bOOk oF liFe. Jess Pedrielli. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jess Pedrielli
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847612537
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ab, bitte! Mir gefällt es hier nicht. Überhaupt nicht! Hilfe!“

      Er tat es nicht. Jahre später fand er Trost in der Begegnung mit einem Seelenverwandten, dem es ähnlich erging wie ihm. Jener sah zwar etwas verschrumpelter aus als er, besaß dafür jedoch einen leuchtenden, roten Finger, mit dem er nach Hause telefonieren konnte! Mingus hätte alles für so einen Finger gegeben. Doch ihm blieb nur, sich unruhig im Bett herumzuwälzen, während ein undefiniertes Leben als Mensch vor ihm lag, das mehr Geheimnisse als Erklärungen bereit hielt. Das Leben der anderen war angefüllt mit Dingen, die für ihn keine Bedeutung hatten und umgekehrt. Dabei beschäftigte ihn so vieles, das sie doch auch aufwühlen musste? Fragen wie: Wozu gab es Menschen? Was war eigentlich ein `Ich´? Was passierte mit dem Strom der Zeit, wenn keiner mehr da war, um ihn zu beobachten? Tickte die Zeit dann einfach weiter in die Unendlichkeit des Alls hinaus wie ein tropfender Wasserhahn, dem keiner mehr Beachtung schenkte?

      Wie konnte man sicher sein, dass das Universum unendlich war? Es konnte doch genauso gut sein, dass nur noch niemand weit genug bis zu dessen Grenzen vorgedrungen war? Überhaupt diese Sache mit der Unendlichkeit – wie sollte man sich etwas vorstellen, dass keine Form, keinen Anfang und kein Ende besaß und somit das eigene Fassungsvermögen vollkommen sprengte? Und ausgerechnet in so einem Ding saß man fest? Mingus schwoll jedes Mal bedrohlich heiß der Kopf an und drohte zu explodieren, bei dem Versuch, sich gedanklich der Unendlichkeit anzunähern. Ihre Grenzenlosigkeit erschreckte ihn buchstäblich zu Tode. Denn trat er mit seinem Tod nicht zwangsläufig in sie ein, wenn es nichts außerhalb des Universums gab? Doch auch, wenn er sich nicht bemühte, dem unendlichen Universum mit seinem eigenen, menschlichen Zwergenhirn beizukommen, blieb immer noch die Frage, wer das Ding damals gepflanzt hatte? Und wozu?

      Und dann war da auch noch diese Sache mit den Trillionen anderen Planeten im Weltraum. Wenn angeblich keiner darauf wohnte, wozu gab es die alle? Waren die zur Dekoration da? Diese Verschwendung schien ihm unlogisch. Gerade so, als ob man Trillionen von Häusern bauen würde, in die aber keiner einziehen durfte. Einer seiner gedanklichen Klassiker war auch: Was passierte später mit der Erde, wenn der Sonne ihr Feuer ausging? Man konnte doch die gesamte Geschichte der Erde sich nicht einfach so auf Nimmerwiedersehen im leeren Raum auflösen lassen, als habe sie nie existiert? Das wäre dann wiederum so, als würde man jahrelang an einem Haus bauen, um es am Tag der Fertigstellung in die Luft zu sprengen. Plopp. Aus und vorbei. Nichts und niemand übrig. Nicht einmal ein einziger Überlebender, der sich nach ihrem Verschwinden jemals wieder an die Erde erinnern könnte oder noch viel schockierender – an ihn! Mingus schauderte entsetzt.

      Was beinhaltete Sterben überhaupt? Was sollte man sich darunter vorstellen? Was passierte dabei mit einem? Wo befand man sich anschließend? Denn irgendwo musste man im Anschluss ja enden, wenn man von hier wegging. Nur weil der Zuckerwürfel sich in der Teetasse auflöste, hieß das ja auch nicht, dass sich kein Zucker mehr darin befand. Demnach musste es auch einen Ort geben, an dem die Toten sich nach ihrer körperlichen Zersetzung aufhielten. Dauerte es lange, bis man dort war? Gab es da auch genug zu essen, um all die vielen Toten seit Anbeginn der Zeit zu füttern? Womit wurden sie gefüttert? Einen Körper zum Verdauen hatten sie ja nicht mehr. Oder woher bezogen die Toten dann ihre Energie, wenn nicht aus irgendeiner Form von Nahrung? Musste ja ein Riesenort sein, das Totenland. Und wenn man nach dem Tod bloß an den Ort zurückkehrte, von dem man ursprünglich hergekommen war, wie manche behaupteten, wieso war man nicht gleich dort geblieben? Wozu der Umweg?

      Die Erwachsenen waren ihm hierbei keine Hilfe. Sie zuckten mit den Achseln und antworteten ihm, dass diese Dinge schlichtweg niemand beantworten konnte. Mingus kochte innerlich. WARUM nicht? Was hatten die denn alle in den Tausenden von Jahren vor seiner Ankunft getrieben, dass noch keiner Antworten gefunden hatte? Und was hatten die alle zu tun gehabt, das wichtiger gewesen sein konnte, als eben dies herauszufinden? Er fluchte leise.

      Da war eindeutig etwas faul. Mingus kratzte sich verdrossen den Kopf. Das mit dem Leben war, als ob man plötzlich in ein Computerspiel hinein gebeamt worden sei, ohne die Regeln, das Ziel oder den Endgegner zu kennen. Und statt zu erkunden, wie man bloß in so eine missliche Lage hatte geraten können, um sie möglichst schnell wieder rückgängig zu machen, waren die anderen Spieler durchaus zufrieden damit, sich gegenseitig abzuknallen und das eigene Punktekonto zu füllen.

      Mingus hingegen mutmaßte, dass es da weitere und ganz andere Level und Spielszenarien geben musste, die um einiges interessanter und spannender waren. Aber das war nur so eine vage Idee, dass irgendwo da draußen ein Mehr existierte. Ein Mehr von allem. Eines, das logisch aufgebaut war und klare Strukturen enthielt. Nicht zu vergleichen mit dem für ihn so dürftigen Weltbild, das kursierte. Wenn er durch die Straßen lief und die Menschen an ihm vorübereilten, die Leute ebenso wie die Bäume und Häuser an ihm vorbeizogen, wusste er, dass sie genau das waren, was sie waren - ein vorübergehendes Ereignis in der Welt. Sie alle waren nur vorüberziehende Erscheinungen. Nichts davon und niemanden von ihnen brauchte man ernst zu nehmen. Alles, was existierte, war ja nur einen flüchtigen Augenblick lang hier. Ein Fingerschnipsen der Ewigkeit waren sie alle. Denn irgendwann in der Zukunft würde fort sein, was ihn momentan umgab. Verschwunden in der Vergänglichkeit, als wäre es nie da gewesen. Wahrlich es lohnte kaum, es ernst zu nehmen. Es war doch fast schon wieder fort.

      Wozu also all dies erst erschaffen? Mingus wälzte sich zum wiederholten Male im Bett herum, knüllte aufgebracht sein Kissen zurecht, drehte sich zur Wand und versuchte trotz des Ansturms an Gedanken in seinem Kopf einzuschlafen. Sein Gehirn erinnerte ihn manchmal an das Rad seines Ex-Hamsters. Ob er selbst auch eines Tages mit blutender Nase darunter eingequetscht aufgefunden werden würde? Er gab einen Seufzer von sich. Aus dem Leben sollte einer klug werden. Anderen erging das wohl nicht anders, aber im Gegensatz zu ihm störte sie das offenbar nicht. Sie verbrachten ihre Zeit auf der Autobahn, starrten den Tag über stundenlang auf den Monitor ihres PCs, fuhren danach wieder auf der Autobahn und verbrachten anschließend den Rest des Tages damit auf den Fernsehbildschirm zu schauen. Dort sahen sie fiktiven Charakteren beim Leben zu, statt selbst eines zu haben. Die Werbeblöcke halfen ihnen dabei, sich daran zu erinnern, wofür sie das jeden Tag taten: nämlich fürs Einkaufen all der vorgeführten Utensilien, ohne die das Leben nicht lebenswert sein durfte. Den Rest des Abends spülten sie dann mit Alkohol herunter, damit sie ordentlich betäubt und wohlig schlafwandelnd durchs Dunkel glitten. Mingus reichte das nicht. Er hatte ernsthafte Motivationsprobleme, sich an etwas zu beteiligen, über dessen Sinn und Zweck ihn niemand aufklären konnte. Erst recht, wenn es dabei um sein eigenes Leben ging!

      Andererseits, was hatte er schon für eine Wahl? Er steckte ja bereits mittendrin. War alles, was einem übrig blieb die Flucht nach vorn? Augen zu und durch? War es das, was die Erwachsenen taten? Hatten sie sich einfach nur ihrer unerklärlichen Situation ergeben? Hm. Konnte das genug Motivation darstellen? Aber wer sagte denn, dass die Situation tatsächlich unerklärlich bleiben musste? Vielleicht gab es durchaus Antworten, wenn man sich gründlich genug auf die Suche nach ihnen begab? Und vielleicht lebte es sich mit diesen Antworten leichter? Sollte das nicht, einen Versuch wert sein? Zumindest könnte man dann zur Abwechslung mal beruhigt einschlafen, erhoffte sich Mingus.

      Erneut dachte er an seinen bevorstehenden Geburtstag am nächsten Tag. Es war schon merkwürdig: Man ging zu Bett und sobald man das nächste Mal aufwachte, war man in nur einer Nacht, plötzlich ein Jahr älter. Fast sieben Jahre befand er sich nun an diesem Ort Erde. Wie viele Geburtstage würde er wohl insgesamt hier verbringen? Wie viel Zeit hatte er zur Verfügung, um Antworten zu finden? Oder hatten die anderen recht? War es ein unmögliches und viel zu vermessenes Unterfangen, dieses enorme Mysterium auch nur ansatzweise lösen zu wollen? War das Leben einfach eine zu große Nummer für so ein limitiertes Menschenhirn? Sein Hirn, so begrenzt es auch sein mochte, war hartnäckig und hatte sich in nichts Geringerem als der Suche nach dem Sinn des Lebens festgebissen.

      Er stöhnte auf. Was stimmte nicht mit ihm, warum tat er sich so viel schwerer als der Rest? War er einfach nicht begabt fürs Leben? Oder war er bloß unterzuckert? Er knipste die Nachttischlampe an und griff sich die Schachtel mit Minzplättchen, die dort stand. Hungrig stopfte er sich zwei auf einmal in den Mund. Während er kaute, fiel sein Blick auf die Schachtel.

       After Eight

      hieß es dort

      .