Allendas. Nadine T. Güntner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nadine T. Güntner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847647119
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hatten dadurch ihr Leben verloren.

      Der Schmerz in seinem Bein behinderte Toranus, aber er war erträglich. Vorsichtig zog der Drache das abgebrochene Schwert aus seiner Wunde und erhob sich dann, ohne langes Zögern, und mit eleganten Flügelschlägen in die Luft und folgte den Sellag. Er hatte noch keine Lust, die Schlacht enden zu lassen.

      Als sich der Drache in die Luft erhoben hatte, gab Hondor seine Deckung, die er sich an den aufgewühlten Hängen des Paratuls gesucht hatte, auf und rannte hinüber zu Zorina und Usadim, die hinter einem der letzten verbliebenen Sträucher Schutz gesucht hatten.

      Erschöpfung und Müdigkeit waren vergessen, angesichts der unerwarteten Wendung, die ihnen das Schicksal gewährt hatte. Hondor überwand die gut fünfzig Barret, die ihn von seinen Gefährten trennten, mit fliegenden Schritten.

      »Wir müssen hier weg!«, rief er ihnen zu, und musste sich beinahe zwingen, einen Augenblick bei ihnen zu verweilen. Er verspürte den Drang, einfach weiterzulaufen, soweit ihn seine Füße tragen würden. Sie durften diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen.

      Doch Zorina und Usadim lösten sich nur widerstrebend aus ihrem schützenden Versteck. Zwar hatten sie schnell erkannt, dass der Drache (es erschien ihnen noch immer unbegreiflich, dass es sich wirklich um einen Drachen gehandelt hatte, der dort aus dem Dunkel aufgetaucht war), es nur auf die Sellag abgesehen hatte, aber sie waren noch nicht davon überzeugt, dass wahrhaftig alle Sellag das Weite gesucht hatten.

      »Sind denn wirklich alle fort?«, fragte Zorina ungläubig, als sie zögernd über die Äste des Strauches spähte. Sie konnte von ihrer Position aus nicht den ganzen Platz überblicken.

      »Ja, sie sind alle geflüchtet«, erwiderte Hondor drängend. »Und das sollten wir auch tun, solange noch Zeit dafür ist.«

      Der König war bereits ein paar Schritte weiter gelaufen und seine beiden Gefährten kamen nun auch endlich auf die Beine. Ohne lange nachzudenken, wandten sie sich nach Norden.

      »Lauft!«, rief Hondor den anderen Gefangenen zu, an denen sie vorbeikamen. »Lauft, so schnell ihr könnt!«

      Die Meisten hätten diese Aufforderung gar nicht benötigt. Obwohl sie sich zuvor kaum auf den Beinen halten konnten, hatte sich dies nun schlagartig geändert. Viele waren bereits geflüchtet und auch die Letzten liefen nun, von neuer Hoffnung beflügelt und so schnell es ihre Fesseln erlaubten, davon.

      Gerne hätte Hondor alle Gefangenen zusammengehalten, anstatt sie allein oder in kleinen Gruppen ihrem Schicksal überlassen zu müssen, aber er wusste, dass das ganze Land von Sellag belagert war. Es würde schon schwer sein, allein unentdeckt durchzukommen, wohin auch immer, aber als Gruppe wären sie zu zahlreich gewesen, um unentdeckt zu bleiben, aber auch zu wenige, um sich gegen die Sellag behaupten zu können. So blieb dem König nichts anderes übrig, als seinen Untertanen im Stillen Hembras’ Segen zu wünschen und sich auf sein eigenes Ziel zu konzentrieren, von dem er noch nicht einmal wusste, was es sein mochte.

      Zorina und Usadim folgten ihrem König mühsam. Ihre Fußfesseln machten ihnen das Laufen schwer und durch die Handfesseln hatten sie Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. Immer wieder musste Hondor stehen bleiben, um ihnen Gelegenheit zu geben, zu ihm aufzuschließen.

      Er sah sich kurz suchend um. Kurena war nirgendwo zu sehen. Eigentlich war es ihm auch gleichgültig, dennoch wunderte er sich, gerade in diesem Moment an sie denken zu müssen, hatte er sie doch in den letzten Tagen nur wenige Male gesehen. Hembras, oder mit welchen Mächten Kurena auch immer im Bunde stand, würde ihr wohl das passende Schicksal bescheren.

      Während Hondor diesen knappen Gedanken nachging, bemerkte er nicht, wie Zorina sich zu Boden bückte und etwas aufhob, was dort zwischen Schlamm und Schmutz völlig fehl am Platz zu sein schien. Sie ließ es in ihre Tasche verschwinden, ohne selbst lange darüber nachzudenken, warum sie es tat. Es schien ihr einfach von Bedeutung zu sein.

      Kalerid hetzte mit hängender Zunge die kurvige Hohlstraße Richtung Zurnam hinunter. Mittlerweile hatte er bereits die ersten seiner Wachen eingeholt. Der dunkle Schatten des Drachen, der über ihn hinweg glitt, begleitete ihn. Einige Male senkte sich Toranus auf ihn hinab und versuchte, ihn zu erwischen, aber Kalerid schlug geschickte Haken und so gelang es ihm immer wieder, sich den Klauen des Drachen zu entziehen.

      Toranus sah darin jedoch keinen Grund zur Sorge, er konnte dem Sellag mühelos folgen.

      In kürzester Zeit, zumindest im Vergleich zu der, in der man unter gewöhnlichen Umständen diesen Weg zurücklegte, erreichte Kalerid das Stadttor von Zurnam und dort erwartete ihn und Toranus eine erfreuliche oder eher unerfreuliche (das kommt ganz darauf an, von wessen Standpunkt man es sehen will) Überraschung. Eine große Anzahl von Sellag hatte sich vor und auf dem Stadttor versammelt. Alle waren mit langen Speeren und Schwertern bewaffnet und sie schienen schon auf ihren Heerführer und seinen Verfolger zu warten. Bereitwillig machten sie eine Gasse frei und ließen Kalerid hindurch in die Stadt. Sobald er das Stadttor durchquert hatte, verharrte der Heerführer und atmete schwer.

      Toranus verlangsamte seinen Flug und wunderte sich über das, was er sah. Er beobachtete die schreiende und fauchende Meute unter sich und begann nachzudenken. Letztendlich kam er zu dem Schluss, dass er gegen diese wilde Sellag-Horde nicht ankommen würde. Es waren zu viele, sie standen dicht beieinander und ihre Waffen waren lang und massiv. Bedauernswerterweise sah er in ihren Gesichtern auch nicht den Ausdruck von Entsetzen und Furcht, den er zuvor so genossen hatte. Vielmehr wirkten sie entschlossen und vorbereitet. Verdrossen drehte der Drache einige Runden. Es gefiel ihm gar nicht, aber er musste sich vorerst geschlagen geben. Wenn er sich jetzt auf den Boden niederlassen würde, würden sie sich auf ihn stürzen und er wäre ihnen trotz seiner Größe und seiner Stärke unterlegen. So entschloss er sich, den Rückzug anzutreten. Zumindest hatte er seine Aufgabe bis hierher erfüllt. Er hatte den Menschen die Gelegenheit zur Flucht ermöglicht und seinen Schatz verteidigt. Er drehte einen letzten eleganten Bogen über den Sellag, gewann dann an Höhe und flog zurück zu seinem Hügel.

      Die Sellag jubelten und freuten sich über ihren vermeintlichen Sieg, zu dem sie eigentlich nicht viel beigetragen hatten. Einige warfen ihre Speere in die Höhe, erreichten den Drachen aber nicht annähernd. Dabei wären sie allerdings fast von ihren eigenen Waffen erschlagen worden.

      Hinter Kalerid schloss sich das Stadttor. Aus der Wachkammer innerhalb des, aus grauen, grob behauenen Steinen errichteten Torbogens 10), trat der Statthalter Perlug auf ihn zu.

      »Ich hoffe, Ihr seid zufrieden mit dem, was ich für Euch arrangieren konnte, Majestät«, sagte Perlug und Kalerid konnte Selbstzufriedenheit in seinen Augen erkennen.

      Der Atem des Heerführers hatte sich wieder beruhigt und Kalerid richtete sich zu seiner vollen Größe auf, um die Würde auszustrahlen, die seiner Position angemessen war. Schließlich hatte es keinen besonders guten Eindruck gemacht, als er sich feige hinter die Reihen seiner Soldaten geflüchtet hatte. Aber ein Kalerid würde niemals den Fehler machen, so etwas einzugestehen, vor allem nicht vor jemandem, der ihm untergeben war.

      »Ja, es hat seinen Zweck durchaus erfüllt«, erwiderte er herablassend. »Nur sag mir, wie hast du von unserer misslichen Lage erfahren?«

      »Euer Lakai kam in die Stadt und hat Alarm geschlagen«, erklärte Perlug und Rofin trat seitlich hinter ihm hervor, sodass er sich erst jetzt in Kalerids Blickfeld schlich.

      Kalerid knurrte zufrieden. »Sehr gut, Rofin.« Kalerid sprach selten ein Lob aus und wenn, dann tat er es nur sehr ungern, vor allem, wenn dadurch seine eigenen Fehler deutlicher zum Vorschein kamen. »Zum gegebenen Zeitpunkt werde ich dich dafür entlohnen.«

      »Ich habe nur meine Pflicht getan, Majestät.« Rofin senkte ergeben den Kopf und ließ sich durch nichts anmerken, dass auch er mit sich zufrieden war.

      Für Kalerid war die Angelegenheit damit erledigt und er ordnete seinen sehr in Mitleidenschaft gezogenen Umhang. Zwar konnte man den Ausgang des Vorfalls als glücklich bezeichnen, aber sein gesamtes Vorhaben hatte dadurch einen herben Rückschlag erlitten.

      »Zeig mir das Quartier, das du für mich hast herrichten lassen!«, befahl er Perlug und trat unter dem Torbogen hervor.