Was Menschlich Ist. Sebastian Kalkuhl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Kalkuhl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754921586
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ist das«, antwortete Metatron. Niemand setzte sich gerne mit Dämonen auseinander.

      »Ehrlich gesagt macht mir der Mensch ansonsten am meisten Kopfschmerzen. Es kann sein, dass er Luzifer doch befreit, wenn er noch mal einen Engel töten kann. Aber selbst wenn nicht, wer weiß, was noch alles anders bei ihm ist.«

      Da lag das eigentliche Problem. Bislang hatten sie Luzifers Diener machen lassen, weil sie sich vorhersehbar verhielten und sich der Schaden in relativen Grenzen hielt. Sie der Reihe nach zu töten wäre ein größeres Risiko, als hin und wieder einen Menschen zu verlieren. Metatron hasste diese Denkweise, aber im Großen und Ganzen war sie richtig und zudem von Gott abgesegnet worden. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sie zu vertreten.

      »Vielleicht hat Luzifer ihn mittlerweile umgebracht.« Michael warf einen Blick auf den Aktenstapel neben sich und seufzte tief, als legte er im Geiste noch einmal einen halben Meter obendrauf. »Ich kann trotzdem Attentäter bereithalten und ihn töten lassen, wenn er noch mal auf der Erde auftaucht.«

      »Ist das nötig?«

      »Es würde die Zweifel aus dem Weg schaffen.«

      Metatron schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«

      Michael machte ein Gesicht, als hätte er einiges dazu zu sagen. Metatron war sich bewusst, dass ihm die Entscheidung nicht gefiel und der Mehrheit der Erzengel wahrscheinlich auch nicht, aber solange er sie begründen konnte, blieb er dabei.

      »Vielleicht ist er wirklich harmloser als die anderen«, sagte er. »Dann kann er auch am Leben bleiben. Und Luzifer wird jetzt erst recht alles daran setzen, noch einen Engel zu fassen zu bekommen, da können wir ihm sein Ziel nicht auch noch auf dem Silbertablett präsentieren«

      »Soll er kommen«, murmelte Michael. Metatron glaubte nicht, dass er das hatte hören sollen. »Wie du meinst, wir warten und beobachten. Aber sobald er zu sehr aus der Reihe fällt, töten wir ihn.«

      ›Noch eins von diesen notwendigen Opfern‹, dachte Metatron und erinnerte sich, wie Michael ihm das als Kind beigebracht hatte.

      »Bekommt ihr das alleine hin?«, fragte er, der Höflichkeit halber. Länger als nötig wollte er eigentlich nicht bleiben.

      »Wir haben jetzt unsere Anweisungen, wir kommen zurecht«, antwortete Michael. »Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, so plötzlich wie das kam.«

      »Ist schon in Ordnung.« Metatron zwang sich zu einem Lächeln, das der gesamte Himmel für ehrlich hielt. Aber der gesamte Himmel ging auch zu Recht davon aus, dass er nicht mehr lügen konnte. »Bleibst du noch lange hier?«

      »Ich will wenigstens ein bisschen schaffen«, erwiderte Michael und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Kann die Leute ja nicht ewig warten lassen, wenn sie sich schon an mich gewandt haben.«

      »Brauchst du später Hilfe?«

      Metatron wusste, dass Michael die Frage hasste. Von ihm ließ er sie sich aber immerhin gefallen und er wusste, dass er sie stellen durfte.

      »Jophiel holt mich heute Nacht ab«, antwortete der Heerführer. »Er bringt mich runter nach Hause und sieht zu, dass ich mir nichts tue. Niemand muss sich Sorgen machen.«

      Sein zynischer Tonfall tat weh, auch wenn er längst nichts Neues mehr war. Wieder verdrängte Metatron eine Entschuldigung. Sie konnte noch so ehrlich sein, gerade nützte sie nichts.

      »Gut«, sagte er stattdessen. »Sobald ich kann, komme ich noch einmal zu euch. Ich weiß, Gabriel will, dass ich mich beeile, aber…«

      »Es geht nicht anders.« Michael legte eine Hand auf Metatrons Unterarm – er fuhr zusammen, ließ es aber geschehen und konnte sich mit Mühe überzeugen, dass ihm niemand etwas tun würde. Gottes Stellvertreter sollte unberührbar sein. Volksnah und doch nicht zu erreichen. »Entgegen allgemeiner Behauptungen können die Erzengel warten. Wenn du es nicht schaffst, dann schaffst du es eben nicht. Wir sind nicht deine einzige Aufgabe.«

      Metatron nickte. Auf dem Rückweg würde er versuchen, sich das einzureden und wie immer erfolgreich daran scheitern. Es sprach für Michaels Optimismus, dass er es trotzdem immer wieder wiederholte.

      »Und pass auf dich auf, ja?«

      »Du auch.«

      Da war es wieder, das schiefe Grinsen. »Immer doch.«

      Irgendwann hielt sich vielleicht einer von ihnen daran.

      9

      Metatron

      1138 Jahre vorher

      Himmel

      Das Ziehen in Metatrons Verstand verriet ihm nur, dass Gott ihn sprechen wollte. Über was genau, blieb wie immer ein Rätsel. Er machte sich mittlerweile nicht mehr allzu viel aus dieser Tatsache, sondern vertraute darauf, das Wichtigste früh genug gesagt zu bekommen. Fragen beantwortete Gott ohnehin nur in den seltensten Fällen.

      Sandalphon grummelte da schon offener vor sich hin. Sein Zwillingsbruder hasste Ungewissheit und die damit einhergehende Tatsache, sich nicht vernünftig vorbereiten zu können. »Was meinst du, was er will?«, fragte er entsprechend nicht zum ersten Mal, während er sich den langen, weißen Mantel überstreifte. Seiner war mit weinrotem Samt bestickt, Metatrons mit hellblauem. Wäre die Kleidung nicht, könnte sie der ganze Himmel nicht voneinander unterscheiden, weil sie zu sehr wie exakte Kopien voneinander aussahen. Zwei Seiten von einer Person – unter den Seraphim gab es die Vermutung, dass Gott sie ursprünglich als einen einzigen Engel konzipiert hatte.

      Metatron war wie gewohnt viel zu früh aufgestanden, saß schon fertig auf seinem Bett und fragte sich nun, warum er nicht einfach länger geschlafen hatte. »Ich weiß es nicht«, antwortete er und gab sich Mühe, nicht allzu nervös zu klingen.

      Sandalphon gab ein unzufriedenes Geräusch von sich, während er sich die goldblonden Haare im Nacken zusammenband, sodass sie die Wunden auf seinem Rücken nicht berührten, die unter den Aussparungen seiner Kleider zum Vorschein kamen. Sechs, für jeden Flügel einen. Die meisten Engel besaßen zwei, wenige hochrangige vier und allein die Seraphim sechs als Zeichen ihrer Macht.

      »Wir werden es herausfinden«, sagte Sandalphon schließlich, strich sich noch einmal den Mantel glatt und begutachtete sich im Spiegel. Wie immer sah er hochzufrieden mit sich aus und gleichzeitig so, als störte ihn etwas Grundlegendes an sich selbst. Letzteres kannte Metatron nur zu gut.

      Er stand vom Bett auf und streckte sich, als müssten sich seine Gliedmaßen erst wieder an den richtigen Platz sortieren. »Wollen wir?«

      Sandalphon nickte einfach nur, ging an Metatron vorbei und aus ihrer gemeinsamen Wohnung hinaus in den Garten Eden.

      Eingezäunt an der Spitze des Himmels lag die größte seiner raren Grünflächen. Laut den anderen Seraphim widersetzte sich der Garten allerdings seit jeher allen Kartierungsversuchen – er war ein lebendiges Wesen, das selbst entschied, was wo wuchs, und wer sich wie schnell verirrte, sobald er vom Weg abkam. Irgendwo befanden sich die Quellen der beiden Hauptflüsse, die den Himmel mit Wasser versorgten, aber Metatron hatte sie noch nie mit eigenen Augen gesehen.

      Wenn sie nicht im restlichen Himmel unterwegs waren, lebten und arbeiteten die fünf Seraphim hier. Der Garten diente ihnen als geschützter Raum, in dem sie tun und lassen konnten, was sie wollten, ohne sich Gedanken um ihr Auftreten oder Sorgen um mögliche Angriffe machen zu müssen. Mit ihnen residierte Gott hier, in einem schlichten, steinernen runden Turm, um den fünf Wohnungen herum errichtet worden waren. Es lag in der Natur der Sache, dass man sich hier konstant beobachtet vorkam, was das Konzept der Ungestörtheit zumindest für Metatron direkt wieder zunichte machte.

      Keine erkennbare Lichtquelle schien am Himmel, aber dennoch wurde es niemals dunkel. Hier, und nur hier, wehte ab und an eine leichte Brise und raschelte leise auf ihrem Weg durch die unzähligen Baumkronen im Hintergrund. Manchmal bereute es Metatron, sich an dem Anblick sattgesehen zu haben.

      Der weiße Kies knirschte