Aber er war gerade von Dreharbeiten in England zurückgekommen, wo er eine kleine Rolle in einem eher wenig anspruchsvollen Fernsehfilm ergattert hatte. Und er musste sofort mit seinem Vater sprechen, sonst wäre er daran erstickt. Er war es so leid. Dieses Hinterherjagen nach Angeboten. Diese Speichelleckerei, die Intrigen der lieben Kollegen – so hatte er sich seinen Traumberuf nicht vorgestellt. Auch das Herumreisen war er leid. Im letzten halben Jahr, vor der kleinen Filmrolle, war er mit einem Stück auf Tournee in Deutschland gewesen. Alle zwei Tage in einer anderen Stadt, zwischen den Auftritten Proben, immer wieder neue Kollegen, auf die er sich einstellen musste, all der Neid und die Missgunst, die ihm vielerorts aus den Kollegenkreisen entgegenschlugen… Einmal hatte ihn sogar ein Kollege geohrfeigt, als er sagte, dass er aus Ungarn kommt. „Geh zurück in deinen Gulaschtopf und nimm unseren Leuten hier nicht die Rollen weg!“, hatte er ihn angeschrien. Ferenc war tödlich beleidigt und zutiefst unglücklich. Ein festes Engagement, wie er es in Wien für diese eine Spielzeit gehabt hatte, das war nach seinem Geschmack gewesen.
Leider hatte er auf seinen Agenten gehört, der sich bemüßigt gefühlt hatte, diesen vielversprechenden jungen Schauspieler ganz groß herauszubringen – was für den Agenten nun auch ein kommerzieller Erfolg gewesen wäre. Aber Ferenc war gar nicht mehr so sicher, ob er „ganz groß“ herauskommen wollte.
Er litt vor allem unter den häufigen Trennungen von Erzsi. Er brauchte sie wie die Luft zum Atmen. Das wurde ihm immer deutlicher bewusst, je öfter und länger sie getrennt sein mussten. Sie arbeitete mittlerweile im elterlichen Hotel, und auch sie hatte sich zu einer Vielreisenden entwickelt, denn sobald es ihr Dienstplan erlaubte, reiste sie ihm nach. Um ihn auf der Bühne bewundern zu können und um an spielfreien Tagen so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen. Aber es war immer zu wenig Zeit und es stellte ihre Liebe auf eine harte Probe. Einmal sagte sie: „Ich liebe dich wirklich bis zum Wahnsinn. Aber so, wie es jetzt ist, kann es doch nicht weitergehen. Du hier, ich dort – unser ganzes Glück sind wenige, geklaute Stunden… Soll so unsere Zukunft aussehen? Ich meine, ich könnte auch in einem anderen Hotel arbeiten, ich könnte immer mal wieder wechseln und dort, wo du ein längerfristiges Engagement hast, einen Arbeitsplatz suchen. Gute Leute bekommen überall in der Branche einen Job, aber was machen wir, wenn du wieder so eine dusslige Tournee abschließen musst? Ein gemeinsames Zuhause können wir uns auf diese Weise nie aufbauen.“ Er bemühte sich um ein Engagement in der Hauptstadt, aber das war nicht so einfach. Dann kam das Filmangebot, eine ungarische Produktionsfirma drehte in England. Das klang sehr gut. Aber die Rolle war nichtssagend, die Bezahlung unterirdisch, der Regisseur ein Hitzkopf, der seinen Schauspielern nicht den Hauch von Unterstützung geben konnte. Der Film wurde ein riesengroßer Flop. Ausgebrannt, enttäuscht und verbittert kehrte Ferenc nach Budapest zurück. So konnte und wollte er nicht weitermachen.
Der Traum vom Schlosshotel
„Ich glaube wirklich, das ist es, wonach wir gesucht haben“, sagte sie, als sie wieder im Auto saßen. Er war skeptisch. „Die Lage ist ausgezeichnet, das stimmt. Und auch das Gebäude selbst hat unbestreitbar Charme – also, hatte es bestimmt früher. Aber das kann man wieder aufleben lassen, ich denke, da sind wir die Richtigen. Doch wir müssen halt erst mal alles abklopfen. Nur weil der alte Csikós dir erzählt hat, dass das Schlösschen zu verkaufen sei, muss das ja nicht stimmen.“ „Na, dann lass uns doch mal zum Gemeindeamt fahren.“ Dort zeigte man sich durchaus entzückt. Da die letzten Besitzer in den Wirren der Flucht nach dem zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen waren – die junge Baronin und ihr ungeborenes Kind – war der Besitz dem Staat zugefallen. Doch dieser hatte andere Sorgen, als heruntergekommene, verlassene Herrenhäuser und Jagdschlösser zu pflegen. Man schrieb den Besitz zum Verkauf aus. Für eine eigentlich lächerlich geringe Summe. Doch das seit Jahrzehnten verwaiste Gebäude wies einen nicht geringen Renovierungsbedarf auf. „Ich glaube, ich fahre mal mit meinem alten Herrn hier raus. Das soll er sich erst einmal anschauen. Wozu hat man schließlich einen Baufachmann in der Familie!“ „Er wird begeistert sein“, meinte Erzsi sarkastisch. „Er hält doch sowieso unsere Pläne für völlig indiskutabel.“ „Ja, begeistert ist er nicht, das stimmt. Aber andererseits weiß ich, dass er ein Faible für so alte Gemäuer hat. Er sagt immer, wenn Steine reden könnten, was würden dann diese alten Häuser für Geschichten erzählen können. Also, ich denke, ich schleppe ihn einfach mit hier raus.“
Levente stand schweigend vor dem von Efeu überwucherten Gebäude, das man vage hinter verwahrlosten Büschen und allerhand üppigem Unkraut ausmachen konnte. „Du hast nicht zufällig eine Machete bei dir, damit wir näher rankommen?“, erkundigte er sich bei seinem Sohn. Ferenc lächelte. „Brauchen wir nicht. Es gibt so einen kleinen Trampelpfad, da kommt man direkt bis zum Haupteingang.“ Auch der Trampelpfad war nicht unkrautfrei, aber immerhin begehbar. Endlich standen sie vor dem wuchtigen Portal, das schwere Beschädigungen aufwies. „Meine Güte, welche Barbaren haben denn hier gewütet. Das sieht ja aus, als ob sie das Portal mit Äxten eingeschlagen hätten.“ Warme braune Augen sahen ihn treuherzig an. „Ja. Da haben Sie Recht. Das waren Barbaren. Ist 1945 geschehen. Die junge Baronin ist geflohen, aber die alte Dame hat sich im Haus verschanzt. Als der Pöbel das Portal einschlug, hat sie sich in ihrem Salon erschossen. Die Kerle fanden sie dann. Und da ist es ihnen wohl klar geworden, was sie angerichtet hatten. Jedenfalls haben sie ihr Heil in der Flucht gesucht. Wir haben dafür gesorgt, dass die alte Baronin eine anständige Beerdigung erhielt. Das waren wir ihr doch irgendwie schuldig. Ich war ja noch ein Kind, damals. Aber meine Eltern haben mir immer erzählt, dass die alte Baronin ein sehr guter Mensch gewesen sei.
Streng und sehr willensstark, das schon, aber das musste wohl so sein, wenn sie das Gut ohne Mann bewirtschaften musste. Aber sie hat nie einen von ihren Leuten schlecht behandelt. Das haben meine Eltern und viele andere diesem Pöbel erklären wollen, da hat man sie verprügelt. Es waren schlimme Zeiten…“ Nachdenklich schwieg der Gemeindeangestellte, der sie zum Jagdschloss begleitet hatte. „Sehr schlimme Zeiten“, wiederholte er. Auch Levente machte nicht viele Worte. Er durchstreifte das verwahrloste Gebäude, stieß hin und wieder beim Anblick einer zerstörten Tapisserie oder einer durch grobe Axtschläge malträtierten Wandverkleidung einen tiefen Seufzer aus und begutachtete kritisch das gesamte Gebäude. Wortlos marschierte er über den Trampelpfad zum Auto. Sie brachten Péti wieder zurück zu seinem Büro in der Gemeindeverwaltung und fuhren ins nächste Dorf, wo sie sich in einem kleinen Presszo niederließen.
„Nun, was sagst du?“, fragte Ferenc, der seine Ungeduld nicht mehr zügeln konnte. Bedächtig nahm Levente einen Schluck von seinem Fröccs. „Das ist ein außergewöhnliches Haus“, meinte er dann nachdenklich. „Also, nicht nur, weil es ein Jagdschloss ist, sondern auch, weil man seine Geschichte direkt spüren kann. Für das, was ihr vorhabt, wahrscheinlich bestens geeignet. Nicht zu groß, damit der Betrieb nicht unpersönlich wird. Ein bisschen verwunschen, romantisch. So mit familiärem Flair und trotzdem hochkarätig. Ja, das könnte ich mir gut vorstellen.“ Ferenc stockte der Atem. Das hatte er