„Ja, los doch!“, schreien sie im Chor. „Macht die Drecksäue fix und fertig, reißt ihnen alle Löcher auf, fickt sie kaputt!“
Zerstörung und Unterdrückung auf Knopfdruck, das ganze Horrorprogramm wird blitzschnell via Stream direkt ins heimische Wohnzimmer geliefert. In der linken Hand die Fernbedienung und in der rechten der Schwanz, so wird das Sofa zum Schlachtfeld. Dasselbe Sofa, auf dem Papa am Sonntagnachmittag mit den lieben Kindern kuschelt.
1.22 Drehpause
Endlich Fronturlaub,
ich war zurück in meinem Revier. Mein erster Weg führte mich zu meinem Dealer, ich musste dringend meine Vorräte auffüllen.
Jonas war nicht nur mein allerliebster Organizer, sondern auch ein guter Kumpel. Wir hatten in Sachen Weltsicht und Politik gewisse gemeinsame Nenner, aber unser hauptsächlicher Schnittpunkt war natürlich der Stoff. Das, was uns verband Freundschaft zu nennen, wäre vermutlich eine verfehlte Definition gewesen. Vor allem war er leidenschaftlich gut in dem, was er tat. Und er machte, abgesehen vom Kiffen und dem systematischen Verarschen des Arbeitsamts, eigentlich nur eine Sache. Nämlich alles zu organisieren, was ein Junkieherz höher schlagen ließ. Weiche und harte Drogen, von synthetischem Zeug bis zu getrockneten Psylos von der Kuhwiese.
Er selbst rauchte nur Dope. Hasch, braune Platte, das war voll sein Ding. Egal zu welcher Tageszeit ich ihn besuchen kam, stets klemmte ein bläulich qualmender, weißer Keil zwischen den braun verfärbten Resten seiner Kauleiste.
„Hy, Jonas! Sag bloß, du hast dich vor die Tür gewagt?“
Sein Gesichtsfarbe tendierte in Richtung krebsrot, sah verdächtig nach einem Sonnenbrand dritten Grades aus. Und das bei ihm, der normalerweise weiß war wie eine frisch gekalkte Wand und das Wort Sommer nur aus dem Fernseher kannte.
„Jau Clemens, hab eine Frau kennengelernt.“
Er nahm einen tiefen Zug und reichte mir den Joint. Ich wollte mehr Infos, seine Andeutung war mir zu mager.
„Sag bloß, du bist verliebt?“
Obwohl es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein schien, wurde er tatsächlich noch eine Spur röter und grinste verlegen.
„Bis über beide Ohren...“
„In eine Sonnenanbeterin? Oder was ist mit deinem Gesicht passiert?“
„Nee, das heißt Sonnengruß oder so. Wir machen Yoga im Park.“
Die ganze Angelegenheit war ihm sichtlich peinlich, aber mich packte ehrlich gesagt der blanke Neid. Dass eine Frau es schaffte, Jonas, den Eremiten, aus seiner Höhle zu locken, grenzte an ein Wunder. Ganz im Gegensatz zu Marie, meiner aktuellen Lebensabschnittsbegleiterin, schien sie ihm wirklich gut zu tun.
Der Rest des Tages verging sprichwörtlich wie im Flug. Wir kifften um die Wette und redeten über die Höhen und Tiefen, die das Leben mit sich brachte. Als ich mich abends auf den Heimweg machte, war ich reichlich stoned, mein Portemonnaie ein bisschen leerer und meine Taschen dafür prall gefüllt mit genügend Treibstoff für die nächsten zwei Wochen.
Zuhause angekommen, füllte ich erst einmal meinen Drogenbunker auf. Durch meine Strategie der mittelfristigen Bevorratung überschritt ich jede Grenze, die als Konsument noch legal gewesen wäre. Dadurch hatte ich zwar immer den passenden Turn zur Hand, konnte mir jederzeit alles einfahren, wonach mir gerade der Sinn stand, es förderte allerdings auch meinen Hang zur Paranoia. Und da Angst eine starke Motivation ist, wurde es für mich zur obersten Pflicht, ein perfektes Versteck für meine Rauschmittel zu finden. Nach langwierigem Getüftel, fand ich es schließlich in einem selbstgebastelten Geheimfach, dass ich hinter dem Sicherungskasten meiner Wohnung installierte. Schwer zu finden und mit Gummidichtungen und einer extra Plastikfolie, die ich nach jedem Öffnen erneuerte, absolut geruchsneutral verschlossen. Falls eines Tages der Ernstfall eintreten sollte und die Bullen mit einem Spürhund kamen, würden sie leer ausgehen.
Mit der obligatorischen, längst überfälligen Nase Koks, leitete ich das Abendprogramm ein. Nach dem ganzen Dope kam sie erwartungsgemäß gut, brachte meine etwas lethargisch anmutenden Sinne in Sekundenbruchteilen wieder optimal auf Touren. Zu den in Moll gehaltenen Klängen einer Nu-Metall-Band stylte ich mich für einen wilden Ritt durch das Nachtleben der Großstadt, ready to rock'n roll.
Hinter den Fenstern meiner großzügig geschnittenen Vierzimmerwohnung wurde es langsam dunkel, ein vielversprechender Sommerabend begab sich in die Startformation. Jetzt erst einmal etwas Leckeres spachteln und dann mit einer Dose eiskaltem Bier hinunter zum Hafen schlendern. Ich freute mich auf einen ausgedehnten Verdauungsspaziergang am Ufer des Flusses entlang. Bis zu meinem Date hatte ich noch Zeit ohne Ende. Erst gegen Mitternacht war ich mit Marie, in einem zurzeit besonders angesagten Club in einem der umliegenden Szeneviertel, verabredet.
Unser erstes Zusammentreffen nach einer längeren Auszeit fand stets in der freien Wildbahn statt. Wildkatze trifft auf einsamen Wolf. Auf der Lauer liegen. Unerwartet aus der Anonymität auftauchen für einen neckenden Nackenbiss und sofort wieder in Deckung gehen. Ein bisschen flirten, tanzen und mit ihr Fangen spielen. Gemächlich auf Betriebstemperatur kommen. Und dann vögeln, bis der Arzt kommt. Vielleicht auf dem Weg nachhause als Vorgeschmack eine schnelle, heftige Nummer in einem Gebüsch am Wegesrand ballern. Marie brauchte reichlich konkreten Input, um richtig in Fahrt zu kommen. Ich hingegen hätte schon bei dem Gedanken an ihre glattrasierte Möse aus dem Stand explodieren können.
1.23 Mein Tagebuch / 10
Im Nachhinein betrachtet
war es die Begegnung mit einer Frau, durch die sich mir meine dunkle Seite in aller Deutlichkeit offenbarte. Es lag natürlich nicht allein an ihr, letztendlich war sie nur ein Auslöser von vielen, eine weitere Wegmarkierung an einer Kreuzung, eine Option abzubiegen und damit die Schieflage meiner Lebenssituation zu verstärken.
Eine Facette meiner Persönlichkeit, von deren Existenz ich zwar immer eine dunkle Ahnung hatte, der ich mich aber bisher nicht stellen musste. Doch seit Marie in mein Leben trat und mich mit ihrer radikalen Gewaltspirale brutaler Lust dazu zwang, mich entweder zu outen oder schleunigst das Weite zu suchen, gab es kein Zurück mehr. Plötzlich tauchte dieses andere Selbst aus dem Schatten auf und stand direkt vor mir, dieses andere, maßlos hässliche Selbst, auf dessen Anblick ich allzu gerne verzichtet hätte. Die grausame Seite männlicher Gier, der grausame, schwarze König, dessen Nachfahr und Erbe ich zu sein schien. Eine unerträgliche, erschreckende Vorstellung, ein Männerbild zu verkörpern, dass ich im außen, in der patriarchalen Gesellschaft, absolut ablehnte und verteufelte.
Pure Illusion, denn der wahre Feind war ich selbst. Ich hatte mich nur geschickt hinter dem Anspruch versteckt, ein besserer, ein neuer Mann zu sein. Doch nun übernahm der Killertyp die Regie, dem es antörnte, Frauen zu quälen, zu demütigen, zu benutzen, ihnen weh zu tun.
Nachdem ich diesem Teil von mir verfallen war, ihn eine Zeitlang ausgelebt hatte und mit ihm eins geworden war, erkannte ich mit tiefem Schrecken, dass diese, von der Lust auf Zerstörung geprägte Art der Sexualität, langsam und unscheinbar zu meiner neuen Droge Nummer 1 geworden war, eine mit einem wesentlich höheren Suchtfaktor, als alle anderen Drogen, mit denen ich in meinem Leben bislang herumhantiert hatte.
Während unserer Beziehungen war es weder mir noch den Frauen bewusst, aber im Nachhinein erkannte ich, dass die masochistische Grenzenlosigkeit meiner Sexpartnerinnen, ihr Verlangen danach missbraucht und benutzt zu werden, Ausdruck ihres