Dark World I. Tillmann Wagenhofer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tillmann Wagenhofer
Издательство: Bookwire
Серия: Dark World
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750225602
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Gebiet, aber darauf gaben vor allem manche Raubtiere nicht sehr viel. Schon als sie aufstieg, wusste Maddy tief in ihrem Inneren, dass sie genau hier, auf dem Rücken eines Ecars, eines so kraftvollen und nur mühsam zu bändigenden Tieres - ähnlich ihres eigenen Wesens - zuhause sein würde. Dass sie es sein wollte! Ein Gefühl von Sehnsucht packte sie. Selbst durch die Lederkleidung und das Leder des Sattels hindurch spürte sie das Pulsieren der Muskeln und das simultane Schlagen der beiden kräftigen Herzen des Tieres. Ein unbewusstes Lächeln umspielte ihren Mund, als Ivan ihr den Weg freigab. "Du kannst...aber langsam, Mad Cat", grollte der Ausbilder. Die junge Rekrutin nickte, machte ein ernstes Gesicht, aber genau das ließ Ivan misstrauisch werden. Doch Maddy hatte das Tier bereits angetrieben. Die sechs Beine des Ecars sorgten dafür, dass der Ecar schnell an Tempo zulegte, gleichzeitig aber auch weit weniger Bewegungen auf den Reiter übertrug als bei einem Pferd (was natürlich niemand wissen konnte, denn Pferde gab es schon lange nicht mehr, sie waren vermutlich von ihren fleischfressenden Nachfolgern verputzt worden). Schon nach den ersten paar Dutzend Metern hatte Maddy die noch zaghaft anreitenden Kameradinnen weit hinter sich gelassen - und, wie sollte es anders sein, auch die Ermahnung von Ivan völlig vergessen.

      Einen schrillen, begeisterten Schrei ausstoßend, trieb Maddy den Ecar weiter an, der sich dies nicht zweimal sagen ließ. Schon recht schnell flog das Tier samt Reiterin förmlich über die Ebene, immer weiter in die Ödlande hinein. Maddys Haare wehten im Wind, es war ein Gefühl, als müsse sie nur die Arme ausbreiten - und sie würde davonfliegen, immer höher und höher. Jauchzend genoss sie es, fühlte sich frei wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie vergaß einfach alles, außer diesem unbeschreiblichen Empfinden jenseits aller Worte, die sie aussprechen konnte. Erst, als sie Last Hope nur noch weit, weit entfernt wie eine Stadt aus winzigen Bauklötzen sah, zügelte sie das Reittier. Minutenlang spürte sie die unbändige Freude in sich, die dieser schier unglaubliche erste Ritt hier draußen in ihr ausgelöst hatte.

      Keinen Moment hatte sie auch nur daran gedacht, dass sie eigentlich unsicher oder ängstlich angesichts der ungeheuren Geschwindigkeit hätte sein müssen. Nichts davon, nur Begeisterung. Bis ihr klar wurde, dass es bei ihrer Rückkehr Ärger geben würde. Ivan war ein guter, aber auch ein strenger Lehrmeister. Dass man seine Worte praktisch direkt vor den anderen Rekrutinnen missachtete, darüber konnte er nicht hinwegsehen. Hin- und hergerissen zwischen ihrer Begeisterung und der leisen Furcht vor Ivans Zorn ritt sie zurück. Der Riese war schon von weitem zu sehen, er stand mit verschränkten Armen da. Alleine, die anderen mussten mit ihren Aufsehern noch unterwegs sein. Als sie näherkam, konnte sie schon die starren, kalten Augen erkennen. Noch während sie abstieg und vor den Veteranen trat, suchte sie nach Ausflüchten, aber dann wurde ihr klar, dass Ivan nichts mehr hassen würde als faule Ausreden. Also sagte sie das, was sie sagen musste. "Ich bin vom ersten Übungsritt zurück...!" Er starrte sie an, schien auf etwas zu warten. Kalt und streng waren seine Augen. In Maddy kämpften Stolz und jene laute Stimme, die ihr dringend riet, es nicht mit dem Oberausbilder zu verscherzen. Es dauerte, aber dann siegte letzteres. "Ordensrekrutin Andrea der...zweiten Ausbildungsgruppe im Orden der Flamme, Last Hope...meldet hiermit, gegen einen Befehl verstoßen...zu haben. Herr", sagte sie mit fast schon heiserer Stimme. Plötzlich trat Ivan direkt vor sie hin. Sein grollender Tonfall war leiser als sie es je bei ihm gehört hatte. "Der Verstoß gegen einen Befehl im Feld wird mit dem Tode bestraft, Rekrutin Andrea. Dein Glück ist, dass wir hier nicht im Krieg sind. Aber das wird sehr oft in deinem Leben der Fall sein. Willst du dein Leben wegen deiner Disziplinlosigkeit wegwerfen, Mädchen?" Er betonte das "Mädchen" mit unverhohlener Verachtung, dass Maddy Mühe hatte, nicht ihren Mund aufzumachen. Ivan schüttelte den Kopf. "Wenn du nicht lernst, dich zu beherrschen…wenn du nicht einmal Kontrolle über dich selbst hast, wie willst du je andere kommandieren, wie je Verantwortung übernehmen?" Maddy biss sich auf die Lippe, schwieg aber klugerweise. Ivans Miene war völlig emotionslos, als er seine Peitsche zog. Maddys Mund wurde trocken, als sie es sah. Schon einige Male hatte sie mit allen anderen Ordensleuten an derart grausamen Bestrafungen von Waffenträgern und einmal von einem der Mönche anwesend sein müssen. "Du bist jetzt fünfzehn Jahre alt, den Gesetzen der Kirche nach eine erwachsene Frau und den Ordensregeln nach eine ausgebildete Kriegerin an der Schwelle zur Ritteranwärterin. Sag' du mir, welche Strafe du für dein Fehlverhalten verdient hast." Maddy glotzte ihn an, als hätte er sie gebeten, den Ecar auf ihren eigenen Händen zurück in den Stall zu tragen. "Was?" Noch nie hatte sie Ivan so wütend gesehen, wie er es nun blitzschnell wurde. "Du hast jedes meiner Worte verstanden, Andrea. DU bestimmst, wie viele Hiebe ich dir geben werde." Schlagartig stand Begreifen in ihrem Gesicht. Er wollte, dass sie Verantwortung übernahm. Dass ihr zu Bewusstsein kam, dass jede ihrer Taten Folgen haben würde - vor allem die schlechten Taten, eben jene, bei denen sie nicht nachdachte. Natürlich konnte sie jetzt ganz einfach ihren Trotz und ihren Stolz herauskehren, der ihr auch zuschrie, genau das zu tun, aber was wäre die Folge? Ivan würde sie verachten, in ihr nur ein verzogenes Kind sehen, das zu schwach war, sich im Griff zu halten. Niemals würde er solch eine Person als Ritter sehen wollen, niemals Vertrauen in so jemanden setzen.

      Maddy schaffte es irgendwie, den kalten Blick des Veteranen zu erwidern. Er erkannte die mühsam gebändigte Wildheit und den Stolz, den sie niederringen musste - genau, was er von ihr erwartete. "Ausbilder...Ivan…ich setze…die disziplinarische Maßnahme…" sie schluckte, kannte ihre eigene Stimme nicht mehr „…auf zehn Hiebe. Herr", brachte sie gerade noch hervor. Da, zum allerersten Mal, sah sie, wie der Veteran ein mildes Erstaunen nicht unterdrücken konnte, das aber rasch wieder hinter dem eisernen Panzer des Mannes verschwand. "Zehn Hiebe wurden festgelegt, aber ich mache fünf daraus, aufgrund deiner Unerfahrenheit und der Tatsache, dass zehn Hiebe die Anfangsstrafe für schwere Verbrechen ist. Fünf Hiebe. Ich überlasse dir die Wahl, sie als offizielle Bestrafung vor der gesamten Ordensmannschaft oder hier und jetzt zu erhalten." Maddy senkte den Kopf, auf seltsame Art und Weise erleichtert. Soweit man das in ihrer Situation sein konnte. "Herr, hier und jetzt...bitte."

      Ivan machte keine große Zeremonie daraus, er presste Maddy ein Stück Holz zwischen die Zähne, trat hinter sie. Die junge Frau hob das lederne Oberteil am Rücken, so dass dieser frei lag. "Eins..." Zuerst fühlte es sich eigentümlich kalt an, als die Peitsche die Haut traf, aber die Kälte schlug in einem Augenblick in glühende Hitze um. Maddy biss wie verrückt auf das Stück Holz, als der zweite Hieb eine weitere Schneise durch ihren Rücken zog, vage spürte sie, dass ihr Blut dort hinunterlief. Beim dritten Hieb schrie sie auf, ihr ganzer Rücken schien jetzt zu brennen, ihre Knie wurden weich. Der vierte und der fünfte Hieb knallten in rascher Folge auf ihren bloßen Rücken, so als wüsste Ivan, dass sie es nicht mehr lange aushalten würde, still dazustehen. Maddy fand sich auf den Knien wieder, ohne recht zu wissen, wie sie da hingekommen sein sollte, Schmerz und Qual erfüllte ihren Leib, das Stück Holz war ihr nach dem letzten Schlag aus dem Mund gefallen, aber sie achtete nicht mehr darauf. Starke, muskulöse Arme fingen sie auf, halfen ihr, bis ihre Kraft zurückkehrte. "Du kannst jetzt zum Heiler gehen, Maddy", sagte Ivan überraschend leise. Obgleich ihr das Leder über ihren zerschundenen Rücken kratzte, machte sie sich erhobenen Hauptes auf den Weg. Dem Schmerz nachzugeben, würde später, wenn sie alleine war, noch genug Zeit bleiben. Ebenso hätte sie dann aber auch die Zeit dafür, sich noch einmal das Gefühl reiner Freiheit in Erinnerung zu rufen.

      "Mad Cat...netter Name für eine kleine Hure wie dich", hörte sie hinter sich die nur allzu bekannte Stimme, die sie mittlerweile noch in ihren Träumen verfolgte. Es war eine Woche nach ihrem Ausritt, und natürlich hatte sie die Peitschenwunden in dem gemeinsamen Schlafraum der Rekrutinnen nicht geheim halten können. Wenn sie darüber nachdachte, hatte sie es eigentlich gar nicht versucht. Leider war die Tatsache ihrer Bestrafung damit auch Tom Kent zu Ohren gekommen, der ihr nun umso mehr nachstellte. Zu allem Unglück war es mitten in der Nacht, als sie gerade von einem ihrer geheimen Treffen mit Giant zurückkam. Da die Schlafsäle auf den gegenüberliegenden Seiten des Ordensgeländes lagen, musste Tom demnach in der Nähe in einem Versteck gewartet haben - nur, um sie noch außerhalb der Schlafräume abfangen zu können. Obwohl es Maddy kalt den Rücken hinunterlief, als der junge Adlige mit triumphierendem Grinsen hinter einer Säule hervortrat, wuchs ebenso schnell der Zorn. "Was machst du Arschloch um diese Zeit hier?", fragte sie kalt, ging damit gleich zum verbalen Gegenangriff über. Leider wurde die Wirkung ihrer Worte durch ihre noch immer ein wenig glühenden Wangen und die zerzausten Haare abgeschwächt, Nachwirkungen dessen, was Giant soeben mit ihr auf dem Dach der