Auch meine Garderobe war inzwischen auf ein spärliches, unmodernes Häufchen zusammen geschrumpft, während ich voller Neid zusehen musste, wie meine Schwester jede Woche mit chicen, neuen Klamotten nach Hause kam. Bei Heides gutem Verdienst konnte sie sich ständig neues leisten.
Ich stand mit langer Nase daneben. Wenn ich dann mal vorsichtig anfragte, ob sie mir mal einen Rock oder Pulli leihen würde, kam sofort die Forderung, entweder 50 Pfennig Leihgebühr oder Haare machen. Bei meinem bescheidenen Taschengeld blieb mir nur die zweite Variante. Also stand ich sonntags mittags in unserer Küche, und quälte mich ab, aus den Pferdehaaren meiner Schwester eine Frisur zu zaubern. Ich hasste diese Arbeit. Und ich hasste meine Schwester.
Immer öfter sprach ich davon, wieder zu arbeiten, und dass ich am liebsten in Roberts Nähe sein würde.
Nach langen Diskussionen willigte meine Mutter endlich ein, mich ziehen zu lassen.
Mit meiner Oma hatte ich längst vereinbart, dass sie sich tagsüber um Ramona kümmern werde, wenn ich wieder arbeiten ginge. Dass ich dann so weit weg war, in Idar-Oberstein, spielte für meine Oma keine Rolle. Sie war sowieso voll auf die Betreuung meiner kleinen Tochter konzentriert, sodass meine Anwesenheit unwichtig war. Auf die Betreuung durch meine Familie hatte ich eh keinen Einfluss, denn jeder wusste und machte es besser als ich, was ich mir aber gerne gefallen ließ.
Also suchte ich mir in den Stelleinanzeigen der Rhein-Zeitung einen Arbeitsplatz in Rheinland-Pfalz.
Das passende Angebot schien mir ein kleines Hotel im Grünen, am Stadtrand zwischen Idar-Oberstein und Baumholder zu sein. Dort suchte man ein freundliches Zimmermädchen, mit der Fähigkeit zum Servieren, bei gutem Verdienst, mit Kost und Logis im Haus. Zimmer sauber machen konnte ich schließlich, und gekellnert hatte ich auch lange genug.
Nach kurzem Schriftverkehr bekam ich einen monatlichen Verdienst von 350 DM, bei freier Kost und Logis, offeriert, und als ich einverstanden war, wurde ich, ohne Vorzeigen irgendwelcher Zeugnisse oder Unterlagen, sofort angenommen. Man erwartete meine Anreise.
Robert freute sich genau so wie ich, denn endlich konnten wir wieder zusammen sein. Ohne Zögern stieg ich, kurze Zeit nach Roberts Besuch, in freudiger Erregung, in die Bundesbahn, um meinen Arbeitsplatz anzutreten.
Das kleine Hotel war sehr abgelegen, von der Bundeswehr-Kaserne circa 20 km entfernt, schon fast im Nachbarort Baumholder, nahe dem amerikanischen Militärstützpunkt.
Das brachte die Schwierigkeit mit sich, dass Robert zwar in der Nähe war, aber trotzdem zu weit von mir. Da er wegen seiner verbotenen Fahnenflucht, 6 Wochen Ausgangssperre hatte, war Wartezeit angesagt. Also war in den ersten vier Wochen nicht an ein Zusammentreffen zu denken.
Während der Einarbeitungszeit fand ich die Arbeit akzeptabel, denn die wenigen Zimmer waren nur teilweise belegt, deshalb die Reinigung der Räume leicht zu bewältigen. Dass ich vorher noch das Frühstück vorbereiten musste, machte mir, am Anfang, ebenfalls keine Mühe. Schwierig wurde es erst, als die Abende in der Hotelbar länger wurden, weil viele amerikanische Soldaten gerne die Bar besuchten. Denn, dass der abendliche Barbetrieb, bis 1 Uhr morgens, auch noch zu meinen Aufgaben gehörte, hatte man mir vorher nicht so deutlich erklärt. Man hatte mich als Zimmermädchen eingestellt, und die Fähigkeit zum servieren am Rande erwähnt. Nun sah es so aus, dass die Zimmerreinigung, mangels Belegung, nebensächlich war, aber das Servieren in der Frühe und am späten Abend, die Hauptaufgabe darstellte.
Auch die drei bis vier Stunden Mittagspause, zwischen meinen Aufgaben, halfen mir nicht, über die morgendliche Zerschlagenheit hinweg, weil ich mittags nicht schlafen konnte.
Zwar gaben die AMIS sehr großzügige Trinkgelder, aber die harten Dollar konnten meinen Schlaf nicht ersetzen, ich musste morgens früh raus.
Schon nach einer Woche hatte ich ein Schlafdefizit, und meinen Robert immer noch nicht gesehen.
Mit Mühe und Not hielt ich die nächsten Wochen durch, dabei wusste ich immer weniger, ob dieser Schritt sich wirklich gelohnt hatte. Ich fühlte mich alleingelassen, überflüssig, wie ausgelaugt, und kam immer schwerer morgens aus dem Bett.
Dann kam es auch noch vor, dass ich mich mit total betrunkenen Amerikanern auseinandersetzen musste, und weder mein Chef, noch seine Frau und Köchin im Haus waren. Eines Nachts eskalierte es.
Ich war ganz alleine in dem abgelegenen einsamen Haus, und wusste eine Horde betrunkener Amis nicht hinaus zu bekommen. Die Soldaten verstanden mich genauso wenig, wie ich deren Sprache, und ich konnte ihnen nicht verständlich machen, dass es um ein Uhr keinen Ausschank mehr gab, sondern, dass sie das Lokal verlassen mussten.
Sie lachten, während ich letztlich schimpfte: „Verdammt, jetzt raus mit euch! Hier ist Schluss für heute! Raus! Feierabend!“
Als die Eingangstür aufging, und ein großer uniformierter Mann in den Raum trat, und etwas schrie, was ich nicht verstand, war plötzlich Ruhe.
Der Ankömmling fragte in gebrochenem Deutsch: „Du kriegen noch Geld?“ Währenddessen staksten die Betrunkenen ganz leise und so steif hinaus, als hätten sie einen Stock verschluckt.
Ich schüttelte den Kopf, sagte erleichtert: „Nein. Alles schon bezahlt.“ Als der Offizier als letzter die Bar verließ rief ich ihm noch hinterher: „Danke“, dann schloss ich schnell die Tür.
Auf meine Beschwerde, lachte mein Chef nur: „Ach die sind doch harmlos, die tun Ihnen nichts, da brauchen Sie keine Angst zu haben.“
Ich fand das nicht lustig, sagte nur: „Ich bleibe hier aber bestimmt nicht mehr ganz alleine im Haus. Wenn Sie mich hier noch einmal alleine lassen, kündige ich.“
Ein paar Tage später sah ich endlich meinen Liebsten, und erzählte ihm die Geschichte. Auch Robert lachte und meinte: „Stimmt, die Amis sind harmlos. Du bist ne Bangbüx. Ha ha ha. So kenn ich dich gar nicht, Ruthchen. Hast doch sonst so eine große Klappe. Ha ha ha.“
Ich fand die Stelle zum Lachen nicht, und fragte säuerlich: „Was lachst du so blöd? Woher willst du denn wissen, was da alles passieren kann, wenn die gesoffen haben? Du warst ja nicht da, um mir zu helfen. Überhaupt, erzähl mal, wann du deine Ausgangszeiten hast, muss ich ja auch mit dem Chef klären, dass er mir dann frei gibt.“
Robert winkte ab: „Das ist leider erst wieder am Sonntag in zwei Wochen, während der Grundausbildung alle 14 Tage sonntags, und erst danach ein ganzes Wochenende. Tja.“
„Wie? Wann ist denn die Grundausbildung zu Ende?“ fragte ich naiv.
„Na, in 2 Monaten. Die haben mir den ersten Teil nicht angerechnet. Aber was soll ich dir erklären? Verstehst du eh nicht. Ist halt so“, knurrte er.
„Was mach ich dann hier? Bin bei dir, und doch nicht bei dir? Hätte ich ja auch zu Hause bleiben können. Watt ein Mist!“, empörte ich mich. „Nee, das gefällt mir nicht!“
Abends im Bett, dachte ich über die verfahrene Situation nach. Ich sah ein, dass ich eine Fehlentscheidung getroffen hatte. Wegen Robert hatte ich diese Arbeit angenommen, sicher arbeiten wollte ich ganz bestimmt, aber das könnte ich auch zu Hause. Und sei es nur stundenweise, sicher würde meine Oma auch dann auf Ramona aufpassen. Aber in der Fremde, dieser Einöde, wo ich doch nichts von meinem Freund hatte, da wollte ich nicht bleiben, das wurde mir immer klarer. Nein, in dem Hotel war ich am falschen Fleck.
Bereits am nächsten Tag warf ich den Job hin. Fuhr froh gestimmt wieder nach Hause. Und als ich meine Kleine in den Arm nahm, war ich glücklich, zurück gekehrt zu sein. Zum ersten Mal wurde mir klar, wie sehr die Mutterliebe mich an dieses kleine Wesen band.
Natürlich war ich finanziell nicht weiter gekommen, weil ich nicht einmal einen Monat voll gearbeitet hatte. Das meiste war für die Bahnfahrt draufgegangen, denn die versprochene Fahrgelderstattung, hatte der Hotelier nicht eingehalten. Aber ich war entschlossen, meine schwache Finanzlage aufzubessern.
Nur mein Baby versorgen, und immer knapp