Die Geschosse sprengen Burgmauern, entzünden Teerbecken, die zur Verteidigung der Außenmauer bereit stehen. Brennende Menschen stürzen sich in den Tod. Pferde mit brennenden Mähnen trampeln die in Panik umher laufenden Menschen nieder. Ganze Türme stürzen in sich zusammen, begraben Menschen und Tiere, Träume und Hoffnungen.
Ein Mann mit Wahnsinn in den Augen läuft brüllend: »Die Strafe Gottes!« über einen leichenübersäten, blutüberströmten Burghof.
Ein Soldat liegt am Boden und schreibt mit seinem Zeigefinger bedächtig, mit langsamen Bewegungen die Initialen seiner Braut in eine zwei Meter große Blutlache, ihrer Blutlache. Er denkt an seine Liebe, an die Wärme ihres Körpers, an die zärtlichen Berührungen, aber er weiß, dieser ausgeblutete Körper, abgeschlachtet wie ein Schwein, wird keine Liebe mehr schenken und nur noch wie Abfall verwesen.
Eine Mutter, beraubt jeden Verstandes, schleift ihren toten Säugling wie eine Puppe über die Pflastersteine hinter sich her. Immer wieder schlägt der Kopf des toten Kindes, dessen Leben noch nicht einmal richtig begonnen hatte, über Stufen und Vorsprünge; aber es spielt keine Rolle mehr: dieser Körper empfindet keinen Schmerz mehr! Nie wieder Schmerzen, nie wieder Freuden, nie wieder, nie wieder. Dieses Kind wird nie wieder lachen, nie wieder »Mama« sagen, nie wieder, nie wieder.
Ein Körper lehnt blutüberströmt an einer Steinsäule. Mann oder Frau ist nicht mehr zu erkennen. An der Stelle des Kopfes ragt nur noch ein Stumpf des abgerissenen Rückgrades wie ein mahnender Finger empor. Der Strom des Lebens, der warme Strom des roten Blutes ist längst versiegt, längst in der gleißenden Sonne, wie alte Farbe, in wilden Runzeln vertrocknet.
Ein Pferd, in wilder Panik flüchtend, zerschmettert beide Oberschenkel eines zwölfjährigen Mädchens mit langen schwarzen Haaren und wunderschönen Locken. Die Worte des Kindes, im Wahnsinn gesprochen, sind kaum zu verstehen: »Mein Kleid, mein schönes Kleid! Mama ich kann nichts dafür, ich habe es nicht schmutzig gemacht!«
Das Mädchen, das wunderschöne Mädchen wird von einem herabstürzenden, Tonnen schweren Gesteinsquader augenblicklich zum Schweigen gebracht. Der schöne Mund wird für immer stumm bleiben, nie wird er die Lippen eines Geliebten im zarten Kuss berühren, nie werden die kleinen Brüste, die erst in Jahren ihre wahre Größe und Schönheit entfaltet hätten, ein Kind ernähren. Nein, dieser junge Körper ist tot, tot für immer und für alle Zeiten, einfach nur tot.
Tot! Tot! Tot.
Für immer tot!
Außerhalb der Burg lacht der triumphierend tänzelnde Satan, der wiedergeborene Teufel, König Aldara. »Feuer, Feuer, Feuer, verbrennt sie, verbrennt sie alle!« schreit er aus Leibeskräften.
Eine dunkle, nach verbranntem Fleisch riechende Wolke verdunkelt den Himmel. Einen Himmel, der noch nie von Smog und Umweltgiften belastet wurde. Ein Himmel, noch vor Minuten klar und frisch wie das Paradies, ein Himmel, der jetzt den Duft der verbrannten Leichen, das Aroma des Verwesens einatmen muss.
Ich beginne wie ein Verrückter zu schreien: »Nein, nein, nein!« Und schreie das ganze Elend meines Daseins in die dunkle Nacht, die nichts weiß von den Gräueln in meinem Kopf, den Verbrechen Aldaras. Einer Nacht die nicht friedlicher sein könnte, wenn nicht die Bilder in meinem Kopf...
In meinem Kopf?
Mein Gott wieder ein Albtraum oder ein Tagtraum?
Oder habe ich die Zukunft... Den garstigen Tod gesehen?
Den bestialischen Tod, verursacht durch eine Waffe aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Welt.
Ich stehe auf, versuche zur Besinnung zu kommen und schwanke wie ein Betrunkener, als trüge ich die Last der ganzen Welt auf meinem Rücken. Ich bin von Kopf bis Fuß schweißgebadet. Auch meine Blase hat wieder ihren Dienst versagt, denn meine Beinkleider sind zweifelsfrei von Urin getränkt. Mein Hals kratzt und schmerzt fürchterlich. Scheinbar muss ich mir wie ein sterbender Irrer die Seele aus dem Hals geschrien haben.
Ich ziehe mich aus, wasche mich oberflächlich mit den spärlichen Wasservorräten aus meinem kleinen Wasserschlauch und setze mich zitternd und verwirrt ins Gras.
Nein, dieser Horror darf nicht geschehen, darf nicht Wirklichkeit werden, nicht in dieser Welt, nicht in meiner neuen Heimat.
Ich werde diesen Schrecken aus dieser Welt vertreiben, werde diese Waffe, nein, werde alle Waffen aus diesem Land vertilgen.
Wieder muss ich gegen die immer wiederkehrende Panik ankämpfen.
Ich gehe auf und ab und atme tief und langsam hochkonzentriert ein und wieder aus.
Jalas knufft mich in die Seite, als wolle er sagen: »Na Kumpel, bist Du wieder klar? Wir schaffen das schon.«
Ich beginne wieder Herr meiner Gedanken zu werden.
Über die Stunden gelingt es mir, mich zu beruhigen. Ich werfe mir eine Decke über die Schultern und spüre das abklingende Zittern. Ich kaue einige Nüsse und nach einer getrockneten Zwetschge bin ich endlich wieder Herr und Meister meiner Gedanken, jedenfalls so weit, wie es nach diesen Visionen überhaupt noch möglich ist.
Ich hoffe und ich bete. Auch wenn ich nicht sagen könnte zu wem oder zu was ich bete.
Ich rekapituliere: Wenn die beiden Karren voll mit Panzerfäusten beladen sind und davon muss ich leider ausgehen, dürfte es sich um über fünfzig Stück handeln.
In meiner Zeit oder was ich früher als meine Zeit ansah nichts besonderes, aber hier in der Welt der Schwerter und Bogen eine unglaubliche Feuerkraft, der niemand etwas entgegenzusetzen hat.
Ängstlich schiele ich zu meiner Beute, die immer noch tödlich grinsend, im Sand steckt.
Ich muss akzeptieren, diese Waffe ist der einzige Verbündete gegen die anderen Mordwerkzeuge.
Behutsam hebe ich sie auf und denke mit Schrecken daran, wie ich sie letzte Nacht im Zorn, wild in die Landschaft schleuderte.
Irgendwie muss ich lernen sie abzufeuern. Aus alten Kriegsfilmen weiß ich, ich habe nur einen Schuss und der Kegel stellt das Geschoss dar. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie sie zum Schuss geschultert wird.
Mein Geist ist nur noch beherrscht von einem schier grenzenlosen Zorn.
Ein Schuss... ich habe nur einen Schuss... ich muss die Fuhrwerke entsprechend treffen, damit sich beide entzünden.
»Ich muss vernichten, muss!« Spreche ich, hart an der Grenze zum Wahnsinn.
Ich denke an meine Gaspistole, die mir mit sechzehn Jahren ein Freund verkaufte. Drei Monate Taschengeld kostete mich das Ding. Patronen konnte er mir nicht mehr besorgen, da sein Vater den Verlust der gestohlenen Waffe bemerkte und seinem Sohn sogar mit der Polizei drohte. Aber er hielt dicht und ich konnte die nutzlose Waffe behalten.
Wo ist sie eigentlich abgeblieben?
Aber ich erinnere mich genau an das „männliche“ Gefühl, sie auf dem Schulhof schwer in der Tasche zu fühlen, mit oder ohne Munition, es war ein unglaubliches Gefühl von Stärke und Macht, einfach jedem überlegen.
Was für ein Gefühl, wenn ich sie leicht nach vorne übergebeugt, um nicht entdeckt zu werden, in der Raucherecke meinen Mitschülern präsentierte, um die gierigen und beneidenden Blicke zu ernten.
Mein Gott, wie fand ich mich toll und wie fürchte ich jetzt diese Waffe, die wie angewurzelt immer noch im Sand steckt.
Sogar meine alte Gaspistole hatte eine Sicherung, meine Panzerfaust musste mindestens etwas Ähnliches besitzen.
Nach langem Betrachten gelingt es mir endlich wieder, mich der Waffe zu nähern. Ich betaste und lese die zahlreich eingravierten Hinweise und glaube oder hoffe, das Mordwerkzeug einsetzen zu können.
Ich packe sie über meine rechte Schulter, versuche das Zielsystem zu begreifen und traue mich kaum den Abzug zu berühren.