„Ich hoffe, du hast Verständnis für meine Lage“, schwächte Francesco das Ganze ab und bot diesem ‚Aufwurf‘ eine Zigarette an. „Du weißt, dass ich so etwas nicht deckeln kann. Mach‘ mir also keinen Vorwurf!“
„Mache ich auch nicht“, brummte Eddi, der dieses Spiel bereits kannte und wie ein Halbstarker seine Daumen beiderseits in den Hosenbund gehakt hatte. „Aber musstest du mich gleich beleidigen? Immerhin bin ich dein Bruder!“
„Mama Mia! Was genug ist, ist genug!“, lamentierte Francesco.
„Ach ja? Und das Maß bestimmst natürlich du! Und um Eindruck zu machen, musstest du mich noch beleidigen!“ Eddi spuckte aus. „Prendi il diavolo!2“ Und nachher rennst du wieder in die Kirche, trällerst mit weißer Weste in deinem ach-so-frommen Chor ein ‚Halleluja‘ und meinst …“
„Vorsicht, mein Freund. Pass auf, was du sagst!“
„Du warst es doch, der mich am Kragen gepackt und beleidigt hat“, antwortete Eddi mit reduziertem Mitleid.
„Ja, und womit? Mit Recht!“, keilte Francesco zurück.
„Ja, ja! Wie immer. Du hast ja immer recht. Dummerweise finde ich, dass ich auch im Recht bin!“, knurrte sein Bruder.
„Seit wann bist du so dünnhäutig?“, wunderte sich Francesco. „Ehrlich gesagt verstehe ich deine ganze Aufregung nicht. Habe ich dich bisher nicht aus allem rausgehalten? Wo wärst du ohne mich? He? Was kann ich dafür, wenn du dich erwischen lässt! Du solltest froh sein, dass ich die Sache auf diese Weise geregelt habe. Oder wäre es dir lieber gewesen, sie hätte diesen widerlichen Heinig informiert? Der hätte doch glatt die Bullen gerufen und im ungünstigsten Fall wärst du eingefahren. Aber zum Glück hattest du ja noch deinen Bruder, den du jetzt zum Dank beschimpfst!“
„Aber musstest du mich gleich Auswurf nennen?“, fluchte Eddi, den Tränen nahe. „Bin ich nicht ein Mensch? Habe ich keine Würde?“
„Ach komm. Jeder schwächelt mal. Was soll ich denn machen, wenn diese Schrapnelle danebensteht.“, intervenierte Francesco, seinen vorwurfsvollen Blicken ausweichend. „Du kennst unseren Deal. Anfüttern ja, aber nicht überziehen. Das sind wir unseren Gästen schuldig.“
„Bleib mir bloß vom Leib!“, tobte Eddi. „Nicht mehr lange und ich packe aus. Dann wollen wir mal sehen, was dein verehrter Dr. Heinig sagt, wenn er erfährt, wer du in Wahrheit bist. Von wegen Wegener.“
„Halt bloß den Mund!“
Doch Eddi ließ sich nicht aufhalten. Er trat auf seinen Bruder zu und kam ihm gefährlich nahe, dass sich fast ihre Nasen berührten. Unentwegt mit dem Zeigefinger auf Francescos Brust tippend provozierte er weiter. „Einen dümmeren Namen hättest du dir nicht aussuchen können. Nur keine Sorge, er passt du dir – linkisch und verlogen!“, schimpfte er und spuckte verächtlich aus. „Und was deinen großartigen Auftritt soeben betrifft; du kannst sülzen, was du willst – Quark wird durch Treten nur breiter, aber nicht fester!“
„Du solltest nicht mehr so viel trinken, Eddi! Sonst kann ich bald nichts mehr für dich tun!“ Francesco hatte schnell gelernt, wie die Welt funktionierte und welcher Platz ihm darin gebührte – der an der Spitze. Diesbezüglich tat er alles. Ermahnend bemerkte er: „Es ist besser, wenn ich das nicht zur Kenntnis nehme.“
„Wichser!“ Eddis spuckte vor ihm aus. „Ich weiß, was ich künftig tun werde und du mein heiliger Gottessohn wirst mich daran nicht hindern! Verpiss dich!“
„Willst du Chamäleon etwa zum Spielverderber werden? Das würde ich mir überlegen!
„Ich habe keine Angst! Vor niemandem!“, schrie Eddi. Dann starrte er ihn mit offener Feindseligkeit an. „Leck mich, du mieses Schwein!“ Mit diesen Worten ließ er seinen Bruder stehen und zwang ihn somit zu einem entsprechenden Bericht, den Francesco eigentlich vermeiden wollte.
Leider kannte er Eddi und seinen Jähzorn und wusste, dass er in seinem Zustand zu allem fähig war. Daher war Selbstschutz zwingend notwendig. Mit gleichgültiger Miene zog er sein Smartphone aus der Tasche. Während des Telefonates bewegte er die Schuhspitze auf dem Boden hin und her, als zerquetschte er etwas.
Das verkannte Genie
Die Homepage des Julius Schneeweiß war verlockend. Mit Susi, Tiger, Lucie und Troll bot der Branchenkenner gleich vier Rassekatzen an, deren Vorzüge jeden Liebhaber dieser Spezies geradezu verzücken mussten. Die Palette erwähnter Eigenschaften reichte von verschmust und charakterstark über hingebungsvoll bis zu guter Jäger und zur Zucht geeignet.
Während Julius’ Finger über die Tastatur seines Laptops glitten und er die neuesten Spitzenexemplare in sein Verzeichnis einpflegte, drängte sich ihm unweigerlich ein Vergleich zur medialen Partnersuche auf. Dort ärgerten ihn die Tricks und Halbwahrheiten, mit denen geschummelt wurde, nur um Kasse zu machen.
Ihm war es eine Herzensangelegenheit, bei seinen Kunden die Einsicht zu wecken, dass seine Tiere weit mehr bedeuteten als Streu und Katzenklo. Sie waren ebenso Anschaffung wie Bereicherung. Zumindest sollte es so sein. „Nicht wahr, Peterle“, murmelte er und kraulte dem schnurrenden Kater auf seinem Schoß den Kopf.
Wäre eine Partnersuche von derselben Effizienz, läge die Erfolgsquote garantiert höher. Leider waren Menschen nicht so pflegeleicht, sodass eine rein pragmatische Vermittlung, wie in seinem Fall, unmöglich schien.
Frustriert schloss er die Seite. Dabei erschreckte ihn das eigene, im Bildschirm sich spiegelnde, Konterfei. Ach Gott, wie hatte er sich verändert. Obwohl erst Mitte vierzig, besaß er bereits sehr dünnes, graues Haar, das sich jeder Frisur widersetzte und wie Fransen über die Ohren hing. Seine Stirn war hoch und schmal und seine Miene von einem permanent galligen Ausdruck geprägt. Nur selten verirrte sich ein Lächeln darin und wenn, erinnerte es an Zucker mit Essig. Aber er nahm sich einfach zu vieles zu Herzen, ohne dass man es ihm dankte. Kein Wunder, dass sich der Gram darüber als dauerhaftes Sauerbiergesicht festgefressen hatte.
Auch wenn er nicht unbedingt hässlich war, gefiel sein Gesicht keinem. Eine harte Falte neben seinen Wangenknochen gab ihm etwas Herbes, geradezu Strenges. Hinzu kam seine Unart, die Worte süßlich in die Länge zu ziehen. Damit löste er oftmals Verwunderung, aber auch Antipathien aus, woran er sich schon gewöhnt hatte. Folglich war nur schwer mit ihm umzugehen. Signalisierte man ihm hingegen Verständnis, hielt er es für linkisch. Wurde er kritisiert, deutete er das als Intrige. Niemand konnte es ihm recht machen, weshalb er ein notorischer Einzelgänger blieb.
Gezielt rief er ein passwortgeschützes Programm auf und startete die hauseigene Webcam. Beim Schriftzug ‚Loyalitätspyramide für Mitarbeiter‘ – übrigens von besonders gehässigen Menschen kreiert – grinste er bis über beide Ohren. Kein Geringerer als sein Vorgesetzter und Intimfeind Dr. Anton Heinig hatte diese Möglichkeit zur Optimierung des Personalbestandes erst neulich im Kreise namhafter Manager erörtert. Damit habe man seinerzeit in der Four Seasons Hotelkette große Erfolge erzielt, verkündete er vollmundig. Selbstverständlich verschwieg er die nachfolgende Reduzierung des Personalbestandes um ein Viertel, implizit die desaströse Verschlechterung des Arbeitsklimas.
Gewiss war Julius Schneeweiß als verantwortlicher Prokurist und Personalverwalter von solchen Schweinereien weit entfernt. Und doch wusste er, dass es keineswegs ganz ohne Kontrollen ging. Schließlich gab es nicht nur Gäste mit einem etwas ‚besonderen‘ Lebensstil. Seit Langem brütete er deshalb über einen gangbaren Weg, oder besser, einen halbwegs faulen Kompromiss, um diese Idee auf die hiesigen Verhältnisse umzumünzen. Erst vor Kurzem hatte er dem Direktor den Entwurf seiner Vorstellung von einer internen, kameragesteuerten Personalkontrolle offeriert.
Als Dr. Heinig das hörte, schmetterte er diesen Vorschlag als völligen Blödsinn ab und verbat sich jede weitere, in diese Richtung zielende dumme Bemerkung. Natürlich war das lächerlich und heuchlerisch zugleich. Dazu wusste Julius zu viel über dessen dubiose Machenschaften, wo er sich als Chef nicht so zimperlich zeigte.
Nachdem