Hardcore. H. C. Schwarz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H. C. Schwarz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753193229
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      „Von mir aus.“

      Gestern nahm ich all meinen Mut zusammen und beschloss, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Als ich die Lage sondierte, stellte ich überrascht fest, dass die großen, metallenen Tore des grauen Lagers offen standen und niemand sie bewachte. Da begriff ich, dass es mir frei stand, diesen gespenstischen Ort zu verlassen und es hauptsächlich darum ging, endlich eine Entscheidung zu treffen.

      Also nahm ich all meinen Mut zusammen und lief hinaus in die angrenzende Wildnis. Doch auch dort war kein Lebewesen außer mir, kein Geräusch, kein Geruch, eine erstarrte Welt. Nur der harte, rissige Lehmboden unter meinen nackten Füssen, die Bäume gänzlich entlaubt, ihre Stämme schimmerten schwarz wie aus verbranntem Plastik. Am Himmel stand eine schlohweiße, sengende Sonne, doch ich fror und taumelte zitternd durch diese öde, farblose Mondlandschaft.

      Nach einem langen, trostlosen Marsch, hörte ich das leise Rauschen fließenden Wassers in der Ferne. Mit letzter Kraft erreichte ich das Ufer. Die Oberfläche des Flusses glänzte mit der Farbe ranzigen Öls, träge rann er dahin, nichts als totes Treibgut dümpelte in seinen Wellen. Als ich mich herabbeugte, nahm der üble Gestank zu, wurde beißend und unerträglich. Ich hielt den Atem an und betrachtete mein Spiegelbild auf der matt glänzenden Haut des vergifteten Stroms.

      Von mir war nicht viel übrig, spärliche Reste meines Gesichts auf einem fast skelettierten Schädel. Ich erkannte mich kaum wieder. Da erkannte ich, dass dieser Ort die Hölle auf Erden war und es für mich kein Entkommen gab.

      Weinend sank ich auf die Knie, gab mich geschlagen und alle Hoffnung auf und kroch schließlich, auf allen Vieren, zurück zu den Leichenbergen in das graue Lager, um mich vor meinem Spiegelbild und vor mir selbst zu verstecken.

      „Clemens, soll ich dir noch einen Kaffee holen? Mann, du bist heute nicht so ganz bei der Sache, was? Ging es denn noch lange gestern Abend? Wohl ein bisschen über die Stränge geschlagen, was?“

      Hilfe, schoss es mir durch den Kopf. Ich verlasse meinen Körper. Ich verwandele mich in einen Geist.

      Der Kameramann grinste bis über beide Backen. Auch er hatte offensichtlich Geschmack gefunden an der filmischen Gewaltspirale, dem kollektiven Killerinstinkt, der das Filmset jetzt seit fast zwei Wochen beherrschte. Gerade wurde die zehnte Frau vor seiner laufenden Kamera hingerichtet und er bekam anscheinend nicht genug von dem harten Stoff. Er hatte Blut geleckt, wie alle aus dem Team. Besonders die Herren von der Produktion waren ganz aus dem Häuschen. Endlich mal wieder ein richtiger Kassenschlager. Die Anzahl der täglichen Downloads sprach für sich, und auch bei den oldschool verkauften DVDs des neuen Produkts kam Freude auf. Dass die Vergewaltigungen jetzt in Serie gehen sollten, war längst beschlossene Sache. Mich überraschte nur, dass sich so viele bereitwillige Opfer und Täter fanden. Aber solange die Kohle stimmte, schien dem Nachwuchs an Pornodarstellern, Männern wie Frauen, alles scheißegal zu sein. User unter sich.

      Letztendlich war es nicht so sehr das sogenannte Schweigen der Lämmer, das mich so bleiern runterzog. Es war die Tatsache, dass sie gut gelaunt und mit wackelnden Pobacken im Gänsemarsch auf das Schafott marschierten und ihre frisch frisierten und mittels fingerdicker Schminke unkenntlich gemachten Köpfe mit einem wohligen Seufzer unter das Fallbeil legten.

      1.33 Mein Tagebuch / 15

       Logisch sind das Nutten.

       Würden die sonst Pornos drehen? Die Frauen und Männer, die Pornos drehen, prostituieren sich, verkaufen ihre sexuellen Dienstleistungen und ihre Körper an den Meistbietenden. Ob diese Pornodarsteller dabei Lust empfinden oder nicht, kann ich nicht beurteilen.

       Die eigentliche Frage, die mich beschäftigt, ist eine andere: Wo fängt Prostitution an?

       Wenn meine Partnerin sich hinkniet und mir die Hose aufmacht, fällt es mir schwer Nein zu sagen. Im Gegenteil, ich freue mich über Zuwendungen dieser Art, egal wodurch sie motiviert sein sollten.

       Wenn meine Partnerin mir nun aber nicht einen bläst, weil sie einfach Lust auf Sex hat, sondern es aus einem anderen Grund tut? Könnte es ihr dabei weniger um das Bedürfnis nach erotischem Miteinander gehen, sondern um den Wunsch geliebt und gesehen zu werden? Und was genau würde es bedeuten, wenn meine Partnerin mir regelmäßig gewisse sexuelle Dienstleistungen serviert, weil sie glaubt, dass ich sie dann nicht verlassen werde?

       In diesem Fall käme ich mir als Nutznießer dieser Aufmerksamkeiten wie ein Teil eines Kreislaufes vor, der auf Missbrauch basiert. Dann zerfiele die Nähe, die ich mit meiner Partnerin erlebe, unweigerlich in eine Täter-Opfer-Struktur. Der Stempel des gegenseitigen Missbrauchs würde die wahrhaftige Intimität, nach der meine Partnerin und ich uns sehnen, unmöglich machen.

       Auch, wenn meine Partnerin und ich uns nicht wirklich der Konsequenzen bewusst sind, die unser Handeln hat, wir tun es ja trotzdem. Ich missbrauche meine Partnerin ja nicht bewusst. Aber macht es das besser?

       Ich stille meine Gier an ihr, an ihrem Körper, ohne mich auf eine Begegnung einzulassen, die diesen Namen wirklich verdient hätte.

       Mein Partnerin und ich, wir missbrauchen uns gegenseitig. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Art Deal, eine Geschäftsbeziehung. Denn ich missbrauche nicht nur, ich werde auch missbraucht. Meine Partnerin missbraucht und manipuliert mich. Sie benutzt mich, um sich selbst vorzugaukeln, dass sie liebenswert sei. Und versucht damit den hässlichen Blick in den Spiegel ihrer mangelnden Eigenliebe zu vermeiden.

       So entsteht ein Geflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten, das jedes zarte Liebesgefühl erstickt.

       Wir brauchen uns. Und halten uns mit unserem Gefühl von Mangel gegenseitig gefangen. Diese Art von Abhängigkeitsverhältnis fühlt sich für mich wie ein Gefängnis an. Mit meiner ursprünglichen Sehnsucht nach Nähe und Liebe hat das alles längst nichts mehr zu tun.

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