Was heißt es nun, für Antworten auf die Frage nach dem Glück eine Vorstellung von Zielhorizonten zu gewinnen? Hier wird die Unterscheidung zwischen dem herstellenden und dem vollziehenden Handeln [[Poiesis, Praxis (vgl. das Glossar)]] (Poiesis, Praxis) relevant. Sie spitzt die Frage noch zu: Inwiefern kann man für vollziehendes Handeln (wie Spazierengehen, Tanzen, Golf spielen ...) davon ausgehen, dass es zwar kein Ziel hat, aber dennoch ein Ziel hat? Es hat kein Ziel im herstellenden Sinn: Wir intendieren mit diesem Handeln kein Endprodukt (der Schuh ist zum Tragen da) und es ist kein Mittel zu etwas anderem (das Hämmern dient zum Zimmern). Das menschliche Leben ist im Bezug auf diese Unterscheidung eher Vollzug als ein Produzieren. Zwar sprechen wir auch von einer Lebensleistung und man reproduziert sich, wenn man Kinder bekommt. Aber wenn die Kinder erwachsen sind und man im Alter nicht mehr produktiv tätig sein kann, ist das Leben nicht „fertig.“ Es scheint irgendwie eher ein Zeitvertreib zu sein, wie Tanzen und Golfspielen.
Dennoch sind wir, wenn wir Aristoteles folgen, auf die Annahme verpflichtet, dass alle Handlungen ein Ziel haben: das Glück. [[Glück als Ziel von Handlungen ohne Ziel?]] Vollziehende Handlungen haben in diesem Sinne ein Ziel, ohne auf ein Endprodukt zu zielen oder Mittel zu einem anderen zu sein. Diese zunächst bloß systematische Forderung (wir akzeptieren die von Aristoteles vorgestell-[< 20]te Unterscheidung) versteht man unter Verweis auf das inklusive oder exklusive Glückskonzept besser, das auf die Vorstellung des „etwas im Lichte einer Konzeption des gelingenden Lebens Sehen“ führte. Wenn man sich und sein Handeln im Lichte einer bestimmten Konzeption des gelingenden Lebens sieht, verändern sich Einschätzungen, Entscheidungen und Reflexionen. Konkrete Handlungsoptionen verändern ihre Bedeutung.
Man denke an die Konzeption eines gelingenden Urlaubs einer Person, die gerne Golf spielt. [[Golf spielen]] Golf spielen im Urlaub gilt ihr weder als Mittel zu etwas noch produziert sie damit Erholung. Man kann sagen, dass das Golf Spielen für das Gelingen des Urlaubs förderlich bzw. konstitutiv ist. Ob man das sagt, hängt jeweils von der Konzeption eines gelingenden Urlaubs ab. Eine solche Konzeption mag subjektiv sein (andere wollen lieber bei der Weinernte in der Provence helfen oder sich am Strand sonnen). Neben solchen subjektiven Bedingungen, haben unsere Urlaubskonzeptionen auch objektive Bedingungen. Denn im Urlaub darf man nicht im eigentlichen Sinne arbeiten (gegen Lohn etwas herstellen oder Dienstleistungen erbringen). Und nicht immer ist Golf spielen im Urlaub möglich. Vielleicht ist der Rasen durch Regen durchweicht oder Zugvögel haben den Golfplatz gerade in Besitz genommen. Da Glück also auch Glückssache ist, sollte man unter einem gelingenden Urlaub vielleicht mehr als nur Golf spielen verstehen.
Das [[(3) Glück als Ziel des Handelns im Maßstabssinn]] Glück besteht also notwendig in bestimmten Tätigkeiten, aber keine bestimmte Tätigkeit ist notwendige oder hinreichende Bedingung für Glück. Welche Handlungen, Tätigkeiten, Arbeitsvorgänge und Erlebnisse in welcher Weise glückskonstitutiv werden können, hängt von einer Konzeption des gelingenden Lebens ab, die uns die Dinge unseres Lebens in einem bestimmten „Licht“ sehen lässt. Dieses Licht liefert uns Gründe und Motivationen zu handeln. Glück ist also Ziel im Maßstabssinn.
Wer im Urlaub Golf spielt, hat daher das Ziel, den Golfball auf den verschiedenen Bahnen in die Löcher zu putten, weil seine Konzeption des gelingenden Urlaubs ihm Golf Spielen als Urlaubsziel plausibel erscheinen lässt. Und er hat darin auch Gründe, den Vorschlag eines Museumsbesuches als unpassend abzulehnen. Konzeptionen des gelingenden Urlaubs sind ebenso wie die des gelingenden Lebens in jeder Handlung eines Urlaubs und des Lebens Ziele in einem Maßstabssinn. Sie können mehr oder weniger exklusiv oder inklusiv sein.
Die [[Und wo bleibt die Moral?]] Frage nach dem Maßstab des Gelingens für den Urlaub mag subjektiv sein, aber die Frage nach dem gelingenden Leben erachten wir in vielen Hinsichten als moralisch. Das genießerische Leben ist an sich kein Problem, aber der Genuss des Sadisten ist unmoralisch. Das [< 21] Streben nach Wissen ist an sich kein Problem, aber der Wissenschaftler im Elfenbeinturm vernachlässigt vielleicht seine Kinder. Das Leben des Theoretikers könnte ebenso unglücklich sein wie das des Sadisten. Doch nach welchem normativen Maßstab lässt sich das beurteilen? (Vgl. insgesamt zur Antike Forschner 1993.) Der Maßstab für das Glück wird bisweilen als ein vollkommener moralischer oder tugendhafter Lebensvollzug bestimmt. Was das bedeutet, ist Gegenstand der Ethik insgesamt. Für eine philosophische Konzeption des Glücks sind an dieser Stelle nur zwei Dinge wichtig: (1) Wie subjektiv ist das Glück? (2) In welcher Beziehung stehen das Glück und die Moral zueinander?
Es hat sich gezeigt, dass das [[(4) Subjektivität, Pluralität und Systematizität des Glücks]] Glück nicht im Sinne der Lust epistemisch subjektiv ist. Das Glück kann nicht bloß in einem aktualen Bewusstseinszustand (Lust, Wunsch, Vernunft) bestehen. Dennoch kann das Glück des tugendhaften Lebens nicht vollkommen lustlos sein. Im Konzept der „Freude“ muss es also für die Lust einen Platz geben. Aber auch im Geltungssinn kann Glück subjektiv sein: Passt das aktive Leben zu mir? Oder sollte ich mich doch lieber ganz der Wissenschaft verschreiben? (Oder der Malerei?) Eine pluralistische Konzeption des Glücks müsste Glück objektiv als zumindest partiell subjektives Konzept bestimmten. Man verfügt dann über Gründe, weswegen ein bestimmtes Leben zu einem selbst passt und deshalb für diese Person glückskonstitutiv wäre, wenn ihr alles glückt.
Wie stark ist die konzeptionelle [[systematische Einheitsideale]] Einheit des Glücks? Diese Frage steht auch im Zentrum der Wahl zwischen dem aktiven und dem theoretischen Leben als exklusiven Lebensentwürfen. Man kann sich aber auch konkret das Leben eines Künstlers vorstellen, das kompromisslos der Kunst gewidmet ist. Für ihn ist das Leben eines Normalbürgers ,unzumutbar.‘ Nehmen wir an, dass das Leben des Normalbürgers aus entfremdeter Lohnarbeit und einem reichen Familienleben in der Freizeit besteht. Die Lohnarbeit langweilt ihn und führt dazu, dass viele künstlerische und intellektuelle Fähigkeiten verkümmern, aber sie stattet ihn mit genügend materiellem Wohlstand aus, damit er sich in der Freizeit seiner Familie widmen kann. Dem Künstler wäre ein solches Leben ein Graus. Die Bedingungen der Zumutbarkeit führen (nicht erst heute) zu einer Pluralität der Glücksinhalte: Eine philosophische Ethik darf weder dem Künstler ein normales Leben noch dem Normalbürger das Leben eines Künstlers zumuten. (Aufgrund einer Ethik Unangenehmes leiden zu müssen, ist doppeltes Leid.) Zumindest eine gewisse Vielfalt von (sich wechselseitig ausschließenden) Lebensentwürfen muss in Form von individuell geltenden Alternativen objektiv begründbar sein. (Kymlicka 1997, S. 154 f., 162 ff.; Nielsen 1973.)[< 22]
Es wird deutlich, dass man sich über das Verhältnis von [[Glück und Moral]] Glück und Moral klar werden muss. Der Hedonist sieht die Moral als glückswidrig, weil sie ihn zwingt, sich Lust zu versagen (Unvereinbarkeitsthese). Hedonisten in einem weiteren Sinne (also nicht „Lust,“ sondern „Freude“) können der Auffassung sein, dass das Glück mit der Moral vereinbar ist (Harmoniethese) oder dass es mit der Moral identisch ist (Koinzidenzthese). Diese Fragen können nur im Rahmen der Ausarbeitung einer bestimmten Ethik und einer mit ihr vereinbaren Sammlung an moralischen Normen, Regeln und Werten diskutiert werden. Hält man aber an einer Pluralität der Glücksinhalte fest, dann erscheint die Koinzidenzthese zu stark.
Man muss also die Frage nach der [[Reichweite der Ethik]] Reichweite der Ethik stellen. Denn eine Ethik scheint zwischen der hedonistischen Lust und der Moral zu stehen. Je nachdem, wie wir eine Ethik philosophisch konzipieren, stellt sich uns das Verhältnis zwischen dem motivierenden Genussleben und dem moralischen Leben anders dar. Für den französischen Maler Paul Gauguin war es vielleicht moralisch angemessen, Ende des 19. Jahrhunderts Frau und Kinder zu verlassen, um auf Tahiti zu malen und dort mit einem sehr jungen tahitianischen Mädchen zusammen zu leben.