt bei wildem Schnee­treiben durch die immer höher werdenden Verweh­ungen in Richtung Frei­burg kämpften.

      „Wir nehmen bei diesem Wetter selbstverständlich ein Zim­mer“, hatte Patrick spontan entschieden, obwohl es in Hol­gers Augen nichts gab, was den Mercedes G 4x42 seines Schwa­­gers hätte aufhalten oder in Gefahr bringen können. Doch sie mussten zurück nach Freiburg: Der Gutschein, den Iris von ihren Kolleginnen zum Geburtstag bekommen hatte, deckte nicht einmal die Hälfte der Kosten für das Abend­essen ab. Und so fanden sie sich, frustriert, genervt, er­nied­rigt und in Sorge um eine sichere Heimkehr in ihrem 2001er Renault Clio und schwiegen sich seit Holgers Fest­stellung gegenseitig an.

      Die Bedingungen verschlechterten sich zu­sehends. Die Ne­belscheinwerfer halfen wenig dabei, die Straße unter der Schnee­­decke auszumachen, und wären nicht die schwarz-ro­ten Stangen am Fahrbahnrand gewesen, hätte man sich nicht sicher sein können, noch Asphalt unter den Rädern zu ha­ben. Wenn es so weiterging, würden sie bald nicht mehr vor­wärts­kommen. Schon jetzt schob der Clio mit seiner Front­schürze Schnee auf, der dann und wann von Windböen über die Motorhaube und die Windschutzscheibe geblasen wur­de. Nach und nach wurden Holgers Gedanken an den desas­trösen Abend verdrängt von Plänen und Szenarien, wie Iris und er die Nacht in dem Auto verbringen könnten, sollten sie tatsächlich nicht mehr weiterkommen. Er sinnierte über die Risiken und Chancen, die Temperatur im Wagen­inneren bei laufendem Motor aufrechterhalten zu können und ver­suchte einzuschätzen, wie lange der Tankinhalt im Leerlauf die lebenserhaltende Wärme wohl bereitstellen konnte.

      „Vorsicht!“

      Erschrocken trat Holger auf die Bremse und riss das Steuer herum, um der Gestalt auszuweichen, die wie ein Geist aus dem Dunkel vor dem Renault aufgetaucht war! Im Augen­winkel erkannte er in Sekundenbruchteilen ein zierliches Mäd­chen mit lan­gen, roten Haaren, die in ihrem weißen Nacht­hemd über der Straße zu schweben schien, dann schleu­derte der Wagen um die eigene Achse und das Bild verlor sich Schneegestöber. Doch als das Auto nach zwei kompletten Drehun­gen mit dem Heck in einen Schnee­berg prallte und entgegen der ursprünglichen Fahrtrichtung wie­der zum Stehen kam, erfassten die Scheinwerfer die groteske Erscheinung wieder! Etwa zehn Meter vor ihnen stand das Mädchen, fast noch ein Kind. Erst jetzt nahm Holger Details der Szenerie war: Das weiße Nachthemd schien an Bauch und Brust blut­durch­tränkt zu sein! Die Arme und Beine, die nackt aus dem dün­nen Stoff ragten, waren blau vor Kälte und das furchteinflößende Mes­ser, das das Mädchen in der Hand hielt, war ebenfalls blut­verschmiert! Doch das bei weitem Schlimm­ste war der ausdrucks­lose, irre anmutende Blick, mit dem die Unbekannte ins Wagenin­nere starrte. Erst als die Gestalt mit zombieähnlichen Bewegun­gen auf sie zu­wankte, hörte Holger die verzwei­felten Schreie seiner Frau auf dem Beifahrersitz.

      Als das Klingeln ihres Mobiltelefons Sarah Hansen aus der