Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754955482
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an – „und wenn ich Ihnen nur die geringste Summe anvertraute, so machten Sie doch Dummheiten, liefen wieder hinüber und wären Ihr Geld in einer Viertelstunde los – denn Segen ist nicht darin.“

      „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –“

      Der Fremde pfiff durch die Zähne. – „Sie halten mich für eben so leichtgläubig wie Ihre erste Liebhaberin,“ sagte er; „aber ich will Ihnen wenigstens von hier forthelfen,“ setzte er hinzu. „Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß mir nicht viel daran liegt, wenn Sie sich hier hängen, denn es entsteht dadurch immer ein unangenehmes Gerede für die Bank. Was Sie dann im Land drin thun, kümmert mich nicht. Uebrigens sehe ich ein, daß Sie sich nicht selber zu helfen wissen, denn zum directen Stehlen scheinen Sie mir zu ungeschickt. Sie müssen deshalb etwas Geld in die Hand /27/ bekommen – aber so viel sage ich Ihnen, werfen Sie ein einziges Stück des von mir erhaltenen Geldes auf den grünen Tisch, so verschwindet es im Nu, hinterläßt nichts als einen häßlichen Fleck und – die Folgen haben Sie sich nachher selber zuzuschreiben.“

      „Und wie viel würden Sie die Güte haben –“

      „Hier sind zwanzig Gulden,“ sagte der Fremde, indem er in die Tasche griff und die Silberstücke Herrn Lerche hinreichte, „das wird gerade hinreichen, um Sie nach X. zu bringen.“

      „Und dort dann?“

      „Geben Sie diese Karte in der Redaction des Theaterblattes ab; der Eigenthümer ist ein guter Freund von mir.“

      „Und wie soll ich hier im Hotel meine Rechnung bezahlen?“

      „Bester Freund,“ lachte der Fremde, „die Idee mit dem Strick ist viel zu ausgezeichnet, als daß ich dazu beitragen möchte, sie zu vereiteln. Wenn Sie aber meinem Rath folgen, so befestigen Sie das Seil so, daß Sie es, wenn Sie unten sind, nachziehen können – es wird lang genug sein, und Sie können es vielleicht noch einmal gebrauchen.“

      Lerche schauderte zusammen – war es die Berührung des Geldes oder der Gedanke an einen nochmaligen Selbstmordversuch, auf den der Fremde so kalt und fast höhnisch anspielte – aber das Geld brannte ihm nicht in der Hand, wie er anfangs in der That gefürchtet hatte, und scheu und leise sagte er nur:

      „Verlangen Sie einen Schein dafür?“

      Wieder legte sich der Zug von kaltem Spott über die unheimlichen Züge des Fremden.

      „Glauben Sie, daß ich lumpiger zwanzig Gulden wegen einen Pact mit Ihnen eingehen würde, oder daß mich etwa gar nach Ihrer Seele verlangt? – Reisen Sie vollkommen ruhig, ich werde Sie nicht weiter beunruhigen; denn daß selbst mir ein Schein von Ihnen nichts hülfe, wissen Sie genau so gut wie ich.“

      „Und wie soll ich Ihnen danken?“

      „Daß Sie augenblicklich in Ihr Hotel zurückgehen, Ihre /28/ Sachen in Ordnung bringen und dann gleich den Nachtzug nach Gießen benutzen.“

      Lerche hatte sich bemüht, den auf der Karte fein gestochenen Namen bei Mondenlicht zu lesen, aber war es nicht im Stande – die Karte selber schien schwefelgelb und trug einen grellrothen schmalen Rand.

      „Es steht nur mein Name darauf,“ sagte der Fremde, der es bemerkte, „Edler von der Hölle – also auf Wiedersehen, lieber Freund!“ Und rasch richtete er sich empor, nickte dem jungen Mann vertraulich zu und war schon in den nächsten Secunden in den dunkeln Schatten des Kastanienwäldchens verschwunden.

      2. In Ruhe.

      Lange Jahre waren nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen – lange, bewegte Jahre, und wenn auch die Welt im Allgemeinen ruhig weiter ging, so verbitterte sich doch das rastlose Menschenvolk indessen die kurze, ihm hier vergönnte Spanne Zeit nach besten Kräften. Nationen schlugen sich mit Nationen und vertrugen sich wieder, und nur im ganz Kleinen bohrten sich die einzelnen Exemplare der „Gesellschaft“ hartnäckig ihren Weg. Was auch da draußen im Großen und Ganzen geschehen mochte, es kümmerte sie nicht, denn nur ihr eigenes Interesse trieb sie weiter, um – in dem allgemeinen Drängen und Treiben nach vorwärts – noch womöglich für sich selber einen Sitzplatz zu bekommen.

      Selbst nicht, während auf dem Welttheater große Effect- und Sensationsstücke gegeben wurden, hatte das Stadttheater zu X. aufgehört, den geschichtlichen Dramen mit Offenbach’schen Opern und Possen Concurrenz zu machen, und auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“, ging es mit In /29/ triguen und Vorwärtsdrängen, mit diplomatischen Ränken und Kniffen, ja oft mit offenem Kampf und Hader genau so zu, wie draußen in der Weite.

      In einer der Hauptstraßen in X., aber weit hinten in einem nicht besonders reinlich gehaltenen Hofe, von dem aus man noch zwei dunkle, schmale Treppen hinaufsteigen mußte, befand sich das Redactionsbureau der X-er Theaterzeitung, und wenn das Entrée schon nicht besonders versprechend war, das Innere des Bureaus sah eigentlich noch ungemüthlicher aus.

      Es bestand aus einem einzigen langen Gemach mit drei Fenstern nach dem dunkeln Hof hinaus und mochte einmal in früherer Zeit geweißte Wände und weiße Gardinen gehabt haben, die aber jetzt nur ein etwas lichteres, brochirtes Muster auf dunkelbraunem Grunde zeigten. An jedem Fenster stand ein doppeltes Stehpult, von denen aber nur zwei einfach besetzt waren – das obere stand leer, obgleich darauf gehäufte offene Briefe und kleine Broschüren auch die zeitweilige Benutzung dieses anzeigten.

      An den beiden anderen arbeiteten zwei – an jedem ein Einzelner – etwas dürftig aussehende Individuen mit bleichen Gesichtern und Schreibärmeln – blutjunge Menschen, die sich hier für ihr kärgliches Brod die Finger wund schrieben, und dafür, wenn auch nur indirect, in die Kunst eingeweiht wurden, ein solches Geschäft zu führen. Sie waren nämlich stete Zeugen der dort eintreffenden Besuche – geschäftlicher wie „freundschaftlicher“ Art, und wenn sie weiter nichts dabei lernten, so gewannen sie doch dort in einer Woche mehr Menschenkenntniß, als wenn sie sich Jahre lang in dem Strudel der großen Welt herum getrieben hätten.

      Der Raum selber sah wüst genug aus; eine Unmasse von Broschüren lag über den Boden, theils zusammengebunden, theils einzeln, zerstreut, so daß sich die Hausmagd sogar nicht einmal mehr mit dem Besen dazwischen getraute. Möbel gab es dabei fast gar nicht, zwei Rohrstühle ausgenommen und ein altes, steinhartes Sopha mit einem Ueberzug, von dem sich schon seit Jahren die Farbe nicht mehr erkennen ließ. Der „älteste Mann“ im Geschäft erinnerte sich auch nicht, je ge /30/ sehen zu haben, daß irgend Jemand gewagt hätte, sich darauf zu setzen.

      Sonst hingen noch an den Wänden eine Anzahl von Lithographien, Photographien und Stahlstichen berühmter Künstler, an denen man auch genau wissen konnte, ob sie dem Bureau mit oder ohne Rahmen geschenkt waren. – Die ohne Rahmen waren nämlich nur einfach mit Stiften an die Wand genagelt, und wenn den Betreffenden daran lag, ihr Bild hier erhalten zu sehen, nun so mochten sie einen Rahmen nachliefern.

      Der Briefträger kam und legte ein Paket Briefe auf den Schreibtisch des Principals, Herrn Cuno Köfer’s, der aber noch nicht erschienen war, denn er liebte Morgens seine Ruhe. Unter den Briefen befanden sich zwei unfrankirte; der Postbote zeigte sie aber nur lächelnd Einem der jungen Leute und schob sie dann wieder in die Tasche zurück. Er kannte die Geschäftsordnung im Hause – unfrankirte Briefe wurden nie angenommen, denn man hatte zu bittere Erfahrungen mit deren Inhalt gemacht. Gewöhnlich waren sie in einem mehr als groben Styl geschrieben und wimmelten von Injurien, enthielten aber stets, statt der Unterschrift, die Photographie des Betreffenden, und auf die ließ sich nicht klagen; denn die konnte ein Jeder einkleben.

      Uebrigens kamen solche „kleine Unannehmlichkeiten“ auch zuweilen in frankirten Briefen vor, wanderten dann aber gleich in den Ofen, denn – dem Papierkorb durfte man sie nicht anvertrauen, oder die Schreiber hätten sich darüber lustig gemacht.

      Trotz der frühen Morgenstunde saß aber schon ein „Besuch“ im Comptoir, dem Einer der jungen Leute das Sopha angewiesen, der aber trotzdem einen Rohrstuhl vorgezogen hatte. Es war ein noch blutjunger Mensch, etwas auffallend gekleidet. Er trug seine braunen lockigen Haare, sorgfältig gebrannt, in einem großen Toupet auf der rechten Seite, vollkommen moderne Kleidung, eine himmelblaue seidene Cravatte, eine große Tuchnadel, eine goldene Uhrkette