Ich hatte mich unter der Zeit verheirathet, fühlte auch, daß ich unter solchen Umständen, mit harter Arbeit, wohl meine kleine Familie ernähren könne – aber weiter nichts, /5/ und lebenslang Uebersetzer bleiben? der Gedanke war mir entsetzlich. Ich fühlte jetzt die Kraft in mir, etwas zu schaffen, und faßte den allerdings kecken Entschluß – denn ich war ohne alle Mittel und hatte Weib und Kind –, die todte Zeit in Deutschland zu benutzen und – eine Reise um die Welt zu machen. Ich trat augenblicklich mit der Cotta’schen Buchhandlung in Unterhandlung, um Correspondenzen für das Beiblatt der Augsburger Zeitung zu liefern – die Herren gingen endlich darauf ein, mir vierhundert Thaler Vorschuß zu zahlen. Das damalige Reichsministerium bewilligte mir außerdem (und die Leute sagen, ich sei der Einzige, der damals etwas vom deutschen Reich gehabt) fünfhundert Thaler, um die verschiedenen deutschen Colonien im Auslande zu besuchen, und mit neunhundert Thalern trat ich guten Muths eine Reise, die neununddreißig Monate dauerte, an.
Indessen hatte ich einen Roman: „Pfarre und Schule“ beendet, für den ich von der Georg Wigand’schen Buchhandlung vierhundert Thaler (in Raten an meine Frau während meiner Abwesenheit zu zahlen) erhielt; für das Weitere verließ ich mich, wie schon oft im Leben, auf den lieben Gott und mein gutes Glück – und beide haben mich nicht im Stiche gelassen. Daß ich von den neunhundert Thalern nicht die ganze Reise machen konnte, ist natürlich, aber wo mir auch das Geld ausging, und das geschah verschiedene Male – bekam ich, doch jedenfalls allein auf mein ehrlich Gesicht, an allen fremden Plätzen von deutschen Kaufleuten die nöthige Summe auf Wechsel an die Cotta’sche Buchhandlung, der ich denn auch fleißig Berichte schickte, durch die ich der Sorge für meine Familie enthoben ward. Erst in Australien fand ich wieder fünfhundert Thaler, die Kaufmann Schletter in Leipzig dort für mich deponirt hatte, und wenn ich auch in Java wieder eine frische Summe aufnehmen mußte, hatte ich doch von da an gewonnen.
Im Jahr 1852 kehrte ich nach Deutschland zurück und fand nicht allein die Meinen wieder, sondern auch die Verlagsbuchhändler (eine sehr wichtige Menschenklasse für einen jungen Schriftsteller) viel freundlicher, als sie sich mir je gezeigt. Ich selbst hatte durch diese Reise einen fast übermäßig reichen /6/ Hintergrund für meine Novellen und Romane gewonnen, und arbeitete jetzt acht Jahre unverdrossen fort, bis mich 1860, nicht etwa Mangel an Stoff – denn ich hatte damals schon genug, um für mein Leben auszureichen, – doch neue Wanderlust und das Bedürfniß erfaßte, die schwächer werdenden Bilder jener fremden Welt auf’s Neue aufzufrischen. Ich machte eine achtzehnmonatliche Tour durch Südamerika, wobei ich mein Augenmerk besonders auf früher noch nicht besuchte oder neu entstandene Kolonien richtete, wie vorzüglich in Ecuador, Peru, Chile und Brasilien.
Im Jahr 1861 kehrte ich nach Europa zurück; ich hatte lange keine Briefe von daheim gehabt – meine Frau war krank geworden und – gestorben; eine trübe Wiederkehr. Es litt mich auch nicht lange in Deutschland. Schon im Frühjahr 1862 ging ich mit dem Herzog von Coburg nach Egypten und Abyssinien, machte dann in den Jahren 1867 und 1868 meine letzte Reise nach Nordamerika, Mexiko und Venezuela und bin jetzt scharf daran, meine Erinnerungen auszuarbeiten.
Was ich Alles geschrieben? ich will Ihren Raum hier nicht mit der Aufzählung meiner verschiedenen Schriften füllen – und wie ich es geschrieben? – Es ist mir von verschiedenen Seiten, und oft sehr vornehm, vorgehalten worden, daß ich ein rein praktischer Mensch wohl, aber kein Gelehrter sei – lieber Gott, es muß auch solche Käuze geben und ich räume das gern ein. Ich habe mich nie in rein wissenschaftlicher Art mit Pflanzen-, Stein- oder Thierkunde beschäftigt, meine Augen dagegen fest auf den Punkt gehalten, der von den meisten Naturforschern auf das Gründlichste vernachlässigt ist – auf die Menschen, und zwar auf die Völker, wie sie jetzt auf der Erde leben. Ebenso durchzog ich vorzugsweise die Länder, denen sich unsere deutsche Auswanderung zugewandt, und daß ich es nicht ganz nutzlos gethan, hat mir jetzt wieder so mancher warme Händedruck da draußen in fremden Ländern und an Stellen bewiesen, wo ich nicht einmal hoffen durfte, einen entfernten Bekannten zu treffen, und trotzdem überall warme Freunde fand.
„Und wollen Sie nicht wieder bald einmal auf Reisen gehen?“ /7/ werde ich von vielen Leuten, die mich als eine Art von Perpetuum mobile zu betrachten scheinen, gefragt. Quien sabe! Ich bin allerdings, wie Sie wissen, noch in den „besten Jahren“ und gerade etwa vierundfünfzig, habe also „nichts versäumt“, will es aber doch jetzt noch eine Weile abwarten und nur erst den Stoff verarbeiten, der mir zunächst auf dem Herzen liegt, – was dann weiter wird? – es ist das Unglücklichste, was ein Mensch auf der Welt thun kann: Pläne auf Jahre hinaus zu machen, wo er nicht einmal Herr über den nächsten Tag ist. – Was kommen soll, kommt. Ich habe völlig Zeit, es ruhig abzuwarten, und die verfliegt mir außerdem rasch genug, denn ich lebe ja jetzt in meinen Erinnerungen.
So alt bin ich freilich geworden, daß ich das Leben, was ich geführt, nicht noch einmal von Anfang an durchkosten möchte, aber ich würde es auch gegen kein anderes der ganzen Welt eintauschen, denn bunt und mannigfaltig war es zur Genüge – ich habe Jahre lang in großen Städten, von Comfort umgeben, und ebenso im wilden Urwalde von Wildfleisch und zu Zeiten sogar von Sassafras-Blättern oder einem alten Kakadu gelebt – ich bin Gast von gekrönten Häuptern und Feuermann auf einem Mississippi-Dampfer wie Tagelöhner gewesen, aber ich war stets frei und unabhängig wie der Vogel in der Luft, und mit Lust und Liebe zu meinem Berufe, den ich mir nicht gewählt, sondern in den ich eigentlich hineingewachsen bin, mit einer Fülle von Erinnerungen und noch genug Schaffenskraft, mich ihrer zu erfreuen, ja auch mit dem Bewußtsein, manches Gute gethan und manchem Menschen genützt zu haben, fühle ich mich hier an meinem Schreibtische genau so wohl, als ob ich da draußen auf flüchtigem Renner durch die Pampas hetzte oder unter einem Fruchtbaum am Meeresstrande der donnernden Brandung gegen die Korallenriffe lauschte.
Da haben Sie meine Lebensbeschreibung, lieber Keil. Ich bin, wie gesagt, kein Gelehrter, aber
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald, in Strom und Feld“;
/8/ und in diesem Sinne kann ich mich wirklich und wahr einen „Schriftsteller von Gottes Gnaden“ nennen, als der ich mich zeichne
Ihr alter getreuer
Friedrich Gerstäcker.
Braunschweig, im März 1870.
Der Herr von der Hölle.
Erstveröffentlichung 1869: Im Mondenschein [Der Herr von der Hölle. Eine verzweifelte Geschichte.]
Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Herausgegeben von Ernst Dohm und Julius Rodenberg. Band 5, Seiten 385-412. Leipzig: A. H. Payne
1. In Verzweiflung.
Ueber dem freundlichen Lahnthal stand der Mond1 und warf sein mildes Licht auf die bewaldeten Höhen, auf den blitzenden kleinen Strom und auf einen von Menschen schwärmenden Platz nieder, der sich aber dort unten seinen eigenen Lichterglanz gebildet hatte und wahrlich den sanften Schmelz nicht achtete, der da draußen, in unbeschreiblichem Zauber, auf der Landschaft lag.
Wunderliche Welt! Wunderliches Menschenvolk darin, das sich überall einnistet und ausbreitet und die Natur selber seinen Leidenschaften dienstbar macht.
Oben auf den Bergen lag der stille Frieden Gottes. Versteckt auf der in Myriaden von Thauperlen funkelnden Wiese, die schlanken, geschmeidigen Körper scharf in dem Schatten der Mondenstrahlen abgezeichnet, äste sich ein kleines Rudel Rehwild, und darüber hin strich die Nachtschwalbe mit ihrem melancholischen Ruf – die Grille zirpte, und leise rauschte in der vom Rhein herüberwehenden Brise das junge saftige Buchenlaub. Unten aber im Thal, aus der Erde Grund /10/ herauf, quoll geheimnißvoll aus rätselhafter Tiefe der heiße Quell – noch Blasen werfend in der kühlen Abendluft, wie er sich den unterirdischen Gluthen eben entrungen, und daneben, ja sogar darüber hatte das Menschenvolk