Verbleiben ein paar unbezwingbare Realitäten
Katrin Sell
triste
Schmerz und Heilung
Texte
1. Auflage
Copyright © 2020 Katrin Sell
Alle Rechte vorbehalten
Gestaltung Peter Ahrens artwork Berlin
Dich vergessen
Während jeder schreitet, in ein Blütenfeld oder in Gruben und Aushöhlungen,
in seinen Tag hinein, wie ein Tag sein kann als Wiederholung oder Ereignis,
rinnt Wasser verstohlen im Hintergrund, als unterdrückter Schmerz,
in dessen Zwerchfell ein Atmen ist, auch ein Schrei, meinetwegen
von jener Art, die hervorbrechen will, doch nicht zu den einfachen
Dingen passt. Denn stell dir vor, plötzlich sprichst du von glühenden Namen
und der erwürgten Braut, sprichst von Erinnerungen und grausamen
Umständen, denen nichts entnommen werden konnte, außer einer fieberhaften
Krankheit und dem Verlust von tausend Küssen.
Es bedeutet weiter und sprich nur von Dingen, von gekauften Kleidern
und Kaffeetassen, von Terminen und Autobahnen. So ist es. Sich die
Oberfläche zu eigen zu machen, und das Geschrillte selbst niederschreien
oder sich abwenden vom Gekrächze der eigenen inneren Stimme
und das ohne Mitleid, was heißt, den Schmerz bei sich selbst ausrotten,
ihn verschlingen und sich irgendwo hintreiben lassen.
Und Tau kommt dann vielleicht, auch ein frisches Gewächs,
das dem versehrten Morgen einen Anreiz gibt, die verdunkelten Straßen
zu vermeiden; und wie jemand zu sein, der nicht mehr fragt: Warum dies?
Das nennt sich Strategie und braucht den Kopf, ärztliche Verordnungen und Willen
zur Überwindung; die starke, rosige Hand, auch den Roboterarm, der öfter
empfindungslos über Rosen streift, damit nicht alles Eindruck und Sanftheit ist.
Ja, ein Lächeln, wenn nichts gelingt.
Hier sind Wochen, in denen man an einem Dorn festhing und die niedergetrampelte
Angst von Neuem kam, es nicht zu schaffen, was so scheinbar existiert
zwischen Kaffeehausluft und Fußballplatz, eben dieses Leben, befreit und nicht
in Nächten verschüttet.
Jeder Winkel der Seele, ihr weiches Mark, klammert sich
an mir fest, dich nicht auszusortieren wie zerstörten Hausrat, dabei bist du
das wasserlose Gras und stumm wie hundert Tote zu mir und sprichst von Terminen
wie andere von ihren Kindern. Eitle Füchsin, sagt etwas in mir, denn ich kenne
dich als Zwielicht und habe dir deine Bücher hinterhergetragen und dich verehrt
wie ein Knabe die schlaksige Abiturientin.
Das geht so durch die Tage, eine niedergerungene Leidenschaft, von der niemand
hören will, nicht einmal du selbst.
Energien
Blendender Tag, eigentlich. Irgendetwas müsste es zu heben oder
zu werfen geben; die bunten Kugeln eines Clowns oder die verwitterten
Kohlköpfe in den Auslagen der Gemüsehändler.
In dieser Sekunde jagt eine Flamme durch den Körper: Dich müsste es geben,
mit deinem rührseligen roten Lippenstift, damit ich in dein Haus gehen kann,
wie ein halber Mond, knapp an der Erfüllung vorbei. Es bliebe danach
eine erneute Freude und immer ein Davor.
Doch da liefen einem die Nerven davon. Ja, ich habe gespürt
und hatte gehabt. Hatte das romantische Palaver und die offene Frage,
die Schwerelosigkeit und den klaren Verstand, der sich im Nachdenken bildet.
Deshalb geht dieser Morgen so dahin, mit seiner waghalsigen Wucht.
Nennt es Erfüllung, was es auch war. Trotzdem bleibt ein bettelndes Tier
in den Eingeweiden und ein bohrender Drang, der fordert und schraubt
und auf Einfälle pocht, etwa, den Kopf durch Wände zu schieben und
die Makler zu verdreschen. (Gleich einen ganzen Haufen, ihr versteht.)
Jemand hatte die Vorstellung, und es gefiel mir sehr, eine Weile auf
Bäumen zu leben. Da wären dann andere Einsichten, die braucht man doch,
eine andere Art, ein anderes Sitzen, Fassen und Gehen,
andere Erkenntnisse wie verborgen gehaltene Flügel.
Jedoch: Oft bleiben ein Aufschrei, eine Pappel und ein Fänger im Tor,
mit seinen verschwitzten Schuhen.
Irgendwann kommt der Zwang, sich zu verteidigen.
Was hast du gemacht?
Mitunter lässt sich sagen: Leuchter zerbrochen und Schatten gesehen.
Doch immer ist da eine aggressive Hektik und manchmal
das Irre hinter Vorhängen und eine Glocke ohne Seil.
Dich quält er auch, der manische Moment, stürzen zu wollen und
herauszubrechen. Wenn die Kraft aus den Poren fließt, kommen
die Möglichkeiten, kleine widerspenstige Reize sind es, mit viel Größe
und Geschrei. Ach, es bleiben Reste einer unvollendeten Idee,
wie silberne Zöpfe liegen sie auf Dachböden.
Und immer weiter
An diesem weißen Morgen – eine kleine Übertretung sei erlaubt,
es ist Abend, und der ist, von einem flüchtigen Stern abgesehen,
dunkel. Was geht einen die Wirklichkeit von mondsüchtigen Poeten an?
Inmitten der Poesie ist es fatal,
sich nach dem Befinden des Schreibenden zu erkundigen. Der schüttelt
oft Nester aus und spricht von Inspiration.