Ferenc und seine Frau bewohnten eine kleine Suite im Privattrakt des Hotels ihrer Eltern. Mit großen Schritten eilte er den Räumen entgegen, um dann enttäuscht festzustellen, dass Erzsi gar nicht dort war. „Stimmt ja, sie hat heute Abend Spätdienst“, erinnerte er sich. Nun, dann würde er besser nochmal kurz ins Restaurant gehen und schauen, dass er ein anständiges Abendessen bekam. Zuvor aber wählte er den kleinen Umweg über das Hotelbüro, um ihr wenigstens ganz kurz zu sagen, dass das Gespräch mit seinem Vater durchaus positiv verlaufen war.
Nach Dienstschluss stürmte sie aufgeregt in die kleine Suite. „Erzähl schon, was hat er gesagt?“, wollte sie atemlos wissen. „Oh, er findet die Bausubstanz recht gut und meint, man könne was draus machen.“ „Aber das ist ja phantastisch“, jubelte sie. „Oh, das ist ja so klasse! Ich mein, ich hab mich ja auch schon informiert, es heißt, dass diese alten Häuser ein Fass ohne Boden sind. Aber ich denke, wenn die erst einmal kernsaniert sind, also richtig von Grund auf modernisiert, dann kann doch da außer den üblichen Erhaltungsarbeiten gar nicht mehr so viel kommen, meinst du nicht? Und so ein altes Gemäuer hat halt viel mehr Charme als ein Neubau.“ „Aus dir spricht meine kleine Romantikerin“, lächelte er. „Ja, kann sein“, gab sie zu. „Doch ich bin überzeugt davon, dass es wahnsinnig viele Menschen gibt, die das auch so empfinden.“ „Ja, aber sie werden immer dieses Ambiente mit modernem Komfort verbunden haben wollen“, gibt er zu bedenken. „Na, das sollte doch in den Griff zu kriegen sein! Wozu hat man denn einen Schwiegervater, der Architekt ist, ach was rede ich, Architekt, DER Architekt der Hauptstadt! Nein, wenn dem nichts einfällt, dann fällt niemandem etwas ein, das steht mal fest!“ Vergnügt lauschte er der Laudatio. Er konnte sich ihren Argumenten nicht verschließen und setzte noch einen drauf: „Und wenn der andere Schwiegervater, der ja nun in Budapests Hotelszene auch nicht so ganz unbekannt ist, seine guten Ideen einbringt, dann muss das ja klappen!“ „Hach, und was ist mit MEINEN guten Ideen?“, blitzte sie ihn an. „Die werden sowieso und unverzüglich umgesetzt. Nur musst du sie erst mal entwickeln.“
„Als ob das für mich ein Problem wäre! Also, es soll einen Hauch von Tradition ausstrahlen, klar, da hat so ein Jagdschloss absolut das passende Ambiente. Aber trotzdem Komfort für die Gäste. Und familiäre Atmosphäre, da stehen die Leute drauf.
Also, zum Beispiel, dass jeder Gast bei der Anreise in seinem Zimmer eine Willkommenskarte vorfindet, mit ein paar herzlichen Worten des Hoteliers, das kommt gut an. Oder wenn der Chef persönlich bei der Anreise die Gäste begrüßt. Das ist auch ganz groß. So haben die das in einem Hotel in Frankreich gemacht, wo ich vor ein paar Jahren gearbeitet habe. Die Gäste waren entzückt.“ Erzsi sprudelte geradezu über vor Ideen. „Und wir müssen uns Freizeitangebote ausdenken, ein Pool muss sowieso her, und dann vielleicht ein Tennisplatz oder so…“ Lachend unterbrach er sie. „Nun lass meinen Vater erst mal rechnen. Vor allem müssen wir noch Gespräche wegen der Preisverhandlungen führen. Na, da wird noch einiges auf uns zu kommen!“
Es folgten noch viele, viele Gespräche. Es wurden Pläne geschmiedet und verworfen. Dann doch wieder hervorgeholt. Erneut verworfen. Abgeändert dann doch in Erwägung gezogen. Vor allem zogen sich die Verkaufsverhandlungen in die Länge. Levente und Erzsis Vater würden den finanziellen Grundstein legen. Aber beide waren nicht gewillt, ihr Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Nach zähen Verhandlungen näherte sich dann doch endlich der Tag, da der Kaufvertrag unterschrieben wurde.
Ein Ereignis, das im Familienkreis gebührend gefeiert wurde. „Na, Schwesterherz, da kriegst du ja doch dein eigenes Hotel!“, prostete ihr ältester Bruder ihr zu. „Drunter hättest du´s ja auch nicht getan!“ „Ja, da kannst du Recht haben“, lachte sie glücklich zurück. „Ist klar, dass wir jede Menge Arbeit haben werden, bis das Ding läuft, aber davor ist uns nicht Bange!“ Er nahm sie liebevoll in den Arm. „Das schafft ihr schon. Ich wünsche euch jedenfalls alles Gute. Und wenn wir hier überbelegt sind, weiß ich wenigstens, wo ich die Gäste hinschicken kann!“
Doch das sollte noch eine gute Weile dauern. Wie das bei Renovierungen und Sanierungen so üblich zu sein pflegt, wurden weder die Termine noch die kalkulierten Kosten eingehalten. Während der Umbauzeit fühlten sich Erzsi und Ferenc nicht selten wie in einen Horrorfilm versetzt. Aber sie waren jung, voller Kraft und Energie, von ihrer Idee beseelt und hatten den Rückhalt der Eltern. Doch es waren auch bürokratische Hürden zu überwinden. In einem historischen Gebäude sind in der Regel weder die Gegebenheiten für die vom Brandschutz vorgeschriebenen Fluchtwege noch die räumlichen Voraussetzungen für den Einbau eines modernen Personenlifts oder der Sanitäranlagen vorhanden. Diese mussten nun in Einklang mit dem Denkmalschutz gefunden werden. Eine Herausforderung, die Levente jedoch mit der ihm eigenen Bravour bewältigte. „Ich weiß wirklich nicht, wie wir den Umbau ohne deinen Vater hätten schaffen sollen“, seufzte Erzsi mehr als einmal. Aber nachdem sich ihr Schwiegervater für das Projekt erwärmt hatte, sah er es gewissermaßen mit sportlichem Ehrgeiz, dem Traum vom Schlosshotel zur Erfüllung zu verhelfen.
Erzsi hingegen verbrachte viele Stunden bei der Suche nach historischen Möbeln. Was an vorhandenem noch restauriert werden konnte, würden sie selbstverständlich übernehmen. Sie waren sich einig, dass auch in Puncto Einrichtung und Ambiente das Flair eines Schlosshotels gewahrt werden sollte. Allerdings in Verbindung mit modernem Komfort und den Ansprüchen an gehobene Gastlichkeit. So entwickelte das Schlosshotel mehr und mehr die Atmosphäre eines Boutique-Hotels, das mit Individualität und einzigartiger Ausstrahlung punkten konnte. Kein Zimmer ähnelte dem anderen, allein schon durch die vorgegebenen baulichen Unterschiede gab es kleine, mittlere und große Zimmer, Gastzimmer mit Balkon oder Turmzimmer, elegante, großzügige Suiten. Eines jedoch einte sie alle: Jedes einzelne Zimmer verströmte seinen eigenen, unverwechselbaren Charme. Ein wenig später als geplant, doch immerhin nur in vertretbarem Rahmen verzögert, konnten sie die Eröffnung des Schlosshotels feiern.
Die nächsten Jahre waren arbeitsreich. Es waren erfüllte Jahre. Ihre Tochter wurde geboren, für Ferenc das Wunder schlechthin. Als er seine Tochter Julia zum ersten Mal im Arm hielt, war er der glücklichste Mann der Welt, der nichts mehr davon wusste, dass er sich eigentlich einen Erben für das Schlosshotel gewünscht hatte.
„Geh, du Spinner“, hatte ihm Erzsi gesagt, als er diesen Gedanken einmal laut werden ließ, „hab ich dir nicht bewiesen, dass eine Frau auch einen guten Boss abgibt?“ Doch, das hatte sie. Mehr als einmal hatte er sich gefragt, wo diese Frau die Energie, die Kraft hernahm, um sich immer wieder den ständig neuen Aufgaben zu stellen. Eine Kämpferin. Seine Erzsi mit den Tigeraugen. Und nun nicht nur Gefährtin, Geliebte, Partnerin, Ehefrau, nein, jetzt auch noch Mutter seiner Tochter. Er war einfach überwältigt.
Das Schlosshotel entwickelte sich ebenso hoffnungsvoll wie der Nachwuchs. Sie konnten im Laufe der Jahre nicht nur den Bankkredit, sondern auch die Darlehen der beiden Väter zurückzahlen. Als das letzte Bisschen der Schulden getilgt war, köpften sie eine Flasche Champagner. Und verloren sich in Erinnerungen. „Weißt du noch, wie wir uns über den Trampelpfad bis zum Haus vorkämpfen mussten? Weißt du noch, wie schief das Hauptportal in den Angeln hing?“ „Und weißt du noch, was mein Vater gesagt hat, als wir ihm das Schlösschen vorgestellt haben? „Bruchbude“ hat er es genannt. Na, da muss er jetzt aber umdenken!“ Mit fröhlichem Klang stießen die Gläser hell aneinander. Sie hatten es geschafft. Sie hatten ihr eigenes Hotel. Das Schlosshotel in der Puszta.
Spezielle Gäste
Zu den illustren Gästen im Schlosshotel gehört eine Dame aus Deutschland. Sie hat ihre guten Zeiten schon hinter sich und befindet