Heilige und Gesegnete. Aurelia Dukay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia Dukay
Издательство: Bookwire
Серия: Commissario Caterina Calanca
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754174968
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Schurken ehrbare Männer macht. Er nutzt schamlos die Sittenlosigkeit aus, um seine Macht damit zu nähren. Aber muss ich das hinnehmen? Muss ich hinnehmen, dass Arbeitslosigkeit, leere Stadtkassen uns von Rom abhängig machen wie einen Fixer von seinem Dealer, um mit der rettenden Finanzspritze das marode System wiederzubeleben? Die Trägheit der Menschen hier macht das alles möglich, sie nehmen diesen Zustand mit Nonchalance hin, anstatt eine Revolution anzuzetteln. Ja Sie haben richtig gehört, eine Revolution bräuchte man hier!“ Caterina machte ein interessiertes Gesicht, denn sie verstand nur Bahnhof.

      „Mit Verlaub, Dottore Bernardi, ich bewundere ihren Elan. Und bei allem Respekt für Ihre Arbeit, aber ich habe keine Zeit, mich mit Machtspielchen abzugeben. Da draußen laufen Verbrecher herum. Jeder von uns sollte seine Kämpfe austragen und nicht dem anderen in die Quere kommen. Also, wenn ich nur ein Wort, egal ob wahr oder erfunden, von einem vermeintlichen Brief der Emma Bellacqua irgendwo abgedruckt sehe, dann verklage ich Sie.“

      Er schüttelte ungläubig den Kopf.

      „Dieser Stadt sollten Sie etwas gewandter begegnen, wie eine Katze eben, die sich geschmeidig durch die Zwischenräume windet, anstatt auf Konfrontationskurs zu gehen.“

      „Auf Wiedersehen, Dottore Bernardi, ich werde Sie mit Eifer lesen.“ Lächelnd stand Caterina auf und gab dem Chefredakteur die Hand.

      „Ach, übrigens, Commissario, hübsches Kleid.“

      „Danke. Aus dem großzügigen Rom.“

      Auf der Rückfahrt zum Kommissariat machte Caterina einen Umweg über das Hafenviertel. Eine innere Unruhe machte sich in ihr breit und ihre Gedanken kreisten wie wilde Fliegen um eine tote Maus. Was zum Teufel war hier los? Wieso löst dieser Selbstmord einen solchen Wirbel aus?

      Ja, die Tote war jung und bildschön gewesen, aber als Journalistin viel zu unbedeutend, als dass man sich die Mühe machen würde einen Selbstmord vorzutäuschen, um sie aus dem Weg zu schaffen. Eine Mafiajägerin war sie wahrhaftig nicht.

      Und warum würde eine renommierte Tageszeitung wie die La Piazza eine Ente platzieren, um jemanden zu piesacken? Das kann nicht irgendjemand sein? Caterina kam das alles suspekt vor.

      Aus dem Fahrerfenster blickend sah sie die Stege, an denen die Frachtschiffe und Fähren anlegten. Am letzten Kai ragte ein enormes Kreuzfahrtschiff empor, das Touristenhorden ein- und wieder auslud. Man merkte es immer, wenn eines dieser Schiffe in der Stadt angelegt hatte, weil die Märkte dann voller kauffreudiger Bummler war.

      Moment! Der Markt! Caterina zuckte zusammen, spulte blitzartig ihre Erinnerung zurück, erst schnell, dann immer langsamer wie ein Filmband, bis sie an der entscheidenden Stelle anhielt. Ihr Wagen stoppte am Straßenrand.

      Sie stand jetzt wieder am Markt und starrte gedankenverloren auf die Szene, die sich vor ihrem inneren Auge abspielte.

      Kurz nachdem der Selbstmord in der Online-Presse erschien, tauchte ein Politiker auf dem Markt in der Nähe des Tatorts auf. Wäre Caterina nicht so brüsk hingeflogen, dann hätte sie dem mehr Bedeutung beigemessen.

      Dann wäre ihr am nächsten Morgen im Café Nettuno das zufällige Treffen mit dem aalglatten Strafverteidiger nicht mehr als Zufall vorgekommen.

      Und was hatte der Markthändler Pierino gemeint, als er zur dicken Frau gesagt hatte: „Ob ihr Vater wusste, dass sie so eine war?“ Vielleicht war sie eine Edelprostituierte gewesen, die zu viel wusste und erpresst wurde? Oh, Emma Bellacqua, in was bist du da reingeraten?!

      Ein lautes, intensives Hupen ließ Caterina aufschrecken.

      „Ja, ja, entspann dich, ich fahre ja“, fauchte sie.

      Es war bereits später Nachmittag, als Cinzia ins Büro kam. Ihr Gesicht war mit roten Flecken übersät, als hätte sie einen allergischen Ausschlag.

      „Commissario, Dottore Rossi würde Sie gerne sprechen“, sagte sie mit bebender Stimme.

      “Bitte, er soll hereinkommen!”

      Leitender Ermittler der Finanzpolizei Tenente Colonello Marco Rossi, genannt „der Schöne“, war eine lokale Berühmtheit. Die abenteuerlichsten Gerüchte kursierten über ihn, er habe Frauen in den Wahnsinn getrieben, mehr als nur eine Ehe zerstört, im Bett sei er ein Gott und von selbigen mit generösen Attributen gesegnet. Keine könne ihm widerstehen und er würde keine von der Bettkante stoßen, insofern sie seinen Ansprüchen genüge.

      Caterina ließ dieser Klatsch – ob er nun stimmte oder nicht - völlig kalt. Es bedurfte mehr als einen testosterongeladenen Stier, um sie in Erregung zu versetzen.

      Sich ihrer Immunität gegenüber Rossis Reizen sicher, erlaubte sie sich ihm gegenüber eine distanzierte Freundlichkeit.

      „Guten Abend, Tenente Colonello, bitte nehmen Sie Platz.“

      Cinzia stand wie versteinert an der Tür, in der Hoffnung, die Trennung von ihrem Schwarm noch hinauszögern zu können, fügte sich aber dann widerwillig den Anweisungen Caterinas, die Tür hinter sich zu schließen.

      „Auf Wiedersehen, Tenente“, säuselte Cinzia, und er antwortete mit einem Augenzwinkern. Marco Rossi kannte seine Wirkung auf Frauen nur zu gut, und scheute sich nicht, sie einzusetzen. Sanft strich er über das kurze samtige Haar, begrüßte die Kommissarin mit einem festen Händedruck, ein breites Lächeln entfaltete seine ganze Attraktivität, verfing sich in den braunen Augen, den ebenmäßigen Gesichtszügen, den vollen, sinnlichen Lippen, hinter denen weiße Zähnen aufblitzten. Ein dezenter Duft von Nelken entwich seiner bernsteinfarbenen Haut. Der stattliche, in einer khakibraunen Uniform gekleidete Mann stand in voller Pracht vor der völlig unbeeindruckten Caterina.

      „Guten Abend, Commissario. Wie schön, Sie wiederzusehen“, heuchelte er, denn die beiden waren sich von Beginn an unsympathisch.

      „Was kann ich für Sie tun, mein lieber Tenente Colonello?“

      „Werte Commissario, es geht um den Fall, an dem Sie gerade arbeiten.“

      „Den Selbstmord?“

      „Ja.“

      „Fall ist übertrieben, die Sache ist abgeschlossen.“

      „Und wenn ich Sie bitten würde, Ihre, wie soll ich sie nennen, Ermahnung an Dottore Bernardi zurückzunehmen und den Abschlussbericht vielleicht noch einen Weile hinauszuzögern? Anstiftung zum Selbstmord ist strafbar laut Artikel 580 des codice penale.“

      „Ich kenne das Strafgesetzbuch.“

      Caterina wurde skeptisch.

      „Was hat die Finanzpolizei mit einem Selbstmord zu tun?“

      „Nun, mit Ihrem Besuch bei La Piazza haben Sie sich in meinen Fall eingemischt, was Sie natürlich nicht wissen konnten.“

      Mit den Fingerkuppen strich er sich zaghaft über das glattrasierte Kinn.

      „Tatsache ist, dass wir jemanden überwachen, der, sagen wir mal so, indirekt mit der Sache in Verbindung steht. Dieser Artikel sollte eine Falle sein. Wissen Sie, die La Piazza ist einer der wenigen furchtlosen Zeitungen, mit denen wir ab und zu zusammenarbeiten.“

      „War die Bellacqua an einer Story dran?“ Zweiter Versuch.

      „Ich kann leider nicht über laufende Ermittlungen sprechen, Commissario.“ Er lächelte wieder charmant. Gerissen, „der Schöne“. Zweite Abfuhr.

      Caterina lehnte sich zurück, betrachtete ihn kurz, um seiner Offensive mit einem ebenfalls zuckersüßen Lächeln zu entgegnen.

      „Sie benutzen eine Selbstmörderin zu Ihren Zwecken, wollen ihren Namen in den Dreck ziehen, um an Ihr Ziel zu kommen, und ich soll Ihnen bei dieser machiavellistischen Art, Ermittlungen zu führen, auch noch helfen, ohne eingeweiht zu werden?“

      „Nun, Commissario, eine Hand wäscht die andere. Wenn Sie eines Tages etwas von mir benötigen sollten, dann –“

      Sie räusperte sich. „Es gibt keine Beweise, noch nichtmal Indizien im Sinne von Art. 580. Dem Abschlussbericht