Breathe. Elena MacKenzie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elena MacKenzie
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177631
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Mein Vater ist kein guter Mensch. Er hat meine Mutter manchmal so grün und blau geschlagen, dass ich darüber nachgedacht habe, ihn mit Rages Waffe zu erschießen. Ich war keine acht Jahre alt, als der Gedanke mir zum ersten Mal kam. Ich habe seine Besuche gehasst und war froh, dass er nur so selten vorbeischaute. Anders als bei Rage, ihn mochte ich. Er war ruhig, freundlich, hat mit mir lange Wanderungen im Wald gemacht und mich gelehrt, die Natur zu lieben.

      »Du hast noch vor fünf Minuten gestanden, dass du auch tötest, was macht dich also zu etwas Besserem?«

      Er sieht mich an und zieht einen Mundwinkel hoch. »Nichts, Süße. Rein gar nichts.«

      Schaudernd ziehe ich mich mehr auf meine Seite zurück. Ich drücke mich so eng an die Tür, dass ein Teil von mir hofft, sie würde aufspringen, aber das wird nicht passieren, weil Ice die Türen von innen verriegelt hat. »Du willst mich vielleicht nicht töten, aber ich verspreche dir, ich werde nicht noch einmal zögern«, fahre ich ihn an. In meinem Inneren rast Blut und Adrenalin durch meine Venen, so sehr, dass ich kaum atmen kann und mir ganz schwindlig ist. Aber meine Stimme klingt fest und entschlossen, was ihn zu beeindrucken scheint, denn er wirft mir einen interessierten, fast schon amüsierten Seitenblick zu.

      »Du bist ganz schön tough, Süße«, sagt er mit einem dunklen Funkeln in den Augen. »Zuerst einmal bleibst du einfach bei mir. Und dann sehen wir weiter. Ich könnte dich noch immer töten. Vielleicht morgen.«

      Ich starre hoffnungslos aus dem Fenster, in der Ferne tauchen die Lichter der nächsten Stadt auf, aber als wir an die Kreuzung kommen, biegt Ice rechts auf die einsame Straße ab, die gut zwanzig Meilen durch nichts als Wald und Äcker führt. Als ich das sehe, sinkt auch die letzte Hoffnung in mir, ich könnte vielleicht in der Stadt irgendwie auf mich aufmerksam machen.

      »Was bringt es dir, wenn mein Vater nicht einmal weiß, dass du mich entführt hast, um dich zu rächen?«, frage ich ihn und muss schreien, um den harten Rock zu übertönen, den Ice im Radio eingestellt hat. Ich hinterfrage es nicht einmal, ob Ice mir die Wahrheit gesagt hat. Ich glaube ihm, dass mein Vater seine Mutter getötet hat. Es gab Situationen, da hat nicht viel gefehlt und er hätte meine auch getötet. Manchmal hat es ihn wütend gemacht, wenn er überraschend vorbeikam und sie high und betrunken war. Manchmal hat es ihn wütend gemacht, wenn sie so nervös war, dass sie sein Essen hat anbrennen lassen. Und manchmal hat sie auch gar nichts falsch gemacht. Was er nie getan hat, war mich zu schlagen. Aber wahrscheinlich hätte er mich dafür überhaupt erst mal beachten müssen. Das Einzige, was er mir jemals beigebracht hat, was ihm wichtig war: dass ich mich selbst schützen konnte, wenn er nicht da war.

      Ice dreht das Radio leiser, sieht mich flüchtig an, dann zuckt er mit den Schultern. »Er wird es rausfinden, da bin ich mir sicher. Wann auch immer er wieder jemanden schickt, um nach dir zu sehen.«

      »Ich lebe seit Monaten allein. Niemand war da, um nach mir zu sehen. Meine Mutter ist spurlos verschwunden, mein Vater war seit Jahren nicht mehr in Black Falls.«

      »Sein Prospect war erst vor ein paar Wochen hier, sonst hätte ich dich gar nicht gefunden. Dein Vater hat dich also nicht vergessen. Er überwacht dich nur aus der Ferne.«

      »Wieso sollte er das tun?«, will ich verwirrt wissen und bezweifle jedes Wort, das über seine Lippen kommt.

      »Er macht sich eben Sorgen um dich, will aber nicht, dass jemand davon erfährt, dass es dich gibt. Er hat viele Feinde. Du bist seine Tochter. Es gibt einen Grund, warum er wegen dir unsere Gesetze missachtet hat.«

      »Was für Gesetze?«

      »Die, die deine Welt von unserer trennen.«

      »Was ist das für eine Welt? Für Mörder und Vergewaltiger?«

      »Die, in der er Kids dazu zwingt, für ihn zu arbeiten. Die, in der er mit meiner Mutter zusammen war und sie getötet hat. In der er Krieg gegen andere Clans führt und alles vernichtet, was ihm und seinen Zielen im Weg steht.« Ice knurrt diese Worte regelrecht und wirft mir einen hasserfüllten Blick zu. »Du weißt offensichtlich nichts über deinen Vater.«

      Ich senke verlegen den Blick, als ich den Schmerz in Ices Augen sehe und ich diese tiefe Verletzung seiner Seele erkenne. Wahrscheinlich habe ich wirklich keine Ahnung, denn obwohl meine Mutter keinen Orden verdient hat, war sie doch auf ihre Art immer eine Mutter und mir ging es gut. Und Black Falls ist vielleicht die langweiligste Kleinstadt im ganzen Land, aber unser Leben dort war immer sicher. Ich schüttle mich, als mir klar wird, dass ich gerade einen Anflug von Mitleid mit meinem Entführer habe. Auf keinen Fall sollte ich solche Gefühle zulassen. Alles, was er von mir bekommen sollte, ist Hass und Zorn.

      »Wir haben alle so unsere Probleme, aber das gibt dir nicht das Recht, mir das hier anzutun. Ich hab nichts mit dem zu tun, was er dir und deiner Familie angetan hat.«

      »Was tue ich dir denn an? Du wolltest raus aus deinem Leben, ich helfe dir nur dabei«, schnaubt er, dann schaltet er das Radio an und dreht es so laut, dass klar ist, für ihn ist diese Unterhaltung beendet.

      Ich drehe mich von ihm weg zur Tür hin, lehne meine Stirn wieder gegen die kühle Scheibe und erlaube es mir, in der Dunkelheit meinen Tränen freien Lauf zu lassen, während draußen Felder an uns vorbeihuschen, die in der Nacht kaum mehr als tiefschwarze Flächen sind, hin und wieder unterbrochen von kleinen Wäldern. Möglichst unauffällig versuche ich, den engen Strick um meine Handgelenke zu lockern und meine Hände aus den Schlingen zu befreien, aber je mehr ich mich darin winde, desto enger ziehen sich die Fesseln zusammen. Und als ich aufsehe und in das breit grinsende Gesicht meines Entführers blicke, gebe ich auf und lasse meine Hände kraftlos in meinen Schoß fallen.

      Ich lehne mutlos den Kopf wieder gegen die Scheibe, und während ich meinen Tränen gestatte zu fließen, die Landschaft monoton an uns vorbeifliegt und ich darüber nachdenke, wie ich vor ihm fliehen kann, oder was mich am Ende dieser Reise erwarten könnte, kämpfe ich gegen die Müdigkeit, die mich befallen hat. Was ich auf gar keinen Fall tun darf, ist einschlafen. Die Kontrolle über das verlieren, was mit mir geschehen wird. Wenn ich überhaupt noch Kontrolle darüber habe. Aber der Gedanke einzuschlafen, macht mir noch mehr Angst. Er lässt mich befürchten, dass im Schlaf Dinge passieren könnten, die meine Situation noch verschlimmern könnten. Oder vielleicht könnte ich eine Möglichkeit zur Flucht verpassen. Oder ich könnte aufwachen und alles wäre nur noch grauenvoller als jetzt schon. Wenigstens weiß ich jetzt noch, wo ich mich befinde. Aber wenn ich einschlafe … Ich könnte wer weiß wo aufwachen.

      3

      Schon seit einiger Zeit kämpft Raven mit der eigenen Müdigkeit, wahrscheinlich hin und her gerissen zwischen ihrer Angst vor mir, dem, was ich mit ihr vorhaben könnte und dem Bedürfnis, die Augen zu schließen, in der Hoffnung, später aufzuwachen und alles war nur ein Traum. Mitleid mit einem Opfer kenne ich eigentlich nicht, aber bei ihr ist es anders. Was wohl daran liegt, dass ich noch nie längere Zeit mit einem Opfer verbracht habe. Bisher waren sie nichts weiter als ein Auftrag, den es zu erledigen galt. Sie ist die Erste, die kein Auftrag ist, sondern nur ein Mittel zur Befriedigung meiner Rache. Und sie ist die Erste, die nicht aus meiner Welt stammt und das alles nicht verdient hat. Ich bin ein Jäger, ausgebildet zu jagen. Aber dabei geht es nur um Abtrünnige. Mit alldem hat sie nichts zu tun.

      Ich stöhne innerlich, als ich an die Szene vorhin im Wald denken muss. Diese zierliche Frau war so mutig, trotzig und selbstbewusst. Stärker als mancher Abtrünniger, der vor mir in den Ketten gehangen hat und aus dem ich stundenlang Informationen gefoltert habe. Sie hat mich zornig gemacht. Und sie hat mich erregt. Ihren Körper an meinem zu spüren, ihre heftige Atmung und ihre Wärme zu fühlen, hat mich fast die Kontrolle verlieren lassen. Ich habe mit mir selbst gekämpft. Ich war so nahe dran, meine dunkle Seite rauszulassen.

      Wir sind jetzt schon etwas länger als zwei Stunden unterwegs. Sie seufzt leise, als ich um eine Kurve fahre und ein Auto uns entgegenkommt, dessen Lichter durch das Innere des Pick-ups