Das war es also. Diese Neuigkeit überraschte Sina. Im Fall eines möglichen Kontaktes könnte sie sich als vorteilhaft erweisen. Hartnäckig blieb Eddi bei seiner hohen Meinung zu diesem Herrn. Stand er etwa in dessen Schuld? Ein Grund mehr, nachzusetzen.
„Und dennoch wird er dessen bezichtigt“, hielt sie ihm entgegen.
„Unsinn. Das kommt nur von Leuten, die ihn durch den Dreck ziehen wollen. Allen voran der Heinig – das größte Schwein, das hier rumläuft! Er kann ihn nicht abservieren, weil er ihn braucht.“
„Lassen Sie den Hotelmanager aus dem Spiel! Von dem habe ich anderes gehört“, behauptete Sina dreist.
„Ja? Was denn? Etwa, dass dieser Doktor ein korrekter Leiter ist, der seinen Pflichten nachkommt? Dass ich nicht lache! Der steckt bis zum Hals im Dreck und versucht, von sich abzulenken. Oder glauben Sie im Ernst, er hätte sein neues Haus aus legalen Mitteln finanziert? Ganz zu schweigen von seiner Frau Madleen. Die hat vielleicht Nerven … Dieses verdammte Miststück. Überall hängt sie sich rein … Ich sage Ihnen nur eines, der Sumpf hier ist tiefer, als Sie denken.“
„Sie werden unsachlich, mein Lieber“, ermahnte ihn Sina.
„Schon möglich. Aber bei dem Namen schwillt mir der Kamm“, fuhr Eddi mit gedämpfter Stimme fort, während der Kellner den Cognac brachte. „Wie gesagt, die Vorwürfe gegen Herrn Schneeweiß sind völlig haltlos. Das kann ich beschwören.“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich weiß es eben!“
„Verstehe. Sie wollen nicht darüber reden“, unterstellte Sina und schaute ihn an, als wäre ihr just in dem Moment ein Licht aufgegangen. „Aber für jemanden wie Sie, der stets am Katzentisch sitzt, obwohl er über große Talente verfügt, muss das ziemlich frustrierend sein“, stichelte sie erneut.
„Wie wahr. Wie wahr“, pflichtete er ihr bei. „Darauf versteht man sich hier!“ Man sah ihm seine Erregung an. Hin und wieder schluckte er und bekam einen trüben Blick. Nichts mehr war geblieben von dem dominanten Strahlemann. Sinas Worte zeigten Wirkung. Er wirkte jetzt wie ein Häufchen Elend und stand kurz vorm Heulen.
„Und den Beistand des Campione Vogelers, alias von Billow, ‚erkauft‘ sich dieser Heinig durch die Abfuhr der Gewinne, deren Höhe niemand nachvollziehen kann“, kombinierte Sina weiter.
„Sagen wir es mal so: Der Direktor hat sich damit einen zuverlässigen Zeugen gesichert, der ihn bezüglich möglicher Korruptionsvorwürfe ganz wesentlich entlasten würde. Der Baron verfügt über gewisse Möglichkeiten, müssen Sie wissen. Das ist doch legitim bei unberechtigten Anschuldigungen, oder? Und er ist mächtig, sehr mächtig. Mit seinen Methoden ist er in höchste Kreise vorgedrungen. Dabei gibt er sich zurückhaltend und besonnen. Aber täuschen Sie sich nicht. Er hat das Gemüt einer Mamba. Erst vergiften, dann fressen. Schließlich erkennt er nur ein Gesetz an – sein eigenes. So ist es seit jeher üblich – und wer wollte was dagegen tun? Sie etwa? Sagen Sie mal, was geht Sie das eigentlich an? Kommen Sie etwa von Interpol? Hat man Sie auf ihn angesetzt? Da beißen Sie bei mir aber auf Granit! Das garantiere ich Ihnen, ich werde alles leugnen, was ich soeben gesagt habe! Und sollten Sie dieses Gespräch auf Band mitgeschnitten haben, erwürge ich Sie auf der Stelle! Verlassen Sie sich darauf! Eddi Corleone legt niemand rein!“
„Wieso sollte ich Sie reinlegen wollen?“, entrüstete sich Sina. „Wir plaudern doch bloß.“
„Sicher. Aber in einer unangenehmen Weise!“, antwortete er, eine steile Falte zwischen den Brauen. „Ich empfehle Ihnen schnellstens, einiges von dem, was ich gesagt habe, wieder zu vergessen!“
„Danke für Ihre Fürsorge. Aber ich kann auf mich aufpassen“, versicherte ihm Sina und verwies kopfnickend auf eine Frau am Roulette-Tisch, die gerade am Verlieren war.
„Ihre Aufmerksamkeit ist bemerkenswert“, giftete Eddi zurück. „Aber überlassen Sie mir den Zeitpunkt des Eingriffs. Die Dame hat sich bisher noch nicht nach mir umgesehen.“
„Muss Sie das erst?“
„Madame! Nichts wirkt in diesem Geschäft unprofessioneller als Aufdringlichkeit“, erklärte er indigniert und leerte den Cognacschwenker. „Sehen Sie, sie sucht nach mir. Jetzt muss ich mich gelassen geben. Immerhin bin ich ein viel gefragter Mann. Meine Hilfe ist ein Privileg.“ Nachdem er der Dame freundlich zugenickt hatte, bemüßigte er sich jetzt, zu ihr hinüberzugehen.
Sina blieb an der Bar zurück und durchdachte in aller Ruhe die neuen Informationen. Eddi war zwar ein Leichtfuß und impulsiver Brubbelkopf, der sich schnell um Kopf und Kragen redete, aber gerade deshalb ein Glücksgriff. Maurice hatte recht. Wer weiß, was er noch alles wusste.
Sie beschloss, künftig gelassener zu bleiben und keinesfalls etwas zu erzwingen. Das wäre nicht nur kontraproduktiv, sondern auch gefährlich. Wenn in der Tat hier alles so korrupt war, wie er andeutete (und es gab keinen Grund, daran zu zweifeln), sollte sie vorsichtiger sein. Unerkannte Querverbindungen könnten sie schnell entlarven.
Während sie umherschaute und das Treiben an den Spieltischen verfolgte, erfasste sie zugleich die ganze Farce. Die meisten der Spieler setzten weniger aus Vergnügen als aus Renommiersucht. Mit einem kalten Lächeln zu setzen, galt als mondän. Unabhängig vom Ergebnis entschied die Art der Reaktion über Schwäche oder Überlegenheit des Spielers. Von daher wurde ein Gewinn nie bejubelt, sondern lediglich belächelt. Ebenso wie man eine Niederlage beiläufig wegsteckte. Das war Contenance, das war deliziös und diente jener zweifelhaften Selbstdarstellung, die man hier so ungemein nötig hatte.
Oh nein – dieses Spiel diente nicht dem Gewinn, sondern der Darstellung, frei nach dem Motto: ‚Was kostet die Welt‘! Und all diejenigen, die davon lebten, machten sich nur die Verschwendungssucht einer finanziell strotzenden Elite zunutze, die es nicht anders verdiente, als ausgenommen zu werden.
Aus diesem Grunde wäre jede Verurteilung Heuchelei. Im Gegenteil, es traf genau die Richtigen. Sinas Glaube an das Gute im Menschen begann zu bröckeln.
Es mochten etwa fünfzehn Minuten vergangen sein, als sie plötzlich von einem unangenehmen Typen angesprochen wurde. Allein die überflüssige Frage: „Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“, kam einer billigen Anmache gleich.
Als er sich dann auch noch ungefragt ihr gegenüber platzierte und dreist aus seinem Sektglas trank, oder besser schlürfte, wollte sie schon die Security rufen. Wenn sie es nicht tat, dann nur, weil es im Moment keinen Grund zur schlechten Laune gab. „Wie kommen Sie darauf?“, fragte sie stattdessen zurück.
Zwischen zwei Schlucken erwähnte er beiläufig, dass sie diesen Eindruck mache. Er sprach diese Worte unerwartet souverän, was eine gewisse Autorität verriet.
„Da täuschen Sie sich“, erwiderte Sina, die nur wenig Lust auf ein Gespräch verspürte und überlegte, wie sie ihn am besten abservieren konnte. Er trug einen dunkelblauen Anzug und eine graue Krawatte, dazu Slipper von Gucci, natürlich imitiert. Das fiel ihr ins Auge. Sein sorgsam frisiertes grau meliertes Haar und seine getönte Brille gaben ihm etwas Eitles, Affiges. Auch wenn sein Gesicht keineswegs – trotz Fettrollen am Hals – hässlich wirkte, glich es einer Maske. Ob es an seinem kläglichen Versuch nach Harmlosigkeit lag oder dem dümmlichen Grinsen, blieb offen. In jedem Fall schien er nicht das zu sein, was er vorgab, er machte den Eindruck eines widerlichen Schmierfinken.
„Ganz schön was los heute“, bemerkte er lässig, hielt seine dunkelbraunen Augen aber weiterhin auf Sina gerichtet. „Wie es aussieht, sind viele vom Spielfieber gepackt. Also wenn Sie mich fragen ...“
„Ich frage Sie aber nicht “, kam ihm Sina zuvor.
Kurz senkte er seinen Kopf, wobei seine Augen fast komplett unter seinen breiten Brauen verschwanden. „Schade. Dem Anschein nach sind Sie im Begriff, einen Fehler zu machen.“ Er sah wieder auf, jetzt aber anders. Sein Lächeln war verschwunden.
„Sie werden es kaum glauben, aber ich mag keine Leute, die mich auf meine Fehler aufmerksam machen“, erwiderte Sina barsch.