„Die Räbin. Yskeard, meine treueste Kundschafterin neben Skaerdyx, ihrem Gefährten. Wo immer ich wandere, ist einer von beiden nicht weit.“
„Zwei Raben?“ Sie war ehrlich erstaunt, denn nie hatte sie von den gefiederten Boten des Gottes gehört.
„Ein Pärchen. Seit Urzeiten begleiten sie mich, und kaum jemand weiß von ihnen. Unter den Menschen seid ihr die ersten, die ihre Namen hören. Behaltet sie für euch, und umso besser werde ich mich euch mitteilen können, wenn ich nicht anwesend bin.“
Schweigend nahmen sie den Rat entgegen. Er schien einleuchtend, ohne daß dies einer weiteren Erklärung bedurft hätte.
„Aber der Graue“, knüpfte Hadhuin an die eingangs an ihn gerichtete Frage an, „bis gestern hinkte er noch, und heute....“
„Nichts als ein ausgekugeltes Gelenk“, versetzte Faghnar. „Heute früh, auf meinem Weg in den Wald, machte ich mich ihm vertraut und renkte es ihm wieder ein. Behandelt ihn gut, und er wird über euch wachen und nicht von eurer Seite weichen. Auch wenn niemals ein Hund aus ihm wird.“
„Und das Maultier?“ wollte Hadhuin wissen.
„Es wird sich an ihn gewöhnen.“
„Und wird der Wolf nicht versuchen, es sich zur Beute zu machen?“ warf sie ein.
„Nein. Wölfe jagen im Rudel, wie du weißt. Alleine vermag er es nur mit Kleintieren aufzunehmen. Und zudem respektiert er die Stute als Teil eurer Gemeinschaft.“ Woraufhin Faghnar abrupt das Gespräch für beendet erklärte: „Es ist spät geworden. Morgen habe ich einen langen Weg vor mir. Laßt mir die wenigen noch verbleibenden Stunden zur Ruhe.“
Mit diesen Worten hüllte er seinen Mantel fester um sich und schlug die Kapuze über den Kopf. Den vor wenigen Tagen erst geschnittenen Stab aus Eschenholz hatte er wie eine Schranke vor sich auf den Knien liegen. Keiner von beiden wagte ein weiteres Wort an ihn zu richten. Nachdem sie einen kurzen, verstohlenen Blick mit Hadhuin getauscht hatte, standen sie wie auf Absprache auf und begaben sich in den hinteren Teil der Hütte und auf das Lager. Faghnar veränderte seine Haltung nicht im geringsten, sondern blieb aufrecht und wie erstarrt vor der Tür sitzen, die er mit seinem breiten Rücken abschirmte.
So habe ich ihn zuvor nie schlafen gesehen, dachte sie im Niederlegen, während Hadhuin sie von hinten fest um die Taille faßte. Aber da war es ja auch nicht verlautbar gewesen, daß er ein Gott war.
Das nächste was sie bewußt wahrnahm war ein eisiger Luftzug, der von der Tür her über ihr Gesicht strich. Benommen blinzelte sie über das Fußende ihres Lagers hinweg ins Freie. Dünne Rauchfäden stiegen aus dem fast erloschenen Herd, während jenseits des Flusses der neue Tag heraufglomm und die Nacht einäscherte. Sie war also im Nu eingeschlummert und hatte bis gerade eben in einem durchgeschlafen, ohne auch nur die Lage zu ändern.
Von draußen hörte sie das Krachen brechenden Holzes. Sie warf sich den dicken Wollmantel über, ehe sie ins Freie trat. Der Wind traf sie mit unerwarteter Härte und trieb ihr Tränen aus den Augenwinkeln; mit steifen Fingern schlug sie sich das Tuch vors Gesicht, als sie der Stelle zuschritt wo sie sich zu erleichtern pflegte.
Kurz darauf fand sie Hadhuin hinter der Hütte damit beschäftigt, einen Unterstand für das Maultier zu bauen. Hierfür brach er sich Äste zurecht. Einstweilen hatte er der Stute eine der Decken übergeworfen, die er mit sich führte.
„Es ist ein zähes Tier, aber gegen den schneidenden Ostwind muß es geschützt werden“, begründete er die Maßnahme und hielt kurz mit der Arbeit inne, um sich unter seinem Umhang die Hände warmzureiben.
Sie zog fröstelnd ihren Mantel enger um sich, was ihr nicht viel nutzte, da das Gewebe winddurchlässig war, und fragte nach Faghnar; dabei wußte sie genau, wie die Antwort lauten würde.
„Im ersten Morgengrauen ist er aufgebrochen.“ Hadhuin zeigte ihr die Richtung an, indem er mit einer Kopfbewegung flußaufwärts wies. „Wir sollen uns vorsehen, sagte er mir zum Abschied; es würde noch einmal bitterkalt werden, dies sei erst der Anfang.“
Und jetzt sah sie auch die in südlicher Richtung durch das Gehölz führenden Fußstapfen. Der Anblick tat ein übriges, ihre Stimmung zu verdüstern. Schweigend begann sie, sich Holz aufzuladen. Sie klaubte es zwischen den Stützpfosten der Hütte zusammen, wo ein gewisser Vorrat zum Trocknen aufgeschichtet war, und trug es in der Armbeuge hinein.
Kurz darauf prasselte wieder ein Feuer auf dem Herd. Sie blieb ein Weilchen sitzen und wunderte sich, wie leicht es sich entzünden ließ: obwohl kaum noch Glut vorhanden war, hatte sie es mit nur wenigen Atemzügen zum Flackern gebracht. Mit Genuß fühlte sie, wie die Wärme ihre Haut streichelte. Das Blut schoß in die Wangen zurück und belebte ihre wie versteinerten Gesichtszüge. Zu ihrer eigenen Überraschung lächelte sie.
Im Hinausgehen nahm sie das Rehfell vom Querbalken. Hadhuin fuhr unverdrossen in seiner Arbeit fort und hatte bereits eine ansehnliche Menge an verwertbaren Schäften zusammengetragen. Überrascht blickte er über die Schulter, als sie dem Maultier das Fell überwarf, zusätzlich zur Decke, und ihn am Arm packte. Widerstrebend zunächst, ließ er sich von ihr mitziehen. Vielleicht überzeugten ihn ihre schmalen Finger, die sie zärtlich zwischen die seiner eigenen schwieligen Hand flocht.
Sie lagen bereits nackt miteinander auf dem Lager, sie obenauf, als das kalte, kirschrote Licht der Morgensonne seinen Weg durch die engen Ritzen des nach Osten weisenden Giebels fand und sich an den wärmeren Schein des Herdfeuers herantastete. Sie schloß die Augen, stützte sich auf ihre gestreckten Arme und warf mit einem leisen Stöhnen den Kopf in den Nacken, während seine gespreizten Fingerkuppen über ihre erwartungsvoll bebenden Seiten strichen. Sie fühlte wie er Einlaß begehrte, öffnete sich weit wie ein Burgtor und blickte ihm überrascht in die Augen, als sie ihn vollkommen unerwartet fragen hörte:
„Und wie ist dein Name?“
Wenige Tagesreisen von Kadhlynaegh entfernt
lag ein alter, wenn auch längst nicht ausgebeuteter Basaltsteinbruch.
Abseits der breiten, aus dem Gebirge herausführenden Straße standen an einem sonnigen Vormittag fast drei Monate nach der Wintersonnwende zwei Männer; ihre grobe Kleidung deutete darauf hin, daß sie wohl in irgendeiner Weise im Steinbruch beschäftigt waren, wenn auch nicht als Sklaven oder Kriegsgefangene, was zumindest am extrem kurz geschorenen Haar zu sehen gewesen wäre. Mitten auf der Straße warteten geduldig zwei Maultiere, die Köpfe Richtung Ebene ausgerichtet.
Der späte, aber schneereiche Kälteeinbruch hatte lange angehalten. Erst vor wenigen Tagen war der Frost über Nacht dem Tauwetter gewichen. Der Frühling drängte jetzt mit aller Macht den Winter zurück. Vogelstimmen und das Tropfen von den Bäumen herabschmelzenden Schnees erfüllten die Luft, und wo das glitzernde Weiß den Boden freigab, begann es zu grünen und stellenweise sogar zu blühen.
Die Männer hielten den Blick auf den Boden unmittelbar vor ihnen gerichtet, wo sich ein stark in die Verwesung übergegangener Leichnam abzeichnete. Der kleinere und wie es schien etwas ältere von beiden hielt ein kupfernes Amulett, das an einer Bastschnur von seiner rechten Hand baumelte. Er hatte es, als sie zusammen aus dem Steinbruch kamen, am rechten Wegrand gefunden und augenblicklich zuzuordnen gewußt. Nicht weit von der Fundstelle entdeckten sie daraufhin die Leiche.
„Du bist also vollkommen sicher?“ fragte der Jüngere, der links von ihm stand.
„Felsenfest, bei Dhwyrd! Wer sonst soll es sein, wenn nicht Bhaldrym? Viel hat ihm sein Talisman nicht genutzt, dem armen Bastard. Aber es ist seiner, dabei bleibt es.“
Sein Begleiter warf einen mißtrauischen Blick darauf.
„Vielleicht sollten wir uns nicht allzu viel damit abgeben, wenn er mit Unglück behaftet ist.“
„Und was glaubst du, warum ich ihn nur an der Schnur halte? Wickle ihn ein, bevor du ihn dem Oberaufseher bringst. Vermeide es, ihn zu berühren.“
„Ich?“ knurrte der