Final - Tanz. Jürgen Ruhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Ruhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742703828
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War keine Absicht.“

      Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht eines Negers. Der Mann lächelte mich an und mir fielen sofort die weißen Zähne in dem dunklen Gesicht auf. Er trug ein knallbuntes Hemd mit Blumenmuster und blickte an mir herunter: „Oh man, what ... Das ist cool, Junge.“ Er zeigte auf den Riss in meiner Jacke. Das wird garantiert der Trend des Sommers. Einfach cool, supercool! Warte Mann, nicht weglaufen.“ Er ging langsam rückwärts und beobachtete mich dabei, dann drehte er sich um und lief zu einer Gruppe, die weiter hinten in der Ecke standen. Birgit und ich sahen uns fragend an.

      Zwei Minuten später wurden wir von den Leuten umringt. „Na, People, ist das nicht megacool? Habe ich zu viel versprochen?“ - „Hammer.“ - „Uppercool.“ - „Super“, hörte ich die Leute murmeln. Eine Frau kramte in ihrer Handtasche herum und zauberte eine kleine Nagelschere hervor. Der Schwarze jubelte und klatschte in die Hände. „Außerordentlich!“, rief er.

      Dann schnitt er sein Hemd ein, bis ein Riss, ähnlich dem in meiner Jacke, entstand. Die Leute jubelten. Einer nach dem anderen tat es ihm nach und alsbald stand mir eine Gruppe von Männern gegenüber, deren Hemden so kaputt waren, wie mein Jackett. Ich hörte Birgit hinter mir leise lachen.

      „Cool, wir müssen ein Foto machen, einverstanden?“ Der Neger sah mich fragend an und ich nickte. Die Männer in ihren zerrissenen Hemden stellten sich um mich herum und der Dunkelhäutige legte einen Arm um meine Schultern. Die Frau mit der Nagelschere schoss mehrere Bilder mit ihrem Handy.

      In diesem Moment ertönte ein Gong, der den Beginn der Aufführung ankündigte. Die Leute stoben auseinander und plötzlich standen Birgit und ich wieder alleine da. „Die Düsseldorfer Yuppies“, lachte sie und die Tränen liefen ihr über die Wangen. „Die Schickeria. Und du gehörst ganz offensichtlich dazu! Jonathan Lärpers, du bist aber auch sooo cool, sooo supercool.“

      Als wir unsere Plätze in dem Saal aufsuchten, lachte sie immer noch.

      Verwundert sah ich mich um. Auf den Sitzen saßen gut verteilt vielleicht dreißig Leute. Die Typen in der Gruppe mit dem Schwarzen fotografierten sich jetzt gegenseitig und standen dazu immer wieder von ihren Plätzen auf. Ein zweiter Gong ertönte, doch keine weiteren Zuschauer strömten in den Saal. Dann wurde es langsam dunkler, bis nur noch eine Minimalbeleuchtung herrschte. Plötzlich wurde die Bühne durch einen einzelnen Scheinwerfer in grelles Licht getaucht.

      Eine Frau trat in den Scheinwerferkegel und Applaus brandete auf. Ich schätzte sie auf vielleicht einen Meter fünfundsechzig. Vom Aussehen her tippte ich darauf, dass es sich um die Ehefrau von Sergio Palyska handeln musste, was mir Birgit auch direkt flüsternd bestätigte: „Jeka Krynow, die Ehefrau. Sie managt die Tournee.“

      „Herzlich Willkommen, meine Damen und Herren“, begann sie ihre Ansprache, die über eine Lautsprecheranlage übertragen wurde. „Ich freue mich, sie zu unserer Auftaktveranstaltung ‚Tanz des Flamingos‘ so zahlreich begrüßen zu dürfen. Ich kann ihnen versprechen, dass sie einer außergewöhnlichen Darbietung beiwohnen werden. Der große Künstler Sergio Palyska hat für dieses besondere Ereignis auf die Verlängerung seines Vertrages an der Deutschen Oper am Rhein verzichtet, um sich einen Jugendtraum erfüllen zu können.“

      „Ich dachte, die haben seinen Vertrag nicht verlängert?“, raunte ich Birgit zu. Ich konnte mich genau daran erinnern, dass Bernd solche Worte gebraucht hatte.

      „Stimmt“, gab sie ebenso leise zurück. „Aber das können sie ja hier schlecht sagen, oder? Tatsache ist aber, dass Palyska Leistungen wohl zu wünschen übrigließen. Er kommt in ein Alter, in dem man jüngere Tänzer bevorzugt.“

      Ich nickte und lauschte wieder den Worten der Frau auf der Bühne.

      „Sergio Palyska wurde als Sohn georgischer Auswanderer am zweiundzwanzigsten Februar Neunzehnhundertvierundachtzig in Münster geboren. Schon als Kind begeisterte er sich für den Tanz und damit verbundene Ausdrucksformen. Dank einem Freund der Familie, der sein Talent erkannte und ihn förderte, erhielt Sergio schon mit drei Jahren Tanzunterricht und wechselte mit sechs Jahren an die Ballettschule der Deutschen Oper am Rhein. Sergio erlernte den Tanz unter dem berühmten Ballettdirektor Neyusa Restabrunya.“

      Erneut applaudierten die Zuschauer. Vermutlich handelte es sich um Leute, die sich in der Ballettszene auskannten. Oder die einfach nur klatschten, wenn ein neuer Name fiel.

      „Und jetzt ist er hier bei ihnen: Sergio Palyska“, fuhr sie fort. „Der König der Körperbeherrschung, der Meister des Tanzes, der Star der Deutschen Oper am Rhein. Sergio Palyska.“

      Ich nutzte den anhaltenden Applaus und beugte mich zu Birgit hinüber: „Ich bin auch Meister der Körperbeherrschung“, flüsterte ich ihr zu und rülpste laut und anhaltend. „Jeder andere hätte jetzt gekotzt!“

      „Jonathan Lärpers, du bist widerlich“, flüsterte sie zurück, doch mir schien, dass sie ein Grinsen unterdrückte.

      Eine Flöte erklang und es erinnerte mich stark an persische oder arabische Musik. Die Folge der Töne wiederholte sich ständig und ging mir schon mächtig auf die Nerven, bevor der Tänzer überhaupt auf der Bühne erschienen war. Dann endlich zeigte er sich. Ein Mann, gekleidet in Weiß, wobei sein unterer Teil von einer Art Strumpfhose bedeckt wurde, tanzte mit langen Schritten von links nach rechts, drehte sich einmal und hüpfte in der Gegenrichtung wieder in die andere Ecke. Die Zuschauer applaudierten erneut lang und anhaltend, während der Mann jetzt im Kreis herumtanzte. Die ewig gleichen drei Töne der Flötenmusik intensivierten sich, wurden mal schneller und mal langsamer. Sergio Palyska wiegte seinen Körper im Rhythmus der Musik, sprang, stakste und rannte von links nach rechts, dann wieder von rechts nach links und ich hoffte, dass ihm bald die Puste ausgehen würde. Die jungen Leute mit den Schnitten in ihren Hemden nickten im Takt und der Neger zeigte unentwegt sein reinweißes Gebiss.

      Genau eine Stunde musste ich das Gedudel und Gehopse ertragen, dann endete die Musik abrupt und der Künstler stand schweißnass und am ganzen Körper zitternd vor seinem Publikum. Schließlich verbeugte er sich, während die Zuschauer unentwegt klatschten und ‚Bravo‘ riefen.

      „Das war aber schön“, gab ich sarkastisch von mir. Irgendwie wollte ich meine Freude darüber ausdrücken, dass der Auftritt endlich zu Ende war.

      „Da hast du Recht“, stimmte mir Birgit zu und ich fragte mich, ob sie das ernst meinte oder meinen Sarkasmus bemerkt hatte. „Gehen wir zum großen Künstler und machen wir uns mit ihm bekannt.“

      Den Tänzer fanden wir in einem kleinen Raum hinter der Bühne, der zum Umkleiden diente. Da die Tür offenstand, sparte ich mir das Klopfen und trat direkt ein. Birgit folgte mir auf dem Fuße. Sergio Palyska unterhielt sich gerade mit seiner Frau und ich bemerkte, dass die beiden miteinander stritten.

      „Und ich sage dir, Sergio, deine Drehung in der zweiundzwanzigsten Minute war ein wenig zu dynamisch.“

      „War sie nicht“, widersprach er seiner Frau. „Ich brauchte den Schwung für den nachfolgenden Entrechat, das weißt du ganz genau.“

      „Du wärst fast gestolpert. Sieh das doch ein.“ Jeka Krynow deutete ein Stolpern an und lachte.

      „Ach, du bist ja so gemein zu mir, so ... so ...“

      Ich räusperte mich und beendete damit den Disput. Die beiden drehten sich überrascht zu uns um.

      „Huch, was wollt ihr denn hier? Hinaus, hinaus“, rief der Künstler entsetzt. „Autogramme gebe ich doch gleich in der Lobby. Ach, was seid ihr Fans aber auch aufdringlich. Hinaus, hinaus!“

      „Jonathan Lärpers“, stellte ich mich vor und hielt meinen Detektivausweis hoch. Das gab der ganzen Angelegenheit einen offiziellen Charakter, wie ich hoffte.

      „Wer seid denn ihr?“, fragte Sergio und sah dabei seine Frau an. „Gewerkschaft? Polizei? Nein, wie aufdringlich.“

      „Wir sind ihre Bodyguards“, fiel jetzt Birgit ein und ging lächelnd auf den Mann zu. Der wich ängstlich zurück.

      „Nein, weg, bah. Was für Bodyguards? Jeka, sag doch auch etwas!“