Dunkles Wasser - Heller Mond. Wolfgang Ommerborn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Ommerborn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754186251
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Anning, der wird dich beleben und inspirieren. Denk doch an unseren großen Dichter Li Bai. Der hat seine schönsten Gedichte geschrieben, als er vom Wein berauscht war.“

      Zhuowu leerte den Becher in einem Zug. Dann rezitierte er mit feierlicher Stimme den berühmten Dichter aus der Zeit der Tang-Dynastie:

      „Im Ostturm bin ich gestern eingekehrt

      Gewiss hat mir die Kappe schief gesessen

      Ich weiß nicht, wer mich hinaufschob auf mein Pferd

      Und wann es heimging, hab‘ ich auch vergessen.“

      Anning verzog eine Miene, als würde er in eine Zitrone beißen.

      „Ja, und als er eines nachts völlig betrunken eine Bootsfahrt unternommen hat, ist er ertrunken, weil er die Spiegelung des hellen Mondes auf dem dunklen Wasser umarmen wollte. Nein danke.“

      Zhuowu musste lachen, nahm Annings Becher und trank ihn aus. Dann bestellte er sich noch einen dritten Becher Wein.

       Die Prüfung

      

      Es war früher Morgen als Zhuowu das Gasthaus verließ, um sich auf den Weg zum nahegelegenen Prüfungsamt zu machen. Über der Stadt breitete sich ein wolkenlos blauer Himmel aus. Ein sonniger Tag kündigte sich an, nachdem es in der Nacht geregnet hatte. Die aufsteigende Sonne deckte alles in ein mildes goldenes Licht. Es wurde langsam warm. Vor dem Prüfungsgelände der Provinzhauptstadt bildeten sich lange Reihen von Männern, alten und jungen. Angestellte des Prüfungsbüros achteten darauf, dass es geordnet und gesittet zuging. Mit lauten Rufen sorgten sie dafür, dass keiner aus der Reihe tanzte. Manche der Wartenden redeten miteinander, andere standen nur ruhig und geduldig da. Es waren viele blasse und angespannte Gesichter darunter. Zhuowu entdeckte schließlich Anning am Ende einer Reihe und stellte sich zu ihm. In den umstehenden Bäumen lärmten die Vögel um die Wette.

      „Die haben keine Sorgen“, bemerkte Anning.

      Dabei zeigte er auf die Baumkronen und ihre vorlauten gefiederten Besetzer.

      „So weit sind wir schon gekommen“, lachte Zhuowu, „dass wir uns wünschen, schimpfende Spatzen zu sein.“

      Aber Anning war nicht zum Lachen zumute. Mit jeder Minute, die verstrich, schien er mehr in sich zusammenzusinken. Etwas weiter vorne fiel Zhuowu ein hochnäsiger junger Mann auf. Er trug ein teures Gewand aus Seide und würdigte die Umstehenden keines Blickes. Mit elegantem Schwung fächerte er sich mit einem teuren Sandelholzfächer Luft zu. Hin und wieder zog er ein parfümiertes Taschentuch aus seinem Ärmel, um daran zu riechen. Wenn ihm jemand zu nahekam, wich er angewidert einen Schritt zurück.

      „Schau dir den aufgeblasenen Angeber an“, sagte Zhuowu zu Anning, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, „der verhält sich so, als wären wir anderen nur untergeordnete Lakaien und als wäre es unter seiner Würde, uns auch nur anzusehen.“

      Doch Anning sah gar nicht hin. Der ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, dachte Zhuowu und ließ ihn in Ruhe. Auch den Angeber beachtete er nicht mehr. Solche Typen, die sich wegen ihrer Herkunft überheblich verhielten oder etwas darstellen wollten, das sie in Wahrheit nicht waren, waren ihm zuwider. Für sie hatte er nur Spott übrig.

      Als das Tor geöffnet wurde, kam Bewegung in die Wartenden. Zhuowu und vor ihm Anning rückten immer näher an den breiten Eingang heran. Das hölzerne Eingangstor war schlicht und in roter Farbe gestrichen, der Farbe des Glücks. Über dem Eingang hing eine Tafel mit der Inschrift „Tor zu Ruhm und Ehre“. Nachdem Zhuowu und Anning das Tor durchschritten hatten, standen sie in einem Vorhof einem großen Gebäude mit mächtigem Walmdach gegenüber, das mehrere Zugänge hatte, in welche die Prüflinge von den Angestellten mit lauten Rufen hineingeschoben wurden. Es ging zügig voran. Als Zhuowu das Gebäude betrat, verlor er Anning aus den Augen. Er sah sich um. In einer langen Reihe standen zahlreiche Schreibtische, an denen Beamte des Prüfungsamtes saßen und die einzelnen Kandidaten kontrollierten. Hinter jedem Beamten standen mit etwas Abstand jeweils zwei Angestellte. Kurz darauf wurde Zhuowu zu einem gerade frei gewordenen Schreibtisch gerufen.

      „Die Unterlagen“, herrschte ihn eine krächzende Stimme an.

      Ihm gegenüber hockte ein älterer Beamter, der seine Papiere prüfte und ihn dann eine Zeitlang schweigend musterte. Zhuowu stand aufrecht vor ihm. Seine Augen hielten dem bohrenden Blick des Beamten stand. Er wirkte selbstsicher und herausfordernd. Der Beamte war es gewohnt, dass die Kandidaten mit weichen Knien und ängstlichem Blick vor ihm standen. Dieser war anders. Es ärgerte ihn, dass er ihn nicht einschüchtern konnte.

      „Dir wird der Hochmut in den nächsten Tagen schon vergehen“, bemerkte der Beamte.

      Er gab einem der hinter ihm wartenden Angestellten ein Zeichen, worauf dieser unterwürfig nach vorne eilte und Zhuowu einen Zettel mit einer Nummer in die Hand drückte.

      „Deine Zellennummer,“ knurrte der Beamte.

      Dann warf er noch einmal einen finsteren Blick auf Zhuowu.

      „Weitergehen.“

      Zhuowu war froh, den missgelaunten Staatsdiener hinter sich gelassen zu haben und gelangte nun in den Kontrollbereich.

      „Junger Herr, legt bitte Euer Gewand ab“, wurde er höflich angesprochen.

      Er blickte in das freundliche Gesicht eines Angestellten, der ungefähr sein Alter hatte. Oh, es gibt auch nette und höfliche Menschen hier, dachte Zhuowu und lächelte sein Gegenüber an. Dann wurde er einer genauen Leibesvisitation unterzogen. Alles wurde akribisch durchsucht, seine Kleidung und der Inhalt seines Beutels. Wie alle Kandidaten durfte er nur Tuschstein, Pinsel, ein Wassergefäß und Essen für drei Tage, außerdem einen Nachttopf, eine Decke und Kerzen mitbringen. Während der Überprüfung bekam Zhuowu mit, dass es nicht weit von ihm an einer der Kontrollstationen Ärger mit einem der Prüfungskandidaten gab. Als er hinsah, erkannte er, um wen es sich handelte. Es war der aufgeblasene Prüfling, der ihm schon vor dem Tor aufgefallen war.

      „Was ist das denn hier in dem Gewand? Da ist doch was im Saum eingenäht“, hörte er die Stimme des Kontrolleurs.

      „Finger weg von meinem kostbaren Seidengewand. Das kostet mehr, als du in einem Monat verdienst. Wenn du es fleckig machst, wird es Ärger geben.“

      Der hochmütige und herablassende Ton konnte den Angestellten nicht einschüchtern. Mit Hilfe eines herbeigerufenen Kollegen öffnete er den Saum des Gewandes und holte mehrere kostbare Goldmünzen hervor.

      „Das ist mein Reisegeld“, sagte der Ertappte mit immer noch herablassender Stimme, „man hat ja einen bestimmten Lebensstandard.“

      Dabei sah er mit arrogantem Gesichtsausdruck auf die Angestellten.

      „Reisegeld, ach so. Und warum habt Ihr es jetzt dabei? Hier braucht Ihr kein Reisegeld.“

      „Ich verbitte mir den Ton, Büttel“, rief der Angesprochene mit zorniger Stimme.

      Sein Gesicht wurde feuerrot. Der Angestellte ließ sich nicht beirren. Er rief einen Beamten zu seiner Unterstützung herbei.

      „Es dürfte dir bekannt sein, dass es strengstens untersagt ist, Geld auf das Prüfungsgelände mitzunehmen“, erklärte der Beamte dem jungen Mann mit scharfer Stimme, „Reisegeld? Du glaubst wohl, du kannst uns täuschen. Das ist Bestechungsgeld. Du willst die Wächter oder Angestellten bestechen. Das haben wir hier schon oft genug erlebt. Damit bist du von der Prüfung ausgeschlossen.“

      Der Ertappte protestierte lauthals. Aber mittlerweile hatten ihn schon mehrere Wächter umringt und zerrten ihn unsanft aus dem Gebäude heraus. Zhuowu hörte noch seine sich überschlagende Stimme.

      „Das wird euch teuer zu stehen kommen ... Ihr wisst wohl nicht, wer ich bin, ihr elenden Hunde. Mein Vater ist ein hoher Würdenträger, der Einfluss am Hof hat. Der wird es euch heimzahlen, ihr stinkenden Ratten …“

      Zhuowu schüttelte den Kopf. Vielleicht solltest du dich für eine