Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754955482
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Augenblick mit ihm zusammenbrechen könne. Er sah auch verschiedene Male nach seiner Uhr – die Zeit verging ihm jedenfalls sehr langsam, aber er wagte nicht, den entschiedenen Wunsch auszusprechen, Herrn Köfer gleich zu sprechen – er wußte recht gut, daß er den betreffenden Herrn dann in böse Laune gebracht hätte, und das wollte er vermeiden.

      Wohl dreiviertel Stunden mochte er so gesessen haben, ohne daß aber die Schreiber die geringste Notiz von ihm nahmen, als plötzlich die eine Seitenthür aufging und Herr Köfer selber, ohne weitere Anmeldung, auf dem Schauplatz erschien.

      Die beiden Schreiber verbeugten sich mit einem achtungsvollen „Guten Morgen“, und der Besuch erhob sich ebenfalls rasch von seinem Sitze. Herr Köfer hatte aber keinen Blick für sein „Bureau“. Den gewöhnlichen, selbstverständlichen Morgengruß seiner „Leute“ beantwortete er mit einem grunzenden, unarticulirten Laut, der wahrscheinlich „Morgen“ heißen sollte, aber eben so gut jedes andere Wort bedeuten konnte. Von dem Besuch nahm er gar keine Notiz, sondern trat nur zu seinem Pult, wo er die dort liegenden Briefe aufnahm und mit überreifer Erfahrung in derartigen Correspondenzen flüchtig sortirte, ehe er daran ging, einen oder den andern zu erbrechen.

      Dann öffnete er den ersten, sah nur nach Ueber- und Unterschrift, dann den zweiten ebenso, und nahm eben den dritten auf, als der Besuch sich doch glaubte bemerkbar machen zu müssen, und deshalb sich räusperte und ein paar Schritte vortrat.

      Herr Köfer war kein hübscher Mann. Schon in den Fünfzigen, mit einem Kopf voll dünner Haare, die jetzt mit Weiß gesprenkelt waren, mit den fast zu deutlich hinterlassenen Spuren von Pockennarben, mit kleinen grauen, etwas wässerigen Augen und einem fast zahnlosen Munde, lag ein gewisser Zug von Verbissenheit in dem fetten Gesicht – den man freilich seinem ganzen Geschäft zu Gute schreiben mußte. Das brachte der Aerger über die Undankbarkeit der Menschen im Allgemeinen /32/ und der Bühnendichter und Schauspieler im Besondern zur Genüge mit sich.

      Auch sein Aeußeres war nicht sehr versprechend, denn geistig thätige Menschen verwenden gewöhnlich nicht viel auf das – Herr Köfer verwandte sogar nur ein Minimum darauf. Er war noch in seiner „Morgentoilette“, d. h. er hatte sich noch nicht einmal gewaschen und gekämmt und nur einen Schlafrock übergezogen – und was für einen Schlafrock! Neu mußte er allerdings einmal ein Prachtstück gewesen sein, mit rothem, ächt gefärbtem Futter, mit wollenem, großblumigem türkischen Damast und einer hellblauen Schnur, mit eben solchen riesigen Quasten daran, aber, Du lieber Gott, der Zahn der Zeit nagt sogar an felsigem Gestein – an Granit und Porphyr – weshalb nicht auch an einem Schlafrock, so unappetitlich derselbe auch aussehen mochte. Der türkische Damast starrte von Schmutz, sowohl an den Aermeln wie an den Taschen und vorn herab, die Ränder glänzten ordentlich. Auch ein altes rothbaumwollenes Taschentuch, das ihm rechts mit einem langen Zipfel heraushing, erschien nur wie eine nichts verbessernde Draperie. Das Hemd, welches er außerdem ohne Halstuch und nur vorn mit einem Band zugebunden trug, gehörte – wenn nicht einer andern Generation, doch jedenfalls einer andern Woche an, und der große goldene Siegelring, der ihm dabei am rechten Zeigefinger stak, konnte nicht dazu dienen, die Toilette zu erhöhen.

      Als er des jungen Fremden ansichtig wurde, warf er einen eben nicht freundlichen Blick auf ihn, erwiderte seinen Gruß auch nur durch ein ähnliches Knurren wie vorher, und sagte dann mürrisch:

      „Sind Sie denn noch in X., Herr von – Wie heißen Sie gleich?“

      „Von Goldstein, Herr Köfer.“

      „Ja so – also Herr von Goldstein – ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie hier den Erfolg unserer Anfragen nicht abwarten sollten!“

      „Aber ich kann nicht fortkommen, verehrter Herr,“ sagte der junge Mann schüchtern – „wenn Sie nur im Stande /33/ wären, mir hier zwei oder drei Gastrollen auszuwirken – ich würde mich ja mit einem sehr mäßigen Honorar begnügen.“

      „Und weshalb sprechen Sie nicht selber mit dem Director?“

      Der junge Schauspieler zuckte mit den Achseln. „Es war Alles vergeblich,“ sagte er, „dreimal habe ich schon den Versuch gemacht.“

      „Und was soll ich Ihnen denn nützen?“ frug Herr Köfer barsch; „habe ich ein Theater, oder soll ich Sie hier im Comptoir spielen lassen? Sie sehen, ich bin beschäftigt, Herr von – von Goldstein, und kann auch in der That nichts weiter für Sie thun.“

      „Wenn Sie nun,“ bemerkte der junge Schauspieler schüchtern, indem der Agent schon wieder einen Brief aufbrach – „mir auf die künftige Gage, von der ich Ihnen ja doch die ausbedungenen Procente schulde, nur einen kleinen Vorschuß leisten wollten – nur so viel, als ich nothwendig brauche, um –“

      „Ein Austernfrühstück zu geben – heh?“ sagte Herr Köfer mit einem malitiösen Lächeln – „glauben Sie, daß ich ein Millionär bin, um den herumvacirenden Herren Schauspielern mit Darlehen unter die Arme zu greifen, und habe ich nicht etwa schon genug Verlust durch Ihre ewigen Störungen gehabt?“

      „Aber an wen sonst soll ich mich wenden?“ sagte Herr von Goldstein in halber Verzweiflung. „Sie kennen meine Familie – Sie wissen, daß Ihnen das Geld unverloren ist, wenn sie sich auch jetzt von mir losgesagt.“

      „Thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich ungeschoren,“ bemerkte Herr Köfer, indem er wieder einen Brief öffnete. „Glauben Sie denn, daß ich von der Luft lebe, und habe ich schon das Geringste von Ihnen gehabt – Scherereien und Abhaltungen und Correspondenzen ausgenommen? – Sie waren bis jetzt nicht einmal im Stande, mir das ausgelegte Porto zu vergüten, und glauben dann auch noch, man soll da Lust und Liebe zur Sache behalten und mit Eifer darangehen?“

      ,,Aber ich weiß nicht einmal, wie ich hier fortkommen soll!“

      /34/ „Das geht mich nichts an,“ brummte Herr Köfer, indem er den jungen Mann gar nicht mehr ansah, „verkaufen Sie Ihre goldene Bummelage an der Uhr, man kann auch ohne das ein guter Schauspieler sein – oder machen Sie sonst, was Sie wollen.“

      Der Setzerjunge kam in diesem Augenblick in’s Bureau und brachte eine Correctur der Theaterzeitung, auf der aber noch eine halbe Spalte weiß gelassen war und ausgefüllt werden mußte, und Herr Köfer frug:

      „Ist denn Herr Doctor Lerche noch nicht dagewesen?“

      „Nein, Herr Köfer,“ lautete die Antwort des einen Schreibers zurück.

      „Wo bleibt denn nur der verzweifelte Mensch heute so lange? Der Junge mag warten – er muß gleich kommen, und es ist die höchste Zeit, daß die Nummer fertig wird.“

      Von Herrn von Goldstein nahm Niemand mehr Notiz, und der unglückliche Künstler entfernte sich endlich, ohne daß ihm auch nur Jemand für seinen Gruß gedankt hätte.

      Auf der Treppe noch begegnete er einem andern Herrn, der aber weit zuversichtlicher auftrat. Er war ebenfalls etwas auffallend gekleidet, hatte aber ein intelligentes, scharfgezeichnetes Gesicht und jedenfalls Selbstvertrauen. Er klopfte auch gar nicht an, sondern öffnete die Thür und schritt direct auf den immer noch mit Durchsehen der Briefe beschäftigten Köfer zu, ohne selbst seinen Hut abzunehmen.

      „Lieber Köfer – guten Morgen.“

      „Ah, Herr Bomeier,“ sagte Herr Köfer, indem er ihm die noch ungewaschene Hand reichte, die der Fremde aber im Schutz seiner Glacehandschuhe kräftig schüttelte – „sehr angenehm, Sie bei mir zu sehen, ging ja famos gestern Abend, wie ich gehört habe – und noch dazu ein neues Stück – allen Respect, die Direction wird glücklich sein, Sie zu gewinnen.“

      „Bitte, lieber Köfer – keine Complimente,“ sagte der gefeierte Künstler lächelnd – „es machte sich. Habe auch mein Engagement schon gestern Abend noch mit der Direction abgeschlossen, eben Contract unterzeichnet und wollte Sie nur bitten, mich von jetzt an als Abonnenten Ihres geschätzten /35/ Blattes zu betrachten. – Hier im Couvert finden Sie meine Adresse – nicht wahr, das Abonnement wird vierteljährlich pränumerando bezahlt?“

      „Ist so Usus, verehrter Herr.“

      „Schön – ich habe für das erste