Was Menschlich Ist. Sebastian Kalkuhl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Kalkuhl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754921586
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er sich, es würde damit aufhören.

      Zeit, sich wieder auszuruhen. Chris landete auf einer verlassenen Weide am Rand eines Waldes und glaubte erst, die Stelle zu kennen, doch die Landschaften sahen sich hier einfach nur zum Verwechseln ähnlich. Er schaute sich mehrfach um, entdeckte weder Mensch noch Tier noch irgendetwas Bemerkenswertes außer einer baufälligen Scheune, zog seinen Mantel aus und legte ihn auf den Boden, um nicht direkt im nassen Gras sitzen zu müssen. Der Stoff weichte zwar auch nach ein paar Minuten durch, aber es war besser als gar nichts.

      Chris hatte gerade genug Zeit zum Durchatmen gehabt, als ihm schlecht wurde. Die Übelkeit kroch in seinen Magen wie eine sich verdichtende Ahnung, dass etwas nicht stimmte, doch weder auf der Wiese, noch in der Scheune oder im Gebüsch konnte er etwas erkennen. Er sollte hier alleine sein, das alles in ihm beharrte darauf, sofort von hier zu flüchten.

      ›Als ich das das letzte Mal gespürt habe, ist meine Welt zusammengebrochen. Heißt das, sie haben mich endlich gefunden?‹

      Es wurde immer stiller, bis Chris sich nicht mehr traute zu atmen, aus Angst sich dadurch zu verraten. Gleichzeitig schaute er sich immer hektischer um, irgendetwas musste er übersehen haben. Erst nach mehreren Minuten erkannte er seinen Fehler.

      Im aufziehenden Nebel über ihm schwebte der falsche Engel und beobachtete ihn aus blutig roten Augen. Chris kam so schnell er konnte auf die Beine, griff sich seinen Mantel und stolperte im rutschigen Gras schon nach wenigen Schritten über seine eigenen Füße. Während er fiel, erkannte er den Engel als Schatten über sich, der ihn Sekunden später zu Boden presste. Chris atmete aus und ergab sich seinem Schicksal.

      Nichts passierte. Eine bedrückende Stille legte sich über das Gras, der Druck auf seinem Rücken ließ abrupt nach. Hektisch kroch Chris auf dem Bauch nach vorn, setzte sich auf und wandte sich zum. Zuerst sah er ein mehr oder weniger bekanntes Paar Stiefel vor sich, dann einen langen schwarzen Mantel. Schließlich ein blasses Gesicht wie aus Marmor gemeißelt, Augen wie grob geschliffene Rubine, staubig blondes Haar, hastig in Form gebracht. Zwei längere Strähnen reichten ihm etwa bis ans Kinn.

      Chris war in den letzten Tagen so sehr mit Überleben beschäftigt gewesen, dass er nicht einmal daran gedacht hatte, er könnte seinen Entführer wiedersehen. Jetzt hatte er so viel gleichzeitig zu sagen, dass ihm am Ende die Worte fehlten. »Du? Wirklich?«

      Dorian blieb still – Janne hatte wohl recht gehabt, und er redete wirklich nicht gern. Wie versteinert stand er im Gras und schaute abwechselnd in den Himmel und direkt an Chris vorbei.

      »Will Luzifer mich lebendig oder tot?«

      »Was bist du?«

      Spätestens das verwirrte Chris zu sehr, als dass er noch wütend werden könnte. Kopfschüttelnd stand er auf, strich sich das nasse Gras von Mantel und Hose. Sein Gegenüber reagierte nicht darauf. »Ich bin ein Mensch. Ich bin derselbe, den du mitgenommen hast.« Zumindest wollte er das glauben.

      Dorian nickte langsam und murmelte etwas, das sich wie »Ich habe nichts gesehen« anhörte.

      ›Er ist mir in den Rücken gefallen‹, dachte Chris. ›Hätte er mich töten wollen, stände ich längst nicht mehr hier. Aber was will er dann von mir?‹

      »Wenn du menschlich bist«, sagte Dorian langsam, »warum hast du dann Flügel?«

      »Ich dachte, du könntest mir das sagen«, erwiderte Chris missmutig. Dann setzte sich das Bild langsam zusammen. »Warte. Du weißt auch nichts außer dem, was er dir erzählt hat, oder?«

      »Ich weiß, was ich wissen muss.«

      »Wie viel ist das wirklich?«

      Das Schweigen danach verriet mehr als genug. Nicht, dass sich Chris irgendwelche Antworten erhofft hatte, aber das hier frustrierte ihn trotzdem über alle Maßen. »Was hat Luzifer dir gesagt, wer du bist?«

      »Ich bin gefallen«, antwortete Dorian, doch er sprach langsam, brachte die Worte hörbar mühsam heraus. »Luzifer hat mich gerettet, nachdem meine Seele in den Höllenflüssen feststeckte. Ich schulde ihm mein Leben. Ich schulde ihm alles, was ich habe.«

      ›Er hat es jedem gesagt.‹ Immerhin hatte Chris jetzt die Bestätigung. »Okay, hör zu, ich weiß nicht, wie ich dir das besser beibringen soll, aber nichts davon stimmt.«

      »Du erzählst ja wirklich die Scheiße, vor der man uns gewarnt hat.«

      Chris drehte sich langsam um – hinter ihm stand ein weiterer Engel mit ausgebreiteten, schwarzen Flügeln. Er war dürr, etwas größer als Dorian und hatte bemerkenswerte Augenringe. Seine mausbraunen Haare standen offensichtlich verknotet in alle Richtungen ab und sahen insgesamt aus wie ein nicht ganz gewollter Unfall. Er trug das selbstgefälligste Grinsen im Gesicht, das Chris je gesehen hatte.

      Er schluckte. »Dorian, wie viele Leute suchen gerade nach mir?«

      Der fremde Engel zuckte mit den Schultern. »Alle. Und wenn Dorian Luzifer deinen Kopf nicht bringen will, dann übernehm ich das liebend gerne.«

      »Er gehört mir, Adrian.«

      »Du hattest ja wohl genug Gelegenheit, um ihn mitzunehmen und-«

      »Ich sagte, er gehört mir!«

      Im nächsten Moment schoss ein Schatten direkt an Chris vorbei auf den Engel zu und die beiden verschwanden aus seinem Sichtfeld. Danach rührte sich auf der Wiese kein Grashalm mehr und es wurde still, als hätte jemand die gesamte Welt lautlos gestellt.

      »Ob ihr mich verarschen wollt«, murmelte Chris und fasste sich an die Stirn.

      12

      Chris

      10. November

      Erde

      Sekunden später schlug Chris eine höllische Hitze ins Gesicht, und wider Erwarten ging er nicht in Flammen auf. Es brauchte einige Sekunden und mehrere Schreie von irgendwo über ihm, bis er einigermaßen verstand, was passiert sein musste: Dorian hatte Adrian abgefangen, von Chris weggezerrt und sie beide in die Luft befördert, wo sie nun aufeinander losgingen. Adrian schrie Dorian währenddessen eine nicht enden wollende Schimpftirade entgegen, bei der sich Chris schon nach wenigen Worten die Ohren auswaschen wollte.

      Mit zitternden Knien sank er zurück ins Gras, als ihn eine erneute Schockwelle erfasste, und schaute dem Geschehen kopfschüttelnd weiter zu. Jedes Mal, wenn sich Adrian dem Boden näherte, stieß Dorian ihn zurück in die Luft und weiter von Chris weg.

      ›Er verteidigt mich‹, dachte er langsam. ›Erst entführt er mich und jetzt rettet er mir vielleicht das Leben. Was ist los mit ihm?‹

      Adrian wich Dorian aus und schlug ihm danach so heftig in den Bauch, dass die Luft um ihn herum bebte. Dorian taumelte und fiel mehrere Meter tief, bevor er sein Gleichgewicht wiederfand, während Adrian sich umwandte und Chris grinsend ins Gesicht sah.

      Chris überlegte kurz, sich einfach zu ergeben, aber am Ende überwiegte sein Überlebensinstinkt. Er kam auf die Beine, stieg mit einem Flügelschlag in die Luft und sah Adrian unter sich ins Leere schlagen. Eine Stichflamme loderte Sekunden später an der Stelle auf, an der er gerade noch gesessen hatte.

      Dorian kam ihm entgegen. Es sah wie ein Angriff aus, bis er im letzten Moment bremste und eine Handbreit vor Chris zum Stehen kam. »Weg von hier!«

      ›Guter Witz.‹ »Wohin denn?«

      Darauf wusste er offenkundig keine Antwort. Zeit zum diskutieren hatten sie allerdings ohnehin nicht, denn Adrian schoss auf sie beide zu. Dorian streckte einen Arm aus und kurz darauf wurde Chris von einer unsichtbaren Macht mehrere Meter rückwärts gestoßen. Er verlor das Gleichgewicht, stürzte nach unten und konnte sich gerade genug bremsen, um sich beim Aufprall nicht alle Knochen zu brechen. Kurz flackerten schwarze Punkte vor seinen Augen.

      In der Luft schlugen die Angriffe der beiden Engel unterdessen Wellen im Nebel. Dorian tauchte unter Adrian hindurch und auf dessen Rückseite