Ein grinsendes rotes Gesicht verwandelte sich aufs neue in ein löcheriges, von den Fransen eines ingwerfarbenen Flaums umgebenes Oval. Die Unterredung war zu Ende.
Ich ging hinüber zum Savage-Club, aber, statt hineinzugehen, lehnte ich mich an das Gitter der Adelphi-Terrasse und blickte lange gedankenvoll in das braune, ölige Wasser des Flusses hinunter. Ich kann in frischer Luft immer viel richtiger und klarer denken. Ich zog die Liste von Professor Challengers Taten aus der Tasche und las sie von neuem unter der elektrischen Bogenlampe. Und dann überkam mich etwas, das ich nur für eine Eingebung halten konnte.
Als Mann der Presse fühlte ich mit Sicherheit, dass ich nach allem, was ich gehört hatte, niemals hoffen konnte, mit diesem streitsüchtigen Professor in Verbindung zu kommen. Aber die zweimal in seiner biographischen Übersicht wiederholten Gegenbeschuldigungen konnten doch nur bedeuten, dass er ein Fanatiker der Wissenschaft war. Ob das nicht die schwache Stelle war, durch die man an ihn herankommen könnte? Das musste ich versuchen.
Ich betrat den Klub. Es war kurz nach 11 Uhr, und der große Raum war ziemlich voll, obgleich der Ansturm noch nicht begonnen hatte. In einem Armstuhl am Kamin sah ich einen langen, dünnen, eckigen Menschen sitzen. Er wandte sich zu mir, als ich mit meinem Stuhl in seine Nähe rückte. Das war gerade derjenige in der ganzen Menge, der mir in diesem Augenblick am willkommensten war – Tarp Henry von der Redaktion der »Natur«, ein dürres, trockenes, lederartiges Wesen, das sich durch große Menschenfreundlichkeit allen seinen Bekannten gegenüber auszeichnete. Ich ging direkt auf mein Ziel los.
»Was wissen Sie von Professor Challenger?«
»Challenger?« Er zog die Brauen in wissenschaftlicher Missbilligung zusammen. »Challenger war der Mann, der mit einigen Ammenmärchen aus Südamerika zurückkam.«
»Was für Märchen denn?«
»Ach, das war ein üppiger Blödsinn über einige seltsame Tiere, die er entdeckt haben wollte. Ich glaube, er hat später widerrufen. Irgendwie hat er alles unterdrückt. Er gab Reuter ein Interview, und darauf erhob sich ein derartiges Geheul, dass ihm klar wurde, er würde mit seinen Ansichten nicht durchdringen. Es war eine blamable Angelegenheit. Es gab einen oder den anderen, der geneigt war, ihn ernst zu nehmen. Aber er brachte sie bald zum Schweigen.«
»Wie denn?«
»Na, durch seine unerträgliche Grobheit und sein unmögliches Benehmen. Da war der arme alte Watley vom Zoologischen Institut. Watley schrieb ihm: ›Der Präsident des Zoologischen Instituts empfiehlt sich Professor Challenger und würde es als eine persönliche Auszeichnung empfinden, wenn er ihm die Ehre erweisen würde, zu ihrer nächsten Sitzung zu kommen.‹ Die Antwort war nicht druckfähig.«
»Können Sie sie mir sagen?«
»Ja, da läuft eine verballhornte Lesart um: ›Professor Challenger lässt sich dem Präsidenten des Zoologischen Instituts empfehlen und würde es als eine persönliche Auszeichnung empfinden, wenn er sich zum Teufel scheren würde.‹
»Um Gottes willen!«
»Ja, ich nehme an, dass das auch der alte Watley gesagt hat. Ich erinnere mich seiner Wehklagen in der Sitzung. Sie begann: Eine fünfzigjährige Erfahrung in wissenschaftlichem Umgang – – – Der alte Mann war ganz gebrochen.«
»Wissen Sie sonst noch etwas von Challenger?«
»Nun, ich bin Bakteriologe, wie Sie wissen. Ich lebe in einem 900-Diameter-Mikroskop. Ich kann kaum den Anspruch erheben, ein ernsthafter Kenner von irgendeiner Sache zu sein, die ich mit bloßen Augen sehen kann. Ich bin ein Pionier vom äußersten Rande des Wissens, und ich fühle mich gar nicht auf meinem richtigen Platze, wenn ich mein Studierzimmer verlasse und in Berührung mit euch allen, euch großen, rohen und plumpen Geschöpfen, trete. Ich bin zu isoliert, um mich für Skandalgeschichten zu interessieren. Aber ich habe doch bei wissenschaftlichen Unterhaltungen einiges über Challenger gehört; denn er ist einer von diesen Menschen, an denen man nicht vorbeigehen kann. Er ist tatsächlich so verwegen, wie sie ihn schildern. Er gleicht einer scharf geladenen Batterie von Kraft und Lebensenergie, aber er ist ein streitsüchtiger, boshafter, skrupelloser Sonderling mit seltsamen Liebhabereien. Er ist so weit gegangen, einige schwindelhafte Photographien von der südamerikanischen Expedition vorzulegen.«
»Sie sagen, er hat Liebhabereien. Was ist denn sein besonderes Steckenpferd?«
»Er hat tausend. Aber das letzte ist etwas über Weismann und Evolution. Er hatte einen fürchterlichen Streit darüber in Wien, glaube ich.«
»Können Sie mir den Grundgedanken davon angeben?«
»Im Augenblick nicht. Aber es existiert eine Übersetzung dieser Verhandlungen. Wir haben sie in unserem Archiv. Würden Sie sich die Mühe machen, mitzukommen?«
»Das ist gerade das, was ich brauche. Ich soll den Burschen nämlich interviewen, und ich brauche irgend etwas zur Anknüpfung. Es ist wirklich riesig nett von Ihnen, dass Sie mir helfen wollen. Ich würde gern jetzt mitgehen, wenn es noch nicht zu spät ist.«
Eine halbe Stunde später saß ich in seinem Redaktionszimmer mit einer mächtigen Aktenmappe vor mir, die bei dem Artikel »Weismann gegen Darwin« aufgeschlagen war. Der Artikel trug die Überschrift: »Lebhafter Protest in Wien. Temperamentvolle Verhandlungen.« Da ich meine wissenschaftliche Ausbildung etwas vernachlässigt hatte, war es mir nicht möglich, der ganzen Beweisführung zu folgen, aber es war klar, dass der englische Professor seinen Gegenstand in einer sehr aggressiven Form behandelt und seine Kollegen vom Kontinent vollständig verärgert hatte. »Protest«, »Lärm«, »Anrufung des Vorsitzenden« waren drei der ersten eingeklammerten Ausdrücke, die mir ins Auge fielen. Vom Inhalt des Artikels verstand ich gerade soviel, als ob er chinesisch geschrieben wäre.
»Es wäre mir lieb, wenn Sie das für mich ins Englische übersetzen könnten«, sagte ich pathetisch zu meinem hilfsbereiten Kollegen.
»Aber es ist doch eine Übersetzung.«
»Dann tue ich vielleicht besser, mein Glück beim Originalartikel zu versuchen.«
»Es ist sicherlich ziemlich schwierig für einen Laien.«
»Wenn ich nur einen einzigen guten, sinnvollen Satz, der geeignet wäre, mir eine Art von klarer menschlicher Idee zu vermitteln, herausfinden könnte, würde mir das genügen. Ah, ja, dies hier wird gehen. Es scheint mir fast, als ob ich das verstehe. Das werde ich abschreiben. Das wird das Bindeglied sein zwischen mir und dem fürchterlichen Professor.«
»Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?«
»Ja, freilich, ich denke, ich schreibe ihm. Wenn ich den Brief hier aufsetzen und Ihre Adresse benutzen könnte, so würde mir das ein gewisses Relief geben.«
»Der Bursche wird hierher kommen, uns einen Krach machen und unsere Möbel zusammenschlagen.«
»Nein, nein, Sie sollen den Brief sehen – nichts Kampflustiges, verlassen Sie sich darauf.«
»Also bitte, da ist mein Stuhl und mein Schreibtisch. Papier finden Sie dort. Ich möchte den Brief ganz gern durchsehen, bevor er abgeht.«
Die Arbeit machte mir einige Mühe. Als der Brief fertig war, schmeichelte ich mir aber, dass er mir gar nicht so schlecht gelungen sei. Mit einem gewissen Stolz auf mein Handwerk las ich ihn laut dem kritischen Bakteriologen vor:
Sehr geehrter Herr Professor!
Als bescheidener Student der Naturwissenschaften habe ich immer das größte Interesse an Ihren Theorien über den Unterschied zwischen Darwin und Weismann genommen. Eine erneute Lektüre –
»Sie infernalischer Lügner«, murmelte Tarp Henry.
– – eine erneute Lektüre Ihrer meisterhaften Wiener Denkschrift hat mir die Angelegenheit wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. Diese überaus klaren und bewundernswerten Darlegungen scheinen das letzte Wort