»Ist wohl das Geschick dieses schönen Wesens bestimmt, sich mit dem meinigen zu verflechten?« sagte er zu sich selber, als er dem Monde nachblickte, der hoch am Himmel dahin schwebte. »Die Ereignisse der letzten drei Tage könnten fast diese Vermutung rechtfertigen, doch dies liegt in der Hand des Allmächtigen, und Sein Wille geschehe. Ich habe feierlich gelobt, und mein Gelübde ist aufgezeichnet worden, dass ich mein Leben der Erlösung meines unglücklichen Vaters weihen will – aber hindert mich dies, Aminen zu lieben? Nein, nein; der Matrose der indischen Meere kann Monate lang am Lande zubringen, eh' es ihm möglich wird, zu seinem Dienste zurückzukehren. Ich habe mein Ziel auf dem weiten Weltmeere aufzusuchen, aber wie oft muss ich nicht vielleicht wieder zurück, und warum sollte ich mir den Trost einer lächelnden Heimat versagen? – Und doch – handle ich recht, wenn ich um die Neigung eines Wesens werbe, die, wie ich überzeugt bin, in ihrer Liebe so innig, treu und zärtlich sein würde? – Darf ich sie überreden, sich einem Menschen zuzugesellen, dessen Leben so ungewiss ist? – Aber ist nicht das Leben eines jeden Seemanns ungewiss – muss er nicht den erzürnten Wogen Trotz bieten, während nur eine zolldicke Planke zwischen ihm und dem Tod liegt? Zudem bin ich erlesen, eine Aufgabe zu erfüllen – und wenn dem so ist, was kann mich beschädigen, bis ich sie vollstreckt habe in der vom Himmel dafür bestimmten Zeit? Aber wann, und wie wird diese enden? – Im Tod? Ich wollte, mein Blut wäre ruhiger, damit ich besser erwägen könnte.«
Mit derartigen Betrachtungen trug sich Philipp Vanderdecken geraume Zeit. Endlich graute der Tag, und weniger achtsam, sobald er das Glühen des Horizonts entdeckte, schlummerte Philipp auf seinem Posten ein. Ein leichter Druck auf die Schulter schreckte ihn wieder auf und er zog die Pistole aus seiner Brust. Als er sich umwandte, bemerkte er Amine.
»Diese Pistole sollte also mir gelten?« sagte Amine lächelnd, indem sie Philipps Worte vom vorigen Abend wiederholte.
»Euch, Amine? Ja – Euch, zu Eurem abermaligen Schutze nämlich, falls es nötig wäre.«
»Ich bin davon überzeugt – wie freundlich ist es von Euch, nach so viel Anstrengung und Erschöpfung die lange Nacht durch zu wachen! Aber es ist jetzt heller Tag.«
»Bis ich die Morgenröte aufdämmern sah, Amine, war ich ein treuer Hüter.«
»Aber jetzt müsst Ihr heraufkommen und Euch ein wenig ausruhen. Mein Vater ist bereits aufgestanden – Ihr könnt Euch auf sein Bett niederlegen.«
»Ich danke Euch, fühle mich aber nicht schläfrig. Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen zu dem Bürgermeister gehen und den Vorfall anzeigen. Auch dürfen diese Leichname nicht entfernt werden, bis das Ganze bekannt gemacht ist. Will Euer Vater gehen, Amine, oder soll ich's tun?«
»Mein Vater ist, als der Eigentümer des Hauses, unstreitig die passendere Person. Ihr müsst bleiben und, wenn Ihr nicht schlafen wollt, einige Erfrischung zu Euch nehmen. Ich will hineingehen und meinen Vater davon in Kenntnis setzen; er hat bereits gefrühstückt.«
Amine begab sich in's Haus und kehrte bald mit ihrem Vater zurück, der sich bereitwillig zeigte, zu dem Bürgermeister zu gehen. Er grüßte Philipp freundlich, schauderte aber, als er an den Leichen vorbeikam, und verfügte sich raschen Schritts nach der nahe gelegenen Stadt, wo der Bürgermeister wohnte.
Amine forderte Philipp auf, ihr zu folgen; sie begaben sich in das Zimmer des Arztes, wo der junge Mann zu seiner Überraschung etwas Kaffee für sich bereit fand; ein derartiges Frühstück war nämlich in jener Zeit eine Seltenheit, die Philipp in dem Hause des filzigen Mynheer Poots nicht zu finden erwartete – indes hatte sich der alte Mann in seinem früheren Leben so sehr an diesen Genuss gewöhnt, dass er desselben nicht gut entraten konnte.
Philipp, der in den letzten vierundzwanzig Stunden fast Nichts zu sich genommen hatte, sprach ohne Bedenken dem ihm vorgesetzten Frühmahle zu. Amine setzte sich stumm ihm gegenüber.
»Amine,« begann Philipp endlich, »während meiner Nachtwache habe ich reichlich Zeit zu Erwägungen gehabt. Darf ich mich offen aussprechen?«
»Warum nicht?« versetzte Amine. »Ich fühle mich überzeugt, dass Ihr Nichts reden werdet oder überhaupt nur reden könnt, was das Ohr einer Jungfrau nicht hören dürfte.«
»Ihr lasst mir nur Gerechtigkeit widerfahren, Amine. Meine Gedanken haben sich mit Euch und Eurem Vater beschäftigt. Ihr könnt nicht länger in diesem einsamen Hause weilen.«
»Ach, es ist freilich zu einsam – das heißt für seine Sicherheit – vielleicht auch für die meinige – aber Ihr kennt meinen Vater – gerade diese Abgeschiedenheit sagt ihm zu, der Mietzins ist nur gering und er scheut größere Ausgaben.«
»Wem sein Geld so sehr am Herzen liegt, der sollte es auch an einem sichern Orte unterbringen – und der gegenwärtige ist nicht sicher. Hört mich an, Amine. Wie Ihr wahrscheinlich wisst, habe ich ein Wohnhäuschen, das von vielen andern umgeben ist, welche sich gegenseitig schützen. Ich verlasse es – vielleicht für immer, denn ich gedenke mit dem ersten Schiffe in die indischen Meere auszufahren.«
»In die indischen Meere? und warum dies? Habt Ihr nicht erst in der letzten Nacht gesagt, dass Ihr im Besitze von mehreren tausend Gulden seid?«
»Das hat ganz seine Richtigkeit; aber Amine, ich muss fort – meine Pflicht ruft mich. Fragt mich nicht weiter, sondern hört, was ich Euch jetzt vorschlage. Euer Vater muss meine Wohnung beziehen und in meiner Abwesenheit für sie Sorge tragen; er erweist mir durch seine Einwilligung einen Gefallen und Ihr werdet ihm zureden. Ihr seid dort sicher. Er mag auch mein Geld in seine Obhut nehmen – ich brauche es vorderhand nicht und kann es auch nicht mit mir nehmen.«
»Meinem Vater ist nicht gut fremdes Geld anvertrauen.«
»Aber warum scharrt er auch zusammen? Er kann sein Geld doch nicht mitnehmen, wenn er abgerufen wird. Es ist also für Euch – und sollte in diesem Falle mein Geld nicht in sicherer Hand sein?«
»So überlasst es meiner Sorge, und es soll gut aufbewahrt bleiben. Aber wozu habt Ihr nötig, Euer Leben auf dem Wasser in Gefahr zu setzen, wenn Euch so reichliche Mittel zu Gebote stehen?«
»Amine, fragt mich hierüber nicht, denn ich kann Euch – wenigstens vorderhand – nicht weiter sagen, als dass ich die Pflicht eines Sohnes zu erfüllen habe.«
»Wenn von einer Verpflichtung die Rede ist, so will ich nicht weiter in Euch dringen. Es war nicht bloß weibliche Neugierde, nein, nein – sondern ein besseres Gefühl, glaubt mir, was mich veranlasste, die Frage zu stellen.«
»Und welcher Art wäre dieses Gefühl, Amine?«
»Ich weiß es selbst kaum – vielleicht eine Mischung vieler guten Gefühle – Dankbarkeit, Achtung, Vertrauen, Zuneigung. Sind diese nicht hinreichend?«
»Allerdings, Amine – und jedenfalls sind sie ein reicher Gewinn nach einer so kurzen Bekanntschaft; aber auch ich empfinde sie für Euch und noch viel mehr. Wie dem übrigens sein mag, wenn Ihr alles dies für mich fühlt, so erweist mir den Gefallen, Euren Vater zu bereden, dass er heute noch dieses einsame Haus verlasse und das meinige beziehe.«
»Und wohin wolltet dann Ihr gehen?«
»Wenn mich Euer Vater für die kurze Zeit meines Hierbleibens nicht als Hausgenossen haben will, kann ich irgendwo anders ein Obdach suchen; lässt er sich aber geneigt finden, so will ich ihn gut entschädigen, – das heißt, falls Ihr nichts dagegen habt, dass ich noch einige Tage in dem Hause bleibe.«
»Warum sollte ich auch? Unsere Wohnung ist nicht länger sicher und Ihr bietet uns Schutz an. Es wäre in der Tat höchst unrecht und undankbar, Euch von Eurem Herde zu vertreiben.«
»So redet ihm zu, Amine. Ich verlange keinen Mietzins, sondern betrachte es als eine Gunst, da ich nur mit Bekümmernis scheiden könnte, wenn ich Euch nicht in Sicherheit wüsste. – Wollt Ihr mir's versprechen?«
»Ich