„Was soll ich denn bloß machen?“, stöhnte sie verzweifelt, und hockte sich so tief es ging in den Sessel, als fände sie dort Schutz.
„Den Idioten zum Teufel schicken. Du bist doch sonst so knochenhart. Wenn du das nicht kannst, werde ich ihm mal den Kopf waschen. Reiß dich mal zusammen. Ich bin ja auch noch da. Also komm, wir werden ihn mal verjagen“, entschied ich und stand entschlossen auf.
„Nein, mach nicht die Tür auf, den werde ich dann nicht mehr los“, zweifelte meine Schwester an meinem Erfolg.
„Lass mich mal machen, bin ja nicht blöd. Mit widerspenstigen Kerlen kenne ich mich schon aus“, behauptete ich und ging ans Badezimmerfenster.
„Hör auf, hier rum zu schreien, Werner, du scheuchst die ganze Nachbarschaft auf. Wenn die Ramona wach wird, sorg ich dafür, dass es dir leid tut, kapiert? Die Heide ist gar nicht hier, die schläft heute bei der Liesel. So besoffen wie du bist, bringt das doch sowieso nichts. Los, geh jetzt nach Hause, sonst werde ich andere Seiten aufziehen, dann ist der gemütliche Teil vorbei. Verstanden? Wenn du morgen wieder nüchtern bist, kannst du mit der Heide reden. Also hau jetzt ab“, schimpfte ich mit fester Stimme.
„Nicht da? Bei der Liesel? Warum das denn?“, stammelte der Betrunken verwirrt.
„Na, weil du sie nicht in Ruhe lässt. Also verschwinde jetzt. Komm morgen Nachmittag wieder, hast du das verstanden? Bevor die Nachbarn noch rauskommen, und Ärger machen“, gab ich meinen Worten Nachdruck.
Tatsächlich zog er, vor sich hin grummelnd, davon.
„Gott sei Dank! Das ist dir ja schnell gelungen. Ist er auch wirklich weg?“, fragte Heidemarie ängstlich, als ich wieder in die Küche kam.
Ich nickte nur, und staunte im Stillen über die Hilflosigkeit meiner Schwester. Diese ganz neue Seite an ihr musste ich erst einmal verdauen.
Was ich nur nicht verstand sagte ich ihr klar und deutlich: „Wie konntest du dir denn von dem Werner noch ein Kind andrehen lassen, wenn du doch Schluss machen wolltest? Wie konntest du denn so unvorsichtig sein? Das verstehe ich nicht.“
Über derartigen Leichtsinn fühlte ich mich erhaben.
unbegreiflich
Als ich dann Heides neue Liebe zum ersten Mal sah, wurde mein Bild von meiner Schwester total auf den Kopf gestellt.
Dieses bodenständige, realistische Mädchen, mit dem einfachen, sonnigen Gemüt, das sich immer als normale Arbeiterin, aber auch als mutige Kämpferin dargestellt hatte, ausgerechnet die, brachte einen dieser kleinen, schwarz gelockten, italienischen Gastarbeiter mit nach Hause. Ein Mann, der nicht einmal unsere Sprache beherrschte, und ein unmöglich offenes, anbiederndes Benehmen hatte. Das passte ja wirklich gar nicht. Für mich unbegreiflich, dass ausgerechnet meine energische, rabiate Schwester den kleinen Italiener mit den Augen förmlich auffraß.
Er nannte meine Eltern gleich „Mama“ und „Vati“, und mich nannte er „Rutschen“, aber viel mehr deutsche Worte beherrschte er nicht. Dafür benahm er sich, als habe er schon ewig in unserem Haus gelebt. Ganz offensichtlich hielt er unsere Küche für einen Selbstbedienungsladen, denn er holte sich ganz selbstverständlich Geschirr oder Getränke aus den Schränken, ohne vorher zu fragen. Derartiges Benehmen kannte ich nicht, und es gefiel mir auch nicht.
Was mich aber am meisten nervte, war seine Art meinen Namen auszusprechen.
„Ich heiße Ruth! Nicht Rutschen! Du und ich, wir werden nie rutschen, verstehst du? Also sprich meinen Namen richtig aus, oder lass es ganz“, wies ich ihn genervt zurecht.
Zu meiner Schwester gewandt kritisierte ich: „Mensch Heide, wie kannst du das nur aushalten? Nee, dich versteh ich absolut nicht mehr.“
Heide blieb gelassen: „Ja und? Er wird es schon lernen, ja Rehchen? Du lernen deutsch, werden immer besser.“
Sein Name war Remus. Heide nannte ihn Rehchen. Wie furchtbar.
Ein Horror für mich, jetzt sprach meine Schwester auch noch so ein ätzendes, abgehacktes ausländisch-deutsch. Nein, das war nicht meine Welt. Das würde mir nie passieren, dass ich mich mit einem Ausländer, der nicht einmal unsere Sprache beherrschte, einlassen würde.
Dass ich nicht weniger leichtsinnig, als meine Schwester, war, wurde mir schon bald auf drastische Art bewusst. Als sich meine normale Periode in eine starke, nicht endende Blutung, mit schlimmen Unterleibsschmerzen, veränderte, schaffte ich es nicht mehr, einen Frauenarzt aufzusuchen, sondern ließ mich von Dieter gleich in die Klinik fahren. Das Ergebnis war eine Ausschabung, weil wir natürlich, leichtsinnig, auf Kondome verzichtet hatten, ohne uns Gedanken zu machen.
Da sich mein Körper aber noch nicht von der Geburt erholt hatte, die ja erst ein halbes Jahr zurück lag, war mein Unterleib zu schwach, um eine erneute Befruchtung zu halten. Zum Glück. Mit siebzehn Jahren bereits das zweite Kind zu bekommen, war nun wirklich weder mein Wunsch noch Wille.
Zwei Tage nach der Ausschabung, bekam ich heftige Schmerzen im Blinddarmbereich. Bei der Untersuchung meinten die Ärzte, dass es unmöglich von meinem Blinddarm kommen könne. Als der Schmerz immer stärker wurde, ich die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte, entschloss man sich schließlich doch zu operieren.
Nach dem Aufwachen aus der Narkose wunderte ich mich, über das stark gespannte Gefühl am Bauch, und tastete meinen Körper ab. Mit Entsetzen fühlte ich etwas unangenehmes hartes, das sich direkt über meinen Schamhügel, quer über den Unterleib spannte. Das seltsame Gebilde war eine Reihe kleiner Metallklammern, die eine lange Operationsnarbe zusammenhielten. Auf meine erschreckte Frage, erklärte man mir, es sei tatsächlich der Blinddarm gewesen. Man hatte eine Bauchhöhlen-Schwangerschaft vermutet, deshalb dieser große Bauchschnitt. Na bravo, ich fühlte mich entstellt.
Außer meinem Freund Dieter, hatte ich nur einen Besucher, meine Mutter.
Von ihr musste ich mir zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Vorwürfe anhören. „Du musst aber jetzt mal besser aufpassen, Kind. Schließlich kannst du nicht erwarten, dass die Oma tagelang auf Ramona aufpasst. Sie ist dazu nicht mehr in der Lage, das war schon zu merken, als du in Idar-Oberstein warst. Immerhin ist sie schon 72. Für ein paar Stunden geht das Mal, aber nicht mehrere Tage, und schon gar nicht auf Dauer. Also sieh bitte zu, dass du dich mehr selbst um dein Kind kümmerst.“
Ich hatte ihren untergründigen Hinweis schon verstanden, sagte aber nichts dazu. Was hätte ich erwidern sollen? Dass wir auf Gummis keinen Bock hatten, weil wir keine solchen Gefühlsbremsen mochten? Hätte ich sie fragen sollen, ob sie mir andere Verhütungsmethoden empfehlen konnte? Dass sie mich dann endlich mal darüber aufklären müsse? Nein! Solche Themen konnte niemand mit dieser Frau diskutieren. Dazu war sie zu prüde.
Nach ein paar Tagen holte Dieter mich ab, und brachte mich nach Hause. Am frühen Tag war nur meine Oma anwesend. Sofort nutzte ich die günstige Gelegenheit, sie zu fragen. Nachdem ich mit meiner Großmutter gesprochen hatte, und ihre Zusage erhalten hatte, erklärte ich meiner Mutter, dass ich mir eine Arbeit suchen wolle.
Sie widersprach erneut: „Nein liebes Kind, das geht so nicht. Dein Arbeitswille ist zwar sehr lobenswert, aber eine Vollzeit-Stelle kannst du nicht annehmen. Die Oma ist zu alt, dein Kindermädchen zu spielen. Wenn überhaupt, dann such dir eine Teilzeitarbeit, oder noch besser, eine Beschäftigung für abends. Wenn wir zu Hause sind kannst du gehen, ob arbeiten oder tanzen, egal, dann ist die Kleine versorgt. Aber auf eine alte Frau kannst du nicht bauen. Das musst du endlich einsehen“, schränkte meine Mutter meine Freiheit energisch und konsequent ein.
Auch wenn ich ihr Argument nicht einsah, begann ich trotzdem, die Suche nach einer Abendarbeit.
Ich