Petra Vetter
Meermädchen
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Inhaltsverzeichnis
Ein Jahrhunderttalent – Prolog
London 09. April 2015, Teil II
Ein Jahrhunderttalent – Epilog
Ein Jahrhunderttalent – Prolog
Dank
An dieser Stelle möchte ich all denen danken, die mich während meiner Schreibphase ermutigten und an mich glaubten. Insbesondere meinen Lektorinnen Helgard Grosseschallau und Yamina Vetter, die mich mit ihren Kommentaren und Einwänden inspirierten. Und last but not least meiner Tochter Alyssa und ihrem Freund Janko für ihre tolle Covergestaltung.
Vaslav Nijinsky, einer der größten Solisten der Ballettgeschichte, kommt als Kind zweier Tänzer, Tomasz Nijinsky und Eleonora Bereda, mit polnisch-ukrainischen Wurzeln zur Welt. Über sein Geburtsdatum herrscht Uneinigkeit. Manchen Quellen zufolge wird er am 12. März 1888, 1889 oder 1890, anderen hingegen am 17. Dezember 1889 in Kiew geboren.
Ab 1900 besucht er, zusammen mit seiner Schwester Bronislava, die kaiserliche Tanzakademie in Sankt Petersburg.
1908 trifft Nijinsky den homosexuellen Impresario Sergei Djagilew, wird dessen Liebhaber und zum Star seines Ensembles Ballets Russes.
Auf einer Tournee durch Südamerika 1913 verliebt sich der bisexuelle Nijinsky in die ungarische Tänzerin Romola de Pulszky und heiratet sie noch im gleichen Jahr. Djagilew entlässt Nijinsky und Romola in einem Anfall von Eifersucht fristlos.
Im Ersten Weltkrieg gerät Nijinsky in ungarische Kriegsgefangenschaft. Die erlebten Gräuel werfen ihn aus der Bahn, werden zu albtraumhaften Visionen.
Erst 1916 bietet ihm Djagilew wieder eine Rolle in den Ballets Russe an. Während einer Nordamerika Tournee 1916 werden die Anzeichen einer psychischen Erkrankung immer deutlicher. Nijinsky leidet zuweilen unter Wahnvorstellungen und verfällt in religiös bedingte Konflikte. In Djagilew sieht er nun seinen ärgsten Feind.
1919 bricht Nijinsky bei einer privaten Vorstellung in St. Moritz, die er Hochzeit mit Gott nennt, mit einer schweren Nervenkrise zusammen. Die Diagnose ‚Schizophrenie‘ beendet seine Karriere. Er lebt von jetzt an in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, umgeben von seelischer Finsternis; in innerer Qual, dämmert er 30 Jahre dahin. Erst eine Begegnung mit russischen Soldaten im Jahr 1945 befreit ihn von seinen Blockaden. Er zieht mit seiner Frau nach London und kann dort ein fast normales Leben führen.
Nijinsky stirbt am 8. April 1950 in London, wo er auch beerdigt wird. Drei Jahre später findet die Umbettung auf den Cimetière de Montmartre in Paris statt.
Als Tänzer aber bleibt Nijinsky ein unvergessenes Genie. Er beeindruckt durch seine außerordentliche Virtuosität, seine darstellerische Wandlungsfähigkeit, sein lyrisches Spiel, seine Grazie und seine Sprungtechnik. Sein Ballon - die Fähigkeit, einen Sprung scheinbar in der Luft zu halten- gekoppelt mit der Gabe zu lautlosen, sanften Landungen, gilt zu seiner Zeit als einmalig. Sein Name steht für perfekte Tanzkunst. Erst Rudolf Nurejews Talent (1938 -1993) wird mit dem Nijinskys verglichen.
Nijinsky identifiziert sich mit seinen getanzten Rollen, verschmilzt mit den Charakteren seiner Darstellung. So gewaltig seine Sprünge auch sind, so zart werden seine Bewegungen in lyrischen Passagen. Sie kommen aus dem Inneren, sein Gesicht zeigt Verzückung, absolute Glückseligkeit; der Tanz entrückt ihn, ist seine Bestimmung.
Von kleiner Statur und eher gedrungen gebaut, unterscheidet sich Nijinsky vom herkömmlichen Ideal eines Tänzers, kann die klassischen Prinzenrollen nicht gut füllen. Doch mit Mikhail Fokine engagiert sein Mentor Djagilew einen Choreographen, der das Androgyne und Katzenhafte Nijinskys erkennt und in Szene setzt.
Fokine kreiert als erster Choreograph ein Ballett ohne tragende Handlung, also ein ‚Ballet pour le Ballet‘ und gilt als Neuerer des Genres. Zum ersten Mal steht ein Tänzer gleichberechtigt mit einer Tänzerin auf der Bühne, befreit sich der männliche Part von seiner bisherigen Rolle, die ihn auf das Tragen und Stützen der Partnerin beschränkt.
Fokine hebt die klassische Geschlechterrolle auf, indem er dem männlichen Part eine androgyne Rolle zuweist, und Nijinsky wird zum Mittelpunkt von Handlungs- und Ausdrucksballetten. Als Goldener Sklave zeigt er in Scheherezade Verführung und Erotik, in Le Spectre de la Rose erscheint er einem jungen Mädchen, das mit einer Rose vom ersten Ball zurückkommt, als Geist ebendieser Rose. Die Grazie und Eleganz von Nijinskys Sprung durch das Fenster, mit dem er nach dem Pass de Deux das Mädchen wieder verlässt, wird in den Kritiken und beim Publikum als unerreichbar gefeiert.
Nach Fokines Entlassung aus der Djagilew Truppe übernimmt Nijinsky dessen Aufgaben, wird zum Choreographen der Ballet Russe, doch ist er der Aufgabe noch nicht gewachsen. Seine Unerfahrenheit, dem Ensemble neue Ideen zu vermitteln, werden zur Herausforderung. So stoßen die abgehackten, eindimensionalen, im Profil verlaufenden Bewegungen in L’Après-midi d’un faune auf erheblichen Widerstand bei den Tänzern. Bei der Uraufführung dieses Werkes kommt es durch die erotischen, sexuell motivierten Bewegungen zum Skandal.
Von ‚Fetisch und angedeuteter Onanie‘ ist in der Presse die Rede. Auch sein Werk Le Sacre du Printemps überfordert das Publikum; Nijinsky ist mit seinen Visionen seiner Zeit weit voraus. Beim Sacre verstärkt Strawinskis Musik die Ablehnung der Zuschauer. Noch während der Aufführung kommt es zu einem heftigen, gewalttätigen Tumult, und das Stück kann nur nach massivem Polizeieinsatz weitergeführt werden. Nijinsky steht die ganze Zeit auf einem Stuhl und schreit 'Sechzehn, Siebzehn, Achtzehn', um seinen Tänzern die Takte vorzuzählen, die wegen des Getöses der anwesenden Besucher die Musik nicht mehr hören. Nijinsky, der sich selbst als fühlenden Philosophen bezeichnet, ist durch die Reaktion schwer getroffen und wirkt während der Aufführung wie benommen. Später kommt es zum Krach zwischen ihm und Strawinski, weil dieser seine Musik durch die Choreographie herabgewürdigt sieht.
Nijinskys eigene, tief verwurzelte Selbstzweifel und seine emotional gefühlte Minderwertigkeit, die er als Tänzer in Rollen wie Petruschka zum Ausdruck bringt, werden bestärkt.
Sein Stern beginnt zu fallen. Seine Wahnvorstellung