»Was ist denn das? Sie sollten sich was schämen!« sagte er. Das war die erste vernünftige Bemerkung, die ich in Enmore Park gehört hatte. »Nun,« sagte er, sich an mich wendend, »was bedeutet das hier?«
»Dieser Mann hat mich angegriffen.«
»Haben Sie ihn angegriffen?« fragte der Schutzmann.
Der Professor atmete schwer und gab keine Antwort.
»Das ist ja nicht das erste Mal«, sagte der Schutzmann ernst, indem er den Kopf schüttelte. »Sie haben sich im letzten Monat bereits mit einer ähnlichen Sache in Ungelegenheiten gebracht. Sie haben ja dem Mann das Auge blau geschlagen. – Wollen Sie Anzeige machen?«
Ich beruhigte mich inzwischen.
»Nein,« sagte ich, »das werde ich nicht tun.«
»Na, wieso denn nicht?« fragte der Schutzmann.
»Ich muss mir selbst Vorwürfe machen. Ich habe ihn belästigt. Er hat mich anständigerweise gewarnt.«
Der Schutzmann klappte sein Notizbuch zu.
»Also lassen Sie doch bloß solche Sachen!« sagte er. »Nun los, nicht stehenbleiben, gehen Sie weiter.« Dies sagte er zu einem Schlächterjungen, einem kleinen Mädchen und einem oder zwei Passanten, die sich angesammelt hatten. Und die kleine Schar vor sich hertreibend, stampfte er schwerfällig die Straße hinunter. Der Professor blickte mich an mit Augen, in denen ein leichter Anflug von Humor spürbar wurde.
»Kommen Sie herein,« sagte er »ich bin noch nicht fertig mit Ihnen.« Seine Worte hatten einen bösartigen Klang, aber ich folgte ihm nichtsdestoweniger ins Haus. Der Diener Austin, der einem hölzernen Standbild glich, schloss die Tür hinter uns.
Viertes Kapitel
Das ist die erstaunlichste Sache, von der ich je gehört habe
Kaum war sie geschlossen, als Frau Challenger aus dem Speisezimmer herausstürzte. Die kleine Frau war in einer furchtbaren Erregung. Sie pflanzte sich vor ihrem Gatten auf wie ein wütendes Huhn, das einer Bulldogge gegenübersteht. Es war klar, dass sie meinen »Abgang« mit angesehen, meine Rückkehr aber nicht bemerkt hatte.
»Du bist ein Rohling, George«, kreischte sie. »Du hast diesem netten jungen Mann eine Verletzung beigebracht.«
Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter.
»Da ist er, hinter mir, heil und gesund.«
Sie wurde etwas verwirrt.
»O bitte, ich hatte Sie nicht gesehen.«
»Ich versichere Sie, gnädige Frau, es ist alles in Ordnung.«
»Er hat Ihr armes Gesicht entstellt. O, George, was bist du für ein brutaler Mensch! Nichts als Skandal von einem Ende der Woche bis zum andern. Jeder Mensch hasst und verulkt dich. Meine Geduld ist erschöpft. Dies ist das Ende.«
»Sauberes Leinen!« brüllte er.
»Es ist kein Geheimnis«, schrie sie. »Weißt du, dass die ganze Straße – ganz London sogar – – gehen Sie, Austin, wir brauchen Sie hier nicht – –, weißt du, dass alle Welt von dir spricht? Wo bleibt deine Würde? Du, ein Mann, der königlicher Professor an einer großen Universität, wo tausend Studenten dich verehren würden, sein sollte, wo bleibt deine Würde, George?«
»Und wo die deinige, meine Teure?«
»Du quälst mich zu sehr. Ein Raufbold – ein wüster Raufbold – ist das, was du geworden bist.«
»Sei gut, Jessie!«
»Ein tobender, rasender Eisenfresser!«
»Jetzt ist es genug! Buß-Schemel!« sagte er.
Und zu meinem Erstaunen bückte er sich, hob sie auf und setzte sie auf ein hohes Piedestal von schwarzem Marmor in der Ecke der Vorhalle. Es war mindestens sieben Fuß hoch und so schmal, dass sie kaum das Gleichgewicht darauf halten konnte. Ein lächerlicheres Bild, als sie bot mit dem ängstlich verzogenen Gesicht, den baumelnden Füßen und dem vor Angst starren Körper, war nicht denkbar.
»Lass mich herunter«, jammerte sie.
»Sage bitte.«
»O du Rohling, im Augenblick lässt du mich herunter!«
»Kommen Sie in mein Studierzimmer, Mister Malone.«
»Aber wirklich, Herr Professor – –«, sagte ich mit einem Blick auf seine Frau.
»Herr Malone bittet für dich, Jessie. Sage bitte, und du kommst sofort herunter.«
»O du brutaler Mensch! Bitte! Bitte!«
Er hob sie herunter, als wäre sie ein Kanarienvogel.
»Du musst dich selbst gut benehmen, Liebling. Herr Malone ist ein Mann von der Presse. Er wird das alles morgen in seiner Zeitung bringen und ein Extradutzend Exemplare in unserer Nachbarschaft verkaufen: ›Seltsame Vorgänge in der höheren Gesellschaft‹ Du hattest doch einen höheren Platz auf dem Piedestal, nicht wahr? Dann ein Untertitel: ›Blick in eine merkwürdige Ehe.‹ Dieser Herr Malone ist ein Mann, der im Schmutz wühlt, ein Aasfresser wie alle seiner Art – porcus ex grege diaboli – ein Schwein aus des Teufels Herde. So ist es, Malone – was denn?«
»Sie sind tatsächlich unerträglich«, sagte ich heftig.
Er brach in ein gellendes Lachen aus. »Wir werden jetzt ein Bündnis schließen«, brummte er, indem er den Blick von seiner Frau zu mir herüberwandte und den enormen Brustkasten vorwölbte. Dann plötzlich in verändertem Tonfall: »Entschuldigen Sie diesen frivolen Familienscherz, Herr Malone. Ich habe Sie aus einem etwas ernsthafteren Grunde, als Ihnen unsere kleinen häuslichen Schäkereien vorzuführen, zurückgerufen. – Lauf nur, kleine Frau, und sei nicht mehr verdrießlich.« Dabei legte er ihr seine riesigen Hände auf die Schulter. »Alles, was du sagst, ist ja vollkommen richtig. Ich würde ja ein besserer Mann sein, wenn ich täte, was du mir rätst. Aber der ganze George Edward Challenger würde ich dann nicht mehr sein. Es gibt so viel bessere Männer, meine Teure. Aber nur einen G. E. C. Du musst schon versuchen, mit mir auszukommen.« Und darauf gab er ihr plötzlich einen schallenden Kuss, der mich noch mehr in Erstaunen versetzte als seine vorher bewiesene Gewalttätigkeit. »Nun, Herr Malone,« fuhr er plötzlich mit großer Würde fort, »darf ich bitten, hier durch den Korridor.«
Wir betraten aufs neue das Zimmer, das wir zehn Minuten vorher so tumultuarisch verlassen hatten. Der Professor schloss die Tür sorgfältig hinter uns, drückte mich in einen Armstuhl und hielt mir eine Zigarrenkiste unter die Nase. »Echte San Juan Colorado«, sagte er. »Reizbare Leute wie Sie brauchen Narkotika. Himmel, beißen Sie sie nicht ab! Abschneiden! – und mit Ehrfurcht abschneiden! So, jetzt legen Sie sich zurück und hören Sie aufmerksam an, was ich mich herbeilasse, Ihnen zu erzählen. Sollten Sie das Bedürfnis zu irgendeiner Bemerkung haben, so können Sie sie sich für eine bessere Gelegenheit aufsparen.
Zunächst zu Ihrer Rückkehr in mein Haus nach dem völlig gerechtfertigten Hinauswurf« – er schob den Bart vor und funkelte mich an wie einer, der einen Widerspruch herausfordert und erwartet –, »nach Ihrem, sage ich, wohlverdienten Hinauswurf. Der Grund lag in Ihrer dem höchst dienstfertigen Schutzmann gegebenen Antwort, in der ich glaubte eine Spur von schicklichem Empfinden Ihrerseits zu entdecken – mehr jedenfalls als ich gewöhnt bin mit einem Menschen Ihrer Berufsart zu verbinden. Indem Sie zugestanden, dass die Schuld zu diesem Zwischenfall auf Ihrer Seite lag, haben Sie den Beweis einer gewissen geistigen Selbständigkeit und weiter Lebensauffassung gegeben, der meine wohlwollende Aufmerksamkeit erregte. Die Untergattung der menschlichen Rasse, der Sie unglücklicherweise angehören, befand sich immer unterhalb meines geistigen Horizonts. Ihre Antwort hat