Ich hielt kurz den Atem an, als ich meinen Namen aus Tchais Mund hörte. Die enthaltene Warnung aus seinen Worten verfehlten ihre Wirkung nicht, denn ich drückte mich unbewusst tiefer in Tchais schützende Umarmung.
„Wer ist er?“
Tchai antwortete nicht sofort und als er es tat, schwang ein gefährlicher Unterton und eine erneute Warnung darin mit.
„Er ist unberechenbar Prinzesschen und ich hatte gehofft das sich unsere Wege nicht all zu schnell wieder kreuzen. Vielleicht haben wir ja auch dank Krischans kleinem Amulett hier, etwas mehr Zeit dich auf ihn vorzubereiten. Denn eines ist sicher. Er hat dich gesehen, er weiß von Saii-ron und er wird jeden töten, der ihm im Weg steht.“
„Er will Saii-ron?“
„Ich befürchte, das sich seine Priorität etwas verlagert hat.“
„Was meinst du damit?“
Ich spürte, wie Tchai sich leicht anspannte. Er begann mit seinem Finger leichte Kreise auf meiner Haut zu ziehen. Trotz der ungewohnten Berührung blieb ich still liegen. Langsam fasste ich Vertrauen in Tchai und die Situation war sowieso schon seltsam genug.
„Deine Mutter hat dir anscheinend tatsächlich nichts über ihre Vergangenheit verraten. Ich denke jedoch, dass es besser ist, wenn Krischan dir davon erzählt.“
„Bitte Tchai!“
„Nur das wichtigste Prinzesschen, verstanden? Du wirst mir danach keine Fragen mehr stellen, auch dann nicht, wenn noch mehr dadurch entstehen!“
Ich zögerte kurz, doch dann nickte ich leicht.
„Also schön! Unser Land wird durch unzählige Allianzen und Handelsabkommen zusammen gehalten. Die Mächtigsten unter ihnen bilden den Kristallrat. Zu ihm zählt unter anderem auch mein verhasster Vater als Vertreter der Drachenwandler, genauso wie deine Mutter als Hohepriesterin der zehnten Generation. Zur Zeit der vierten Hohepriesterin wurde der Friedensvertrag zwischen den Drachenwandlern, Menschen, Dämonen und Magiern geschlossen. Saii-ron. Da die Hohepriesterin als besonders rein galt, übertrug man ihr die Aufgabe Saii-ron zu beschützen und den Frieden zu wahren. Der Kristallrat aber wusste, das die Gegner des Vertrages, nichts unversucht lassen würden, um den mühsam errichteten Frieden zu zerstören. Somit stellten sie der Priesterin einen weiteren Abgesandten zur Seite, um Saii-ron zu schützen. Unglücklicherweise fiel ihre Wahl damals auf mich und ich hatte keine schlagkräftigen Argumente mich dagegen zu stellen. Bevor du jetzt auf die Idee kommst, mich zu fragen was ich angestellt habe, um in eine Verbannung geschickt zu werden, lass es mich gleich abkürzen. Ich werde dir darauf keine Antwort geben. Um also Saii-ron von Innen zu stärken, verbannte man mich in den Kristall. Jeder der folgenden Hohepriesterinnen wurde es unter Strafe verboten, Saii-ron in seiner wahren, reinen Form anzusehen. Nur in einer Zeit der Gefahr und Not ist es der Hohenpriesterin erlaubt, denn sie kann dadurch den Bann brechen und mit mir einen tieferen Pakt zum Schutze des Kristalls eingehen. Nun, um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen, der fremde Reiter von heute Morgen verfolgt seine eigenen Ziele. Seine wahren Beweggründe kann ich dir auch nicht sagen. Ich weiß nur, dass es alles komplizierter machen wird.“
Tchai verstummte und die darauffolgende Stille weckte ein Gefühl der Beklommenheit in mir. Warum hatte meine Mutter mir das alles vorenthalten? Es war ein Teil meines Lebens und ich ahnte noch nicht einmal etwas davon. Wie hatte sie sich unsere Zukunft vorgestellt? Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn mir nicht Krischan und letztendlich auch Tchai zur Hilfe gekommen wären.
Einen kleinen Teil meiner Vergangenheit schloss sich in meinem Herzen ein, ein anderer war für immer verloren. Ich würde das Versprechen, das ich meiner Mutter gab einhalten und dafür sorgen das Saii-ron in Sicherheit war. Ich verstand zwar noch nicht warum ich Saii-ron zum Turm der Drachen bringen sollte, wenn meine Mutter damals vor dem Kristallrat von dort geflohen war. Vielleicht war die Gefahr, die mit den schwarzen Reitern hereingebrochen war, größer als wir ahnten.
Durch Tchai in meinem Rücken fühlte ich mich sicher. Ich spürte zwar das er etwas vor mir zurückhielt, doch ich hatte ihm versprochen nicht weiter nachzufragen. Morgen war schließlich auch noch ein Tag und ich würde Krischan und Tchai nicht in Ruhe lassen bis alle meine Fragen beantwortet waren.
Ich schloss erschöpft die Augen und sofort tauchte das Gesicht des Fremden in meinen Gedanken auf. Wer war er nur wirklich, dass selbst ein Drachenwandler ihm gegenüber vorsichtig war?
„Tchai ich weiß ich habe dir versprochen nichts mehr zu fragen“, murmelte ich leise.
Tchais leises Lachen erklang an meinem Ohr, doch in seiner Stimme war kurz darauf nichts mehr davon zu hören.
„Lass ihn nicht deine Gedanken beherrschen Prinzesschen! Wenn du ihm das nächste Mal begegnest, wirst du stärker sein. Bis dahin sind Krischan und ich an deiner Seite und diese kleine, nützliche Kette.“
Tchais Worte wurden immer leiser und ich ergab mich endgültig dem willkommenen Schlaf. Das Letzte, das ich noch hörte, war ein einziges, geflüstertes Wort, das ewig im Raum nachzuhallen schien.
Dazai!
3
Acht Jahre! Genau vor acht Jahren geschah dieser furchtbare Tag, an dem sich mein Leben vollständig änderte und nichts mehr so war wie zuvor. Die tiefe Trauer, die mich damals in ihrem Griff hatte, verging im Laufe des ersten Jahres. Krischan und Tchai hatten den Großteil dazu beigetragen. Ohne die Beiden wäre ich verloren gewesen. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.
Krischan war ein sehr guter und vor allem geduldiger Lehrer.
Durch ihn hatte ich alles über die Gesetze, Allianzen und Handelsabkommen unseres Landes gelernt. Genauso wie die Herkunft der einzelnen Völker und ihre Entwicklung bis zum heutigen Tag. Vor allem die Geschichte der Hohepriesterin mit all ihren Verpflichtungen und Riten hatte mir Krischan eingetrichtert.
Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht all das nachzuholen, was meine Mutter versäumt hatte mir beizubringen. Krischan war zu einem Vater- und Muttersatz für mich geworden.
Tchai dagegen war ein furchtbarer Lehrer. Er hatte meine Kämpferische Ausbildung übernommen. Zumindest hatte er es versucht. Ich legte seit dem brutalen Überfall keinen großen Wert mehr auf das Kämpfen. All den Kriegern aus meinem Dorf hatte es nicht geholfen. Tchai ließ das leider nicht gelten. Er meinte, dass ich mich wenigstens verteidigen können sollte.
So geduldig und einfühlsam Krischan in seinen Lehren war, so nervenaufreibend war das Training mit Tchai.
Seine aufbrausende, alles beherrschende Art trieb mich oft an meine Grenzen. Er schonte mich nicht im Geringsten und ich kam an unzähligen Abenden mit blutigen Schrammen und Kratzern zu Krischan nach Hause. Meinen Körper zeichneten blaue Flecken an Stellen, an denen ich nie gedacht hätte, dort einen bekommen zu können. Tchais Temperament überstieg meines bei weitem und es passierte oft genug, das wir uns beide in die Haare bekamen.
Unser gemeinsamer Pakt fesselte uns aneinander und aus zwei Hälften wurde in den vergangenen Jahren ein Ganzes.
Ich konnte mir mein Leben ohne Tchai nicht mehr vorstellen. Egal ob in seiner menschlichen Gestalt oder in der eines Drachen, wir verstanden uns blind und ich vertraute ihm bedingungslos.
Die berauschendsten Momente mit ihm waren, wenn er mich auf seinen Rücken mitfliegen ließ. Dort fühlte ich mich richtig frei und alles was ich mir wünschte war, das es niemals aufhörte.
Leider sind manche Wünsche nicht dazu gedacht in Erfüllung zu gehen. Ich seufzte und strich mit meinem Finger sachte über die Wasseroberfläche des Waldsees. Heute vor acht Jahren hatte ich das erste Mal Saii-ron in den Händen gehalten. Damals hatte ich den Wunsch das Versprechen gegenüber meiner Mutter einzuhalten.
Ich wollte Saii-ron zum Turm der Drachen bringen, jedoch überzeugten mich Krischan und Tchai vom Gegenteil. Sie wollten abwarten, welche Auswirkungen Saii-rons Auftauchen haben würde. Krischan war der Ansicht, das der Kristallrat