Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754955482
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Du Dich nicht aussetzen?“ lachte Kurt.

      „Nein,“ sagte Alfred ganz bestimmt. „Ich war noch ein paar Mal bei Rankhorsts, aber die jungen Damen haben es förmlich darauf abgesehen, mich verwirrt zu machen. Ebenso muß der alte Oberforstmeister mit in das Geheimniß gezogen sein, denn er wollte sich neulich, als ich – als ich, nun, als ich wieder einmal nicht wußte, welchen von den beiden kleinen Teufeln ich vor mir hatte,“ setzte er ärgerlich hinzu, „vor Lachen förmlich ausschütten, und zum Auslachen halte ich mich doch zu gut.“

      „Und weißt Du nicht, daß wahre Liebe ewig ist? Erinnerst Du Dich noch der Worte, die Du mir damals auf meine Vernunftgründe entgegnetest?“

      „Allerdings,“ sagte Alfred mürrisch; „wahre Liebe muß dann auch einen festen Gegenstand haben, auf dem sie haften kann, und Einem nicht fortwährend vor den Augen herumflirren. Für wahre Liebe gehört ein bestimmter Gegenstand, dem man sie zuwendet, ich gebe Dir aber mein Ehrenwort, daß ich bis auf die Stunde noch nicht weiß, welche von den beiden Schwestern Hulda oder Paula ist. Also lebe wohl!“

      „Und Du willst wirklich fort –?“

      „Meine Sachen sind schon auf dem Bahnhofe.“

      „Und Hulda?“

      „Versuch’ Du Dein Glück bei ihr, wenn’s Dich gelüstet; meine besten Wünsche hast Du dazu. Wenn Du aber anfängst, confus zu werden, so erinnere Dich: daß ich Dich vorher wohlmeinend gewarnt habe, und zwar ich, der Jüngere.“

      ______________

      Lieutenant von Bersting, verließ etwa eine Stunde später, ohne sich von Rankhorsts auch nur verabschiedet zu haben, Dresden, um bald nachher wieder in seiner Garnison einzutreten. Drei Monate vergingen auch, ohne daß er von dort das Geringste hörte. Da erhielt er eines Tages einen /120/ Brief mit dem Dresdener Poststempel, und als er ihn öffnete fand er eine gedruckte Verlobungsanzeige.

      Hulda von Rankhorst.

      Kurt von Sternbach.

      Dresden. Großgeringen.

      Darunter aber hatte Kurt nur die wenigen Worte geschrieben:

      „Am 25. December ist unsere Trauung; wenn Du mir eine Freude machen willst, so komm dazu nach Dresden.

      Dein Kurt.

      Hulda und Paula lassen freundlich grüßen!“

      „Ja wohl,“ sagte Alfred vor sich hin und langsam dazu mit dem Kopfe nickend, „weiter fehlte mir gar nichts. Daß ich wieder als erstes Entrée der Falschen gratulire und die Braut und Schwägerin in einem fort verwechselte. Nein, mein lieber Kurt, ich gönne Dir Dein Glück aus vollem Herzen, aber mich bekommt Ihr nicht wieder dahinein.“ Und ohne Weiteres an seinen Schreibtisch eilend, warf er ein paar Zeilen auf’s Papier, siegelte sie ein und sandte sie augenblicklich zur Post. Der Brief lautete:

      Lieber Kurt!

      Meine herzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche zu Eurer Verbindung. Was Deine freundliche Einladung betrifft, so bedauere ich in der That, ihr nicht folgen zu können, da mich der Dienst hier an die Scholle bannt. Ich passe auch nicht mehr in fröhliche Kreise; ich habe mich, seit wir uns gesehen, sehr verändert und bin ernst und gesetzt geworden. Erfahrungen reifen den Mann, und ich glaube fast, ich habe klüger gehandelt, als mancher Andere, der mir gerade an Jahren überlegen ist. Ich beabsichtige überhaupt nicht mehr zu heirathen; die Frauen – stammen alle von Eva ab, und ich glaube fast, man hat nie mehr nöthig Jemandem Glück zu wünschen, als wenn er im Begriff steht mit Einer ihrer Töchter vor den Altar zu treten.

      Uebrigens sende ich Dir als Hochzeitsgeschenk die Abschrift des kleinen Gedichtes „Frau und Schwägerin“. Ich thu’ es nicht aus Bosheit, sondern nur um Dich auf das vor /121/ zubereiten, was Deiner wartet, wenn Du erst Hulda – ich bin in diesem Augenblick nicht gleich im Stande mich zu erinnern, welche von den beiden Schwestern Hulda ist – die Deine nennst.

      Lebe wohl, Kurt, grüße Deine liebe Braut und Deine genau so liebe Schwägerin, und behaltet in freundlichem Andenken

      Euern

      Alfred von Bersting.

      Der Vierzehnte

      Erstveröffentlichung: "Der Bazar. Illustrirte Damen-Zeitung.- Berlin: L. Schaefer. 1871."

      1.

      Es war Markttag. Durch die Straßen und in der Nähe der Hauptplätze wälzte sich eine dichte Menschenmenge; Droschken fuhren, Fleisch- und Gemüsenwagen füllten den Fahrweg, während Dienstleute und Köchinnen mit großen, schweren Handkörben die Trottoirs dermaßen beengten, daß man ungestoßen gar nicht – und auf alle Fälle nur sehr langsam vorrücken konnte.

      Wem freilich nicht daran lag, rasch von der Stelle zu kommen, dem mochte, wenn sich seine Aufmerksamkeit darauf lenkte, in den verschiedenen Gruppen mancher stille Genuß geboten werden. Der galante Dienstmann zum Beispiel, der dort mit rother Mütze, rothem Kragen und rother Nase für einen Silbergroschen Honorar dem hübschen Dienstmädchen den Marktkorb nach Hause trägt und sie dabei angenehm zu unterhalten sucht. Eine Menge von Damen dort, die sonst nur in Seide, wie überhaupt eleganter Toilette ausgehen, jetzt aber mit dem „Markthut“ und in bescheidenstem Kattunkleid wahrlich nicht zu ihrem Vorteil gegen die sauberen Köchinnen mit ihren schneeweißen Schürzen, bloßen Armen und netten Hauben abstechen. Dort sucht eine Dame in einer etwas abgetragenen Sammetmantille, unter der sie selber den Korb verborgen hat, sonst aber äußerst vornehm und reservirt, einer Marktfrau drei Pfennige an Blumenkohl abzuhandeln und steckt dabei die derbsten Redensarten der alten Hökerin ruhig ein. Da drüben steht ein Sergeant; er hat sie gefunden, und sie ihren Marktkorb neben sich gestellt, um ihm einige wichtige Mittheilungen zu machen. Beide sind auch in so eifrigem Gespräch begriffen, daß weder er noch sie bemerkt, wie es – ein großes Windspiel nämlich, ein Stück Fleisch von etwa drittehalb Pfund Gewicht vorsichtig und sehr zum Ergötzen einiger beobachtenden Schusterjungen aus dem Korbe zieht und dann in voller Flucht damit die Straße entlang und den Leuten zwischen die Füße rennt.

      Dort drüben entwickelt sich ein Hauptskandal: der Marktmeister hat, wie sich herausstellt auf Denunciation – bei einer ziemlich resolut aussehenden Butterfrau einzelne Stücken gewogen, zu leicht befunden und den ganzen Waarenvorrath derselben confiscirt. Die Denunciantin war aber leichtsinnig genug gewesen, sich wieder mit an Ort und Stelle zu wagen und ihre Genugthuung darüber auszudrücken. Arme „Frau Räthin“! sie konnte Gott danken, als sie nur endlich die Reihe, zwischen der sie förmlich Spießruthen lief und von deren Insassen sie mit faulem Obst und kleinen Handkäsen in sinniger Weise beworfen wurde, erst wieder hinter sich hatte, und es bleibt die Frage, ob sie sich je wieder, außer in Verkleidung, auf den Markt wagen darf.

      Und welche interessanten Persönlichkeiten trifft man selber unter den alten Marktweibern, die man aber nicht immer nach ihrem Geschäft, und daß sie da um ein paar Pfennige mit Gemüse handeln und sich ereifern, beurtheilen soll. Es sind Frauen unter ihnen, die ihr eigenes Haus und Grundstück mit Garten, wie ein nicht unbedeutendes Vermögen besitzen, von dem sie recht gut und behaglich, ohne weitere Anstrengung und besser als manche Dame in einer Sammetmantille, leben könnten.

      Da drüben die dicke Frau mit dem rothen, runden Gesicht, dem kleinen Schnurrbart auf der Oberlippe, der scharf gestärkten Falbelhaube, die ihren dicken Kopf wie ein Heiligenschein umgiebt, und die nur schlichtweg unter ihren Bekannten „die Lohbergern“ genannt wird, hat ein Vermögen von über /124/ fünfzigtausend Thalern, ein sehr hübsches, wenn auch kleines Haus mit natürlich einer „guten Stube“ und giebt Kaffeegesellschaften, die sich „gewaschen haben“. Aber trotzdem sitzt sie Winter und Sommer, in Sonne und Regen auf ihrem Stand, bei großer Kälte mit einem Kohlenbecken unter den Füßen, bei Hitze mit einem riesigen Strohhut auf dem Kopfe, und verkauft selbst die kleinsten Quantitäten von Gemüse, sogar für einen Dreier Petersilie mit der liebenswürdigsten Geduld – so lange man ihr nämlich die Preise zahlt, die sie fordert; denn handeln läßt sie nicht mit sich, ausgenommen manchmal von einer armen Frau. Gnade Gott aber, wenn ihr eine „Dame“ in einem schlumpigen Seidenkleid einen geringeren Preis bietet!

      Mitten