»In jedem Zug hängt sich einer auf, bevor es auf die Farmen geht!« Der Engländer, der das gesagt hatte, war mir auf Anhieb sympathisch. Nachdenklich sah er zur Decke hoch, als würden dort noch einige Leichen baumeln. Ich glaubte ihm kein Wort. Diese und ähnliche Geschichten hatte ich zwar auch schon gehört, aber für mich waren es allenfalls Lügen. Dass uns eine knüppelharte Ausbildung, Druck und außergewöhnliche Schikanen erwarteten, das wussten wir alle. Ich fühlte mich aber mental robust genug, diesen notwendigen „Begleiterscheinungen“ zu begegnen. Intolerabel würde es für mich nur werden, wenn Rassismus ins Spiel käme, doch noch war dem nicht so.
Anm. d. Verf.: Ich erwähnte anfangs, dass ich Sohn eines schwarzen Amerikaners und einer weißen Deutschen bin. Die von mir erwarteten Probleme blieben jedoch aus. Der Ehrenkodex der Legion hat Menschen wie mich und viele andere nicht nur vor Schikanen bewahrt, sondern uns alle in einer homogenen, neutralen Brüderschaft zu neuem Leben aufblühen lassen. Zumindest empfand ich das so. Vom Aussehen her nicht alle gleich, bekam doch jeder im Startblock dieselben Chancen: Das war ein starkes Gefühl! Bis heute hat sich das nicht geändert. Diese Liberalität ist eines der vielen Geheimnisse, warum die Legion so angesehen und effizient ist. Warum wohl existiert diese Institution nach fast 185 Jahren immer noch? Auch wegen dieser Toleranz! Zu Beginn hatte ich also Zweifel, vor allem hier in Castel‘. In solchen Augenblicken hielt ich mir mein Ziel vor Augen, und das war, so lächerlich es damals klingen mochte: Zugführer in der Fremdenlegion zu werden.
»Thompson«, sagte der Engländer mit dem Ansatz eines Lächelns und reichte mir seine Hand. Eine Hand, die mir breit wie ein Klodeckel erschien und in der meine eigene völlig verschwand. »Wenn du Ärger hast, ruf mich. Mein Bett und mein Spind sind unterm Fenster dort.« Mehr sagte er nicht. Überhaupt war Thompson kein allzu gesprächiger Geselle. Mir fiel auf, dass die meisten einen respektvollen Bogen um ihn machten. Vielleicht wegen seiner gut verteilten hundertzehn Kilo und weil er sich, der Masse seines Körpers zum Trotz, tänzelnd leicht und sicher bewegte. Ich wurde in meinen Gedanken abgelenkt, weil ein Wirbelwind zur Tür hereinfegte, „S-2 vorm Gebäude antreten“ brüllte und augenblicklich wieder verschwand. Wir alle sahen uns gegenseitig fragend an. Drei Sekunden später steckte Mister Wirbelwind erneut den Kopf durch den Türspalt. »Schweinsgalopp, Leute. Sportzeug, kurze Hose, Turnschuhe, Seife und das Handtuch nicht vergessen.«
So brachten wir in Erfahrung, dass wir dem zweiten Zug angehörten. Auf dem Exerzierplatz angekommen, stand schon wieder der irische Caporal, der Wirbelwind, vor uns. Er war knapp einen Kopf kleiner als ich. So ein Energiebündel hatte ich noch nie gesehen. »En position! Solange der Zug nicht vollständig angetreten ist, wird gepumpt. En bas, là-haut, en bas, là-haut, runter, rauf!« Und so ging es in einem fort. Pumpen, „les Pompes“, das hieß Liegestütze machen. Zwischendurch rannte der Caporal durch unsere Reihen, verteilte Fußtritte und schrie. »En bas, là-haut!« Als die Nachzügler endlich die Treppe heruntergestürmt kamen, lagen wir alle längst mit der Nase im Dreck. In unseren Armen war Pudding, die Moral focht ihren ersten schweren Kampf. Der Einzige, der immer noch im Takt und unbeirrbar wie eine Lokomotive Liegestütze machte, war Thompson. Er kam mir vor wie ein Dampfer, der seelenruhig seine Bahnen zog, obwohl die See um ihn herum tobte und die Wellen wütend, aber vergeblich an seinen Planken rissen. Mit den Schikanen konnte ich umgehen. Als bereits Gedienter war mir sehr bewusst, dass es ohne nicht ging. Die Fußtritte sollten vermitteln, dass hier ein gemeinsames Ziel dahintersteckt. Das Langzeitziel war, dass aus jedem von uns ein Soldat wird. Doch Soldat zu sein ist kein Ende in sich selbst, denn als solcher kann man fortschreiten, kann immer besser werden. Der Prozess wurde über all die Jahre, die ich in der Legion verbrachte, vorangetrieben, nur dass ich ihn jeweils aus einer anderen Perspektive miterleben durfte. Die Endstation war stets das Überleben! Auch die Entwicklung, der Reifeprozess als Mensch steht hinter dieser nach außen hin scheinbaren Brutalität. Als Soldat, vor allem im scharfen Einsatz, muss man agieren, reagieren, auf Zack sein und versuchen, das Gefechtsfeld als Sieger zu verlassen. Ein Fußtritt in der Ausbildung hat, wenn man es aus dieser Perspektive sieht, Jahre später so manch ein Leben gerettet. Veteranen können mich darin nur bestätigen. Es gibt Gefechtsfelder, auf denen keine Kugeln hin und her fliegen: Das gesamte Leben ist eins! Der Kandidat, den ein Fußtritt hier und da jetzt schon aus der Bahn warf, war für alle Gefechtsfelder des Lebens ungeeignet. Ich will damit nicht sagen, dass man,