Er war noch damit beschäftigt, die verschiedenen Weinsorten zu ordnen und die Leute anzuweisen, in welcher Reihenfolge sie auf die Tafel gebracht werden sollten, als seine Tochter Erna, ein liebes Mädchen von kaum mehr als neun /129/ zehn Jahren, die bis jetzt noch nicht an ihre Toilette gedacht hatte, weil sie immer in einer halben Stunde mit derselben fertig wurde, mit verschiedenen Anordnungen beschäftigt, über den Vorsaal schritt. Ihr Bruder Karl, der seine Studien beendet und gerade sein Examen gemacht hatte, begleitete sie und trug sehr artig einen Korb mit den verschiedenartigsten, nothwendig gebrauchten Gegenständen.
„Kann ich Dir etwas helfen. Papa?“ sagte Erna, als sie an ihm vorüberging und nur einen Moment neben ihm stehen blieb.
„Nein, mein Herz,“ erwiderte der Geheime Regierungsrath, der, die Brille auf der Nase und einen Zettel in der Hand, eine Batterie von Flaschen herauf beschwor, als ob er ein paar hundert durstige Kehlen und nicht eine kleine ausgewählte Gesellschaft zu versorgen habe – „ich danke Dir. Das hier muß ich Alles allein besorgen, oder es kommt mir nachher Confusion hinein, und von Tisch steh’ ich nicht gern wieder auf, wie Du weißt.“
„Schön, Papa,“ nickte ihm freundlich Erna zu, „dann besorge ich und Karl das Andere – Du siehst, er ist außerordentlich liebenswürdig, und ich denke, daß wir in einer Viertelstunde Alles fertig haben.“
„Gut, mein Kind, gut,“ sagte der Geheime Regierungsrath geschäftig; „apropos, was ich Dir noch gleich sagen wollte, Finanzrath Blum hat eben absagen lassen. Er mußte in Dienstgeschäften verreisen.“
Erna war eben im Begriff gewesen, das kleine Gemach, in welchem der Vater seine Flaschenbatterien aufpflanzte, zu verlassen – Karl war schon in den Speisesaal getreten, um seine Last abzusetzen – aber erschreckt blieb sie in der Thür noch stehen und rief:
„Finanzrath Blum hat abgesagt, Papa? – aber das ist ja doch gar nicht möglich, eine Stunde vor dem Diner – das kann nicht möglich sein.“
„Und weshalb nicht, mein Herz?“ erwiderte ihr Vater, der eben aufmerksam überwachte, wie der eine Lohnbediente den Champagner und Rheinwein in große Kübel mit Eis brachte, aus denen sie dann in silbernen Abkühlern auf die /130/ Tafel geschafft werden sollten. „Der Brief ist allerdings etwas verspätet abgegeben, aber Geschäfte oder vielmehr Dienstangelegenheiten gehen vor und können eines Diners wegen nicht hintangesetzt werden.“
„Aber Papa, dann sind wir ja dreizehn bei Tische!“ rief Erna erschreckt aus, „das geht ja gar nicht!“
„Hm,“ bemerkte der Geheime Regierungsrath, indem er seine Tochter überrascht ansah, und er wußte genau, wie seine Gattin darüber dachte – „dreizehn? Das wäre ja merkwürdig! Wie kommt denn das? – Bist Du abergläubisch?“
„Ach Papa, ich gewiß nicht,“ sagte Erna, „ich würde mich eben so gern mit zwölf wie mit dreizehn Personen zu Tische setzen, aber Mama ist so ängstlich. Da Hofrath Morling schon vorgestern absagte, hatte sie ja nur zu dem Zweck allein den Finanzrath eingeladen – und nun kann der unglückselige Mensch nicht und meldet das im letzten Augenblick!“
„Daran habe ich allerdings gar nicht gedacht,“ sagte der Geheime Regierungsrath bestürzt – „das ist sehr fatal, und ich weiß wahrhaftig nicht, was wir da anfangen wollen.“
„Was ist denn, Papa?“ frug Karl, der eben aus dem Speisesaal zurückkehrte – „was habt Ihr denn, Ihr seht ja Beide so verdutzt aus?“
„Ach, Karl,“ meinte die Schwester, „es ist eigentlich nichts; es hat Jemand abgesagt, und wir sind jetzt gerade dreizehn bei Tische.“
„Gerade dreizehn?“ lachte ihr Bruder, „und was thut das, Schatz? Ihr seid doch nicht etwa abergläubisch?“
„Abergläubisch, ach nein,“ meinte die Schwester, und doch etwas verlegen, „aber die Mutter hat darin ihre eigenen Ansichten; – viele andere Leute haben es ebenfalls nicht gern, und man weiß bei einer solchen Gesellschaft dann nie, wen man vielleicht sehr unangenehm dadurch berührt. Es gehört keinenfalls zum guten Ton, ein Diner von dreizehn Gedecken zu serviren.“
„Ihr seid komische Leute,“ lachte Karl gutmüthig, „aber wenn Euch das wirklich genirt und als unpassend erscheint, dann laßt mich weg – ich mache mir außerdem nichts aus /131/ solchen steifen Diners und schenk’ es mir gerne. Nachher seid Ihr nur zwölf, und Mama kann sich vollkommen beruhigen.“
„Das ist sehr liebenswürdig von Dir, mein Sohn,“ sagte der Geheime Regierungsrath, „aber es geht nicht, denn Deinetwegen besonders habe ich das Diner arrangirt.“
„Meinetwegen, Papa?“ rief Karl verwundert aus.
„Ja, Deinetwegen,“ wiederholte der Vater, „um Dich nämlich der Excellenz, dem Herrn Staatsminister vorzuführen. Du suchst jetzt eine Carrière, und es ist meine Pflicht und Schuldigkeit, Dir darin Vorschub zu leisten.“
„Und soll das bei einem Diner geschehen, Papa?“
„Se. Excellenz lernt Dich wenigstens erst einmal kennen,“ sagte der Geheime Regierungsrath nach kurzer Pause – „und – das Uebrige findet sich dann später.“
„Dann werde ich Kopfweh bekommen, Papa,“ warf Erna ein – „ich weiß, Mama würde unglücklich sein, wenn sie zu dreizehn an einem Tische sitzen müßte.“
„Das geht eben so wenig, mein Kind,“ erwiderte der Vater. „Du weißt, wie Elvira von Degen an Dir hängt, und wir geriethen da in eine Reihe von Lügen hinein, die sich unter keiner Bedingung rechtfertigen ließen.“
„Dann wird es das Beste sein,“ bemerkte Erna, „wir sprechen einmal mit Mama darüber und hören ihre Ansicht, oder wir haben ihr sonst den ganzen Abend verdorben. Sie klagte so schon wieder heute über ihre Nerven.“
Der Geheime Regierungsrath seufzte tief auf, denn der Schrecken aller Schrecken war für ihn gerade das Nervencapitel, das überdies eine bedeutende Rolle in seinem ehelichen Leben spielte. Erna aber hatte Recht; unter diesen Umständen war es geboten, die Mutter von dem unangenehmen Zwischenfall in Kenntniß zu setzen. Es lag allerdings nicht der geringste vernünftige Grund vor, sich bei einem Diner von dreizehn Personen nicht eben so wohl zu fühlen, wie bei zwölf oder vierzehn, aber das, Gemüth der Menschen ist eben unberechenbar.
Erna übernahm es, der Mutter die Nachricht mitzutheilen und sie zu fragen, wie sie darüber beschließen wolle; aber schon nach zwei Minuten wurde der Gatte selber in das Toilettenzimmer citirt, denn der Gegenstand war zu wichtig und drin/132/gend, um nicht gleich und augenblicklich eine Erledigung zu verlangen.
Die Frau Geheime Regierungsräthin saß, mit einem großen weißen Pudermantel um, der ihre ganze Gestalt und ebenso den Stuhl verhüllte, vor dem großen Toilettenspiegel, während ihr Mädchen beschäftigt war, das nicht unschöne und noch sehr reichliche Haar der Dame zu kämmen und zu stecken. Die Frau Geheime Regierungsräthin bedurfte bei ihrer Frisur noch keiner fremden Beihülfe, sonst würde sie auch ihre Familie in die „Geheimnisse“ ihrer Toilette nicht eingeweiht haben.
„Ludwig!“ rief sie aber dem Gatten entgegen, wie er nur kaum das Zimmer betrat (Karl hatte sich ebenfalls dem Zuge angeschlossen), „das ist ja erschrecklich! Der entsetzliche Mensch, der Finanzrath, hat abgesagt?“
„Dienstgeschäfte, liebes Kind – dagegen läßt sich nichts machen.“
„Und so spät, das ist doch höchst unschicklich; aber es sieht ihm ähnlich – es ist einer der rücksichtslosesten Menschen, die ich kenne. Und was fangen wir jetzt an?“
„Und ist es Dir wirklich so unangenehm, zu dreizehn an einem Tische zu sitzen, liebes Herz,“ sagte ihr Gatte, vorsichtig erst einmal vorausfühlend – „ich hielt Dich in dieser Hinsicht für viel zu aufgeklärt, um an einen solchen alten Aberglauben –“
„Aber ich doch nicht,“ rief die Frau Geheime Regierungsräthin, indem sie erst noch