Subjektstufig sind alle Beteiligten als Anteile des eigenen Selbst zu sehen, wobei der Analytiker im Traum die kindlich-abhängigen Tendenzen verkörpert und das Bedürfnis nach einer väterlichen Präsenz, während der andere Patient die schon erwähnte Schattenfigur ist, mit den abgelehnten und unerwünschten Eigenschaften, wobei aber auch eine größere Autonomie und Ablösungsfähigkeit verkörpert wird. Ich selbst bin im Traum Ausdruck einer superioren Funktion, verbunden mit Machtausübung und Kontrolle, aber auch mit Liebesfähigkeit, Wärme und Nähe.
An dieser Stelle möchte ich gleich einen weiteren Übertragungstraum anknüpfen und die chronologische Reihenfolge geringfügig verändern. Der Analytiker wird durch „jemanden“ disqualifiziert. Er habe ein Exposé nachverfolgt und dabei festgestellt, dass er „weibisch“ sei. Seine Frau sei schrecklich, kommandiere zu Hause, und er selbst sei niemals anwesend.
Der Traum lässt an „Klatsch und Tratsch“ denken. Das „Weibische“ an „Weichei“ und die Frau mit den Hosen an Witze mit dem Nudelholz. In Wirklichkeit gab es beim Analytiker keine Hinweise in diese Richtung, und auch seine Frau, die ebenfalls Analytikerin war und als solche regelmäßig in Erscheinung trat, machte nicht den Eindruck eines solchen „Drachen“.
Vermutlich werden eigene weibliche Anteile auf den Therapeuten projiziert, der mir selbst dadurch ähnlicher wird, und auch die Vorstellung, er stehe unter dem Pantoffel, macht ihn ein wenig kleiner und menschlicher. Ich erinnere mich an eine Art Comiczeichnung, die zwei Kinder während einer Familiensitzung anfertigten, und in der ich als jemand dargestellt wurde, der von seiner Frau drangsaliert wird. Dabei waren möglicherweise ähnliche Mechanismen vorhanden, wobei in diesem Fall natürlich auch daran zu denken wäre, dass die Kinder die Beziehung ihrer Eltern auf mich und meine hinzu fantasierte Frau projizierten. Gleichzeitig fordert dieser Traum mich auf, eigene weibliche Anteile zu beachten und mich mit der eigenen Abwertung derselben auseinanderzusetzen, entsprechend der negativen Konnotation, die mit den Attributen „weibisch“ und „Weichei“ verbunden ist. Es geht demnach um die Integration der „Anima“. Zudem scheint es um Ängste oder zumindest eine Besorgnis zu gehen im Hinblick auf eine mögliche Partnerschaft oder Ehe mit einer Frau. Werde ich dann unter der Fuchtel einer gestrengen Herrin mein Dasein fristen, und besteht vielleicht sogar eine Neigung zu einer derartigen Beziehungsgestaltung, auch wieder in Richtung Sadomasochismus? Die Frau dominant und ich devot? Auf die Männergesellschaft insgesamt angewandt hat der Traum wiederum mit dem Feminismus zu tun und spiegelt womöglich die Sorge aller Männer vor einer Herrschaft der Frauen, dass also die Benachteiligung und Diskriminierung des weiblichen Geschlechts umschlagen könnte und statt Gleichberechtigung ein Niedergang der Männer bevorstünde. Aktuell ist diese Besorgnis wohl nicht ganz unbegründet, da sich intelligente Fernsehmoderatoren als „männliche Feministen“ (Gert Scobel) outen, um in einer Art Anbiederung an das “schwache Geschlecht“ jedem Vorwurf von Machogehabe prophylaktisch zu begegnen.
Passend hierzu der nächste Traum: Es herrscht Überschwemmung in der Stadt, und ich schwimme im Wasser, mit Kleidern, und mir ist kalt. Nun erscheint ein „sehr starker Mann“, der seine Fähigkeiten zeigt. Es ist ein Videofilm zu sehen mit sehr brillanten Bildern.
Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich noch kein Hochwasser miterlebt. Es erinnert aber an entsprechende Berichte, auch an die Sintflut natürlich. Dass ich die Kleider anhabe, zeigt vermutlich, dass ich vom Wasser überrascht und mitgerissen wurde. Der starke Mann könnte wiederum den inneren „großen Mann“ der Naskapi-Indianer darstellen, der hier offenbar hilfreich eingreift. Das Video mit den Bildern bezieht sich wie zuvor auf die Bilder aus dem Unbewussten, die mit dem Traum zu tun haben können.
Wasser ist ein mütterliches Symbol und verweist auf den vorgeburtlichen Zustand, wo es aber normalerweise warm ist. Im Traum ist jedoch von Kälte die Rede, und das könnte symbolisch bedeuten, dass ich selbst schon im Mutterleib eine gewisse (seelische) Kälte verspürt habe, da es meiner Mutter zum damaligen Zeitpunkt nicht gut ging und sie nur daran dachte, wie sie ihr Kind loswerden könnte. In Wirklichkeit waren es sogar zwei, ein Zwilling von mir ging als Totgeburt ab. Man weiß nicht, was sich diesbezüglich im Innern abgespielt hat, aber der Fantasie sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Das verschlingende Wasser hat mit dem furchtbaren Aspekt des „Großen Weiblichen“ zu tun und der tödlichen „Westgefahr“, dort wo die Nachtseite beginnt und der Sonnenheld seine Nachtmeerfahrt beginnt (Erich Neumann, „Die Große Mutter“ 1974). Die Überflutung ist ein archetypisches Bild und wurde in früheren Zeiten als eine Strafe Gottes oder der Götter angesehen, verbunden mit einer wundersamen Rettung wenigstens einiger Menschen, die der Katastrophe entrinnen konnten. Die biblische Sintflut ist ja bei weitem nicht die einzige Erzählung dieser Art. Beispielhaft kann man an eine Legende der Mosuo in Südwestchina denken, im Himalaya-Gebiet, in der von einer Überflutung des Lugu-Sees berichtet wird, ausgelöst durch zu viele Tränen der Seegöttin. Nur eine Frau und ihre Kinder konnten sich in einem Schweinetrog retten und neue Generationen von Mosuo begründen. Es ist kein Zufall, dass die Gottheit weiblich ist und gerade eine Frau mit Kindern gerettet wird, da bei den Mosuo eine Art Matriarchat herrscht und die Frauen sich für alles verantwortlich fühlen. Eine andere Version schildert das Gilgamesch-Epos, wo von der „großen Flut“ berichtet wird. Einige Forscher vermuten einen Kometen oder Meteoriteneinschlag als Ursache, aber auch Tsunamis oder durch Wirbelstürme verursachte Flutwellen könnten durchaus der Ursprung von solchen Berichten sein. Aus der Sicht einer Bestrafung hätte das Ganze mit schlechtem Gewissen zu tun und einem unbewussten Bestrafungsbedürfnis, von dem schon die Rede war. Rettung naht in Gestalt des „Großen Mannes“, der hier seine Fähigkeiten zeigen kann und auch noch besonders brillante Bilder aus dem Unbewussten vorstellt. Die „Überflutung“ kann nämlich, in Anlehnung an C. G. Jung, die Gefahr einer Überschwemmung („Inflationierung“) durch Inhalte des Unbewussten andeuten. Unterdrückte und verdrängte Triebimpulse oder auch unbewusste und ungelöste Konflikte können mit Macht ins Bewusstsein eindringen und eine ernste Bedrohung für das psychische Gleichgewicht darstellen. Dank des inneren, starken Seelenführers und natürlich auch des äußeren (dem Psychoanalytiker) kann es gelingen, die Naturgewalten zu besiegen und zu überleben. Man muss aber sozusagen bereit sein, ins kalte Wasser zu springen, auch mit den Kleidern, um zumindest das nackte Überleben zu sichern. Bezogen auf das kollektive Unbewusste können solche Träume und Mythen eine Warnung und ein Hinweis darauf sein, dass die Menschen zu wenig auf ihre „innere Stimme“ hören und dass deshalb eine Katastrophe droht.
5. Kapitel: Die Geschichte von Babylon und orale Träume
Meine Mutter und meine Großmutter sind mit mir zusammen, und die Großmutter wendet sich an mich mit der Frage, ob ich die Geschichte von Babylon kenne und wo sie geschrieben steht. Ich antworte und sage, dass sie mir bekannt sei und dass sie in der Bibel stehe. Mit einem Schuss Ironie füge ich hinzu, dass ich noch eine besitze, eine andere aber weggeworfen habe. Ich zeige eine nicht ganz ernst gemeinte Geste, die eine gewisse Angst vor ihrer möglichen Reaktion zum Ausdruck bringt.
Die Großmutter war eine sehr fromme und bibelgläubige Frau, und ich war für ein Jahr in ihrer Obhut, im Alter von etwa 8 Jahren und kam auch später in den Ferien noch zu ihr und ihren drei Kindern aus zweiter Ehe. Bei ihr wurde täglich gebetet und in der Bibel gelesen, und die Angst vor dem Satan war ein großes Thema, was bei mir auf fruchtbaren Boden fiel. Sie hatte zweifellos ein erstes innigeres Interesse für religiöse Dinge in mir entfacht, das später im Internat bei den Klosterschwestern weiter vertieft wurde, allerdings nicht in ihrem Sinne. Als ich nämlich später ein frommer Katholik wurde, gab es häufige Streitgespräche mit ihr, da sie die Kirche und den Papst vehement ablehnte und mit dem Antichrist in Verbindung brachte. Wir hauten uns sozusagen die Bibelzitate um die Ohren. Babylon oder, wie es im Alten Testament genannt wird, Babel hat mit dem Exil der Juden zu tun und galt schon damals als Synonym für Sünde und Ungläubigkeit. Neutestamentlich wurde in der Offenbarung des Johannes daraus die Hure Babylon, die Mutter und