Die beiden drängten mit Isa in der Mitte zur Küchentür hinaus. Kurz bevor sie den Raum verließen, drehte Isa sich jedoch noch einmal kurz zu mir um.
»Schön, dich kennengelernt zu haben. Bis dann.«
Ein paar Sekunden später waren sie verschwunden. Ich stand wie angewurzelt mit dem Kotelett auf dem Teller da und blickte ins Leere. Hinter mir fingen Peter und Uwe fast gleichzeitig zu schnarchen an, aber das registrierte ich nur am Rande. Für mich war gerade eine Welt zusammengebrochen, da interessierte es mich nicht, welche Geräusche meine betrunkenen Freunde im Schlaf von sich gaben.
Wie grausam konnte das Schicksal eigentlich sein? Da traf man eine Frau, mit der man sich ein Leben bis ans Ende aller Tage vorstellen konnte, mit der man bereit war, durch gute und schlechte Zeiten zu gehen und der man sogar das letzte Stück seiner Mettwurst anbieten würde. Und dann stellte sich heraus: Sie war Vegetarierin.
Selbst das kalte Kotelett konnte mich angesichts dieser bitteren Niederlage nicht trösten.
Natürlich aß ich es dennoch auf.
Kapitel 5: Schnitzel oder Sellerie?
Ich konnte kaum schlafen. Stundenlang wälzte ich mich im Bett von der einen auf die andere Seite und fantasierte von riesigen Schweinekoteletts, die mich vor eine Kutsche gespannt hatten und vor sich hertrieben. Als Peitschen benutzten sie dabei aneinandergebundene Wiener Würstchen, die mir bei jedem Hieb klatschend gegen den nackten Rücken schlugen. Hin und wieder versuchte ich mit den Zähnen nach einem Würstchen zu schnappen, da ich vor Hunger fast umkam, aber als Strafe dafür schlugen mir die Schweinekoteletts mit zwei Meter langen Salamistangen auf den Kopf.
Als mir die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf das Gesicht schienen und mich zwangen aufzustehen, war ich froh, diese schrägen Fantasien hinter mir lassen zu können. Mein Fuß schmerzte nach wie vor von meiner Unachtsamkeit in der vergangenen Nacht, wenn auch nicht mehr ganz so schlimm wie noch vor einigen Stunden. Natürlich vermied ich es weiterhin, ihn mehr als nötig zu belasten, und so verließ ich langsam und vorsichtig mein Zimmer.
Mit meiner Laune stand es nicht zum Besten, und das hatte nicht ausschließlich mit sadistischen Schweinekoteletts und einem schmerzenden Fuß zu tun. Hauptsächlich kreisten meine Gedanken um Isa. Ich machte mir da gar nichts vor: In dem Moment, als ich sie gesehen hatte, hatte ich mich in sie verliebt. Und in dem Moment, als sie mir gesagt hatte, dass sie Vegetarierin war, hatte sie mir mein Herz gebrochen.
Wie um alles in der Welt hätte es unter diesen Vorzeichen eine Zukunft für uns geben können? Ich, ein leidenschaftlicher Fleischfresser, der keinen einzigen Tag ohne Wurst oder Schinken erlebt hat, seit er von der Muttermilch weg war. Und sie? Wahrscheinlich fand sie schon den Gedanken an eine Rindssuppe abstoßend. Niemals konnte das gutgehen.
»Morgen«, sagte Uwe, als ich die Schwelle zur Küche überschritten hatte.
»Morgen«, erwiderte ich und war beeindruckt.
Uwe machte einen unwahrscheinlich fitten Eindruck, vor allem wenn man bedachte, dass ich ihn letzte Nacht nicht geweckt, sondern halb vom Stuhl sinkend in seinem volltrunkenen Zustand zurückgelassen hatte. Dasselbe hatte ich im Übrigen mit Peter gemacht, der nun allerdings ausgestreckt am Boden lag und noch immer weggetreten war.
»Atmet er?«, fragte ich etwas besorgt.
»Er hat vorhin im Schlaf gefurzt. Zählt das auch?«
Ich grinste.
»Schätze schon.«
Dennoch wollte ich auf Nummer sicher gehen und schleppte mich zu Peter, um ihm die Hand unter die Nase zu halten.
»Was hast du denn angestellt?«, wollte Uwe wissen, als er mich humpeln sah.
»Ach, nichts«, antwortete ich etwas abweisend. »Yep, er atmet noch.«
Nachdem ich einige Sekunden lang den warmen Atem meines Freundes am Handrücken gespürt hatte, richtete ich mich wieder auf, nur um mich anschließend auf einen Stuhl neben dem Esstisch sinken zu lassen.
»Hunger?«
Erst jetzt bemerkte ich, dass Uwe mit einer Pfanne am Herd stand. Ich war zutiefst beeindruckt, dass er das alte Ding zum Laufen gebracht und uns noch nicht in die Luft gejagt hatte.
»Nein, danke.«
Kurzzeitig kehrte ich in meine Gedankenwelt zurück, aber Uwes fassungsloser Blick war nicht zu ignorieren und riss mich schnell wieder in das Hier und Jetzt.
»Bist du krank?«, fragte er.
»Wieso?«, fragte ich retour.
»Na, weil ...«
Er suchte nach den richtigen Worten.
»Seit ich dich kenne, hast du noch nie ein Essen ausgeschlagen.«
Instinktiv wollte ich mich gegen diese infame Verleumdung auflehnen, kam aber nach einigem Nachdenken zu dem Schluss, dass Uwe mit seiner Behauptung mit ziemlicher Sicherheit sogar recht haben dürfte. Etwas Essbares hatte ich wahrscheinlich wirklich noch nie abgelehnt.
»Oder bist du etwa verliebt?«
Sichtlich amüsiert über seinen eigenen Scherz lachte Uwe so lautstark auf, dass sogar Peter aus seinem komatösen Zustand hochschreckte.
»Was?! Wo?!«, rief er irritiert.
Mühsam versuchte sein verkatertes Gehirn zu ergründen, was es mit seinem momentanen Zustand auf sich hatte.
»Guten Morgen, gnädiger Herr. Wir vertragen wohl nicht mehr so viel wie früher. Kann das sein?«
Uwes Stimme klang selbst in meinen Ohren ungemein schrill und laut, aber ich ging davon aus, dass er genau das beabsichtigte. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er Peter in den nächsten Minuten hingebungsvoll quälen würde, denn eine solche Chance ließ er sich nicht entgehen. Wir waren nun einmal wie Brüder, da gehörten so kleine Bosheiten einfach dazu.
Unter anderen Umständen hätte ich trotzdem versucht, ihn davon abzuhalten, weil Peter im Augenblick einen wirklich bemitleidenswerten Eindruck machte. Da es mir jedoch gerade recht war, dass der Fokus der Aufmerksamkeit von mir abwich, hielt ich meinen Mund.
Leider half mir das auch nicht.
»Hey, Peter! Stell dir vor: Tim hat keinen Hunger.«
Peter wandte seinen Kopf in meine Richtung und starrte mich mit glasigen Augen an.
»Bist du krank?«
Ich fand das nicht witzig.
»Oder verliebt!«, warf Uwe ein weiteres Mal ein und verließ den Herd mit einer Pfanne in der Hand.
Jetzt sah ich, dass er eine riesige Portion Rührei zubereitet hatte. Er warf einen Untersetzer auf den Tisch und stellte die heiße Pfanne darauf, welche dezente Dampfwolken in die Höhe steigen ließ.
»Mahlzeit!«, sagte Uwe, legte mir eine Gabel hin und setzte sich.
Vom ausbreitenden Duft angelockt, kämpfte sich nun auch Peter auf einen freien Stuhl und blickte lüstern auf die noch immer zuckende, gelbe Masse.
»Hier! Greif zu!«, rief Uwe erneut lauter als notwendig, sodass Peter zusammenzuckte.
Gleichzeitig reichte er ihm ebenfalls eine Gabel und Peter war dann auch der Erste, der sich auf das Frühstück stürzte. Uwe tat es ihm kurz darauf gleich, nur ich saß regungslos da und starrte Löcher in die Luft. Ich konnte mir das selbst nicht erklären, aber allein der Gedanke, etwas zu mir zu nehmen, erschien mir unmöglich.
»Sag bloß!«, schallte es plötzlich durch die Küche und ich wandte mich wieder meinen Freunden zu.
Uwe ließ die Gabel sinken und sah mich fassungslos an.