Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande. Tomos Forrest. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tomos Forrest
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754186220
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überall standen uniformierte Polizisten, die Karabiner in den Händen. Als wir aus der Kutsche stiegen, wurden gerade mit einem Messingtrichter, einem sogenannten Megafone, laute Befehle zu einem Haus gerufen. Das Gebäude bestand aus zwei Geschossen und machte einen etwas verwahrlosten Eindruck. Der Putz war zum Teil heruntergefallen, einige Fenster waren, vermutlich durch Einschüsse, zerstört, und die Gardinen flatterten im Luftzug. Es war ein seltsamer, geradezu gespenstischer Eindruck, denn auf den ersten Blick wirkte das Haus verlassen.

      »Zum letzten Mal – kommen Sie mit erhobenen Händen heraus, sonst werden wir das Haus erstürmen!«, klang die Stimme durch den Schalltrichter, und jetzt rief jemand aus: »Achtung, zweites Fenster, erster Stock!« Fast gleichzeitig fielen von dort in rascher Folge Schüsse. Ich vermutete, dass man mit einem Revolver schoss, und sofort wurde das Feuer von den Polizisten erwidert. Im Kugelhagel blieb in dieser Etage keine einzige Scheibe mehr heil.

      »Vorwärts, holt die Verbrecher heraus!«, kommandierte ein Offizier der uniformierten Polizei, und etwa dreißig Polizisten, die Gewehre im Anschlag, liefen auf das Haus zu. Ich wollte Kommissar Waller etwas zurufen, denn ich hatte gerade in einer schmalen Gasse neben dem Gebäude, einer Brandgasse, kaum breit genug für eine Person, eine Bewegung gesehen. Da zerriss eine ohrenbetäubende Explosion die nach dem Polizeikommando gerade wieder eingetretene Stille, und Ziegelsteine polterten vom Dach auf die Polizisten herunter. Dann stieg eine grelle, rot-gelbe Flammensäule aus dem zerstörten Dach, und eine zweite Explosion erfolgte in der ersten Etage, die allerlei Schutt herumschleuderte.

      Direkt neben mir stöhnte jemand schmerzerfüllt auf, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass Anton eine stark blutende Kopfwunde erhalten hatte. Fassungslos hielt er seine Stirn, während ihm das Blut durch die Finger rann und auf seine Jacke tropfte.

      »Anton! Schnell, hier herüber!«, rief ich aus, packte ihn am Arm und zog ihn hinter die Polizeidroschke, deren Pferde jetzt so unruhig waren, dass der Kutscher Mühe hatte, sie trotz der angezogenen Bremse zu bändigen. Rasch zog ich dem Verletzten die Jacke herunter und versuchte, mit meinem Taschentuch die Blutung zu stillen. Ohne ein Wort sackte Anton, kreidebleich geworden, in meinen Armen zusammen.

      »Sanitäter!«, rief ich den Polizisten zu, die in dem von der Explosion aufgewirbelten Staub kaum zu erkennen waren. »Hierher! Sanitäter!«

      Da erkannte ich zwei schemenhafte Gestalten, die hustend durch die Staubwand eilten, eine Trage bei uns abstellten und sich um die Kopfverletzung des Gamsjägers kümmerten.

      »Nicht weiter schlimm, eine Platzwunde und vermutlich eine Gehirnerschütterung. Das wird wieder!«, sagte der eine der beiden Männer zu mir. Ich wunderte mich, warum der Mann so leise sprach. Erst dann wurde mir klar, dass ich von der Explosion noch immer einen Druck auf dem Ohr verspürte.

      »Wir werden ihn aber ins Hospital schaffen!«, ergänzte der andere, und ich nickte nur rasch, sah mich nach Sepp um und bekam den nächsten Schreck. Als Anton plötzlich so stark blutete, hatte ich mich nicht weiter umgesehen, sondern dafür gesorgt, dass er in Deckung kam. Jetzt hielt ich vergeblich Ausschau nach dem alten Geheimagenten, der wie vom Erdboden verschwunden schien.

      »Kommen Sie mit mir zurück ins Präsidium?«, vernahm ich eine Stimme, die immer noch wie durch einen Pfropfen an mein Ohr drang. Kommissar Waller wiederholte seine Frage, als er meinen Blick bemerkte.

      »Ich muss noch auf die Rückkehr von Joseph Brendel warten, Herr Waller!«, antwortete ich und schluckte mehrfach, um den Ohrendruck loszuwerden.

      »Kein Grund zur Sorge. Der alte Fuchs hatte mir etwas zugerufen und will uns nachkommen. Und der dritte Mann in Ihrem Bunde ist auch schon wieder auf dem Weg zum Revier, wie mir eben der zurückgekehrte Kutscher des Krankenwagens sagte. Er wäre wohl am liebsten gleich mit ihm gefahren, aber da hat der Arzt wohl noch Einspruch erhoben.«

      Kaum eine halbe Stunde später saßen wir wieder im Dienstzimmer des Kommissars, als kurz nach uns tatsächlich der Gamsjäger Anton eintraf. Er hatte einen abenteuerlichen Kopfverband, schien aber schon wieder fröhlich und unternehmenslustig und bat als Erstes um eine neue Zigarre.

      »Na, dann scheint ja alles in Ordnung zu sein!«, vermerkte der Kommissar, als er lächelnd die Kiste zu uns herüberschob. »Was werden Sie jetzt tun, meine Herren?«

      »Das hängt davon ab, was der gute Sepp herausgefunden hat. Ginge es nach mir, würde ich gern selbst den Bahnhof beobachten. Allerdings kennt mich der Baron und würde sicher bei meinem Anblick sofort untertauchen.«

      Waller lächelte und deutete auf seinen großen Schrank.

      »Wenn ich Ihnen behilflich sein kann? Schauen Sie doch mal auf der rechten Seite nach, möglicherweise finden Sie dort etwas, was Sie verwenden können!«

      »Holla!«, rief plötzlich jemand in der Tür laut heraus. »In der Boazn treibt si as ganze Gschwerl rum!«

      »Also Sepp, wenn du möchtest, dass ich dich verstehe, kannst du ruhig hochdeutsch mit mir reden!«, antwortete ich gelassen.

      »In der Boazn …«, begann er erneut, aber dann machte er eine abwehrende Handbewegung und fuhr fort: »Ich habe von einer Spelunke erfahren, in der sich das Gesindel trifft – ist das für den Herrn Shatterhand verständlicher?«

      Ich lachte, wurde aber sofort wieder ernst, als Sepp auf den Stadtplan wies, der an der Wand hing.

      »Hier ist sie, aber selbst am Tage riskant, dort einfach hineinzutappern und ein Bier zu bestellen!«, vermerkte er dazu, und Waller trat an seine Seite, warf einen Blick auf Sepps Finger, mit dem er die Stelle markierte.

      »Hätte ich mir fast denken können. Augenblick, bin gleich zurück, schicke nur die Jungs da mal hin!«

      Während er in den Nebenraum zurückkehrte, raunte mir Sepp zu:

      »Ich bin mir ganz sicher, dass dort zwei oder drei Burschen aus dem gesprengten Haus sitzen. Sie taten ganz so, als wären sie Maurer oder Putzer mit ihrem verdreckten Kram, aber mich täuscht man nicht so leicht. Die Brüder gehören zu der Bande, die alles in die Luft gejagt hat.«

      »Und, war der Baron dabei?«

      Jetzt grinste mich Sepp herausfordernd an.

      »Was denkst von mir, Charly? Würde ich dann hier in aller Ruhe mit dir sitzen und plaudern? Nein, aber ich habe die Adresse von seinem Gspusi bekommen! Bei der hockt er, bis es dunkel wird, und dann will er die Stadt verlassen.«

      »Und – diese Adresse hat dir wer gegeben?«

      Erneut lachte Sepp fröhlich auf.

      »Ja, mei, jetzt glaubt’s wohl auch, der Sepp ist alt und hinfällig und zu nix mehr in der Lage? Euch jungen Leuten zeig’ ich’s noch allemal!«

      Sepp verstummte und machte eine ernste Miene, als der Kommissar wieder zurückkehrte.

      »Ich hatte gerade schon erklärt – die Spelunke wird jetzt gründlich durchsucht und alle Individuen auf das Revier gebracht.«

      Wir hatten uns für alle Fälle in der Nähe des Bahnhofs in einem Hotel drei Zimmer gemietet und im Voraus bezahlt. So konnten wir uns ein wenig ausruhen und waren bereit, sofort abzureisen, sollte eine Meldung von Waller bei uns eintreffen. Der Kommissar war überaus kooperativ und hatte seinem ›Kollegen‹ Sepp versprochen, sofort einen Boten zu uns zu schicken.

      Während ich problemlos ein kleines Nickerchen hielt, war der alte Offizier und Geheimagent unruhig auf und ab gegangen und fasste schließlich einen Entschluss. Als ich bei ihm am Nachmittag an die Zimmertür klopfte und mich wunderte, dass er nicht antwortete, drückte ich die Türklinke nach unter. Die Tür war unverschlossen, Sepp nicht anwesend, aber auf dem Tisch lag eine gekritzelte Notiz.

      ›Wilde Sau, zehn Uhr‹, hatte er vermerkt – mehr nicht, und ich drehte und wendete den Zettel vergeblich.

      Ich ging zu Anton hinüber, dem es schon wieder gut ging. Er hatte den Verband abgenommen und schien keine Schmerzen mehr zu haben, begrüßte mich freudig und erkundigte sich, was wir jetzt unternehmen