„Prinzipiell gern, aber ich möchte meinen Fuß nicht überstrapazieren.“
„Pustekuchen. Soweit ich weiß, gibt es in jeder Kneipe Tische und Stühle. Und fürs Sitzen wird es ja wohl noch reichen?“
„Überredet, ich komme mit. Wann treffen wir uns?“
„Um acht im Lokal.“
„Ich werde da sein.“
Die Freundinnen verabschiedeten sich und Julia fuhr auf dem schnellsten Weg nach Hause. Im Apartment drehte sie die Heizung hoch und setzte sich an den Rechner. Christian hatte sich bis jetzt noch nicht gemeldet, was ihr sehr entgegenkam. Doch kaum hatte sie das Postfach geöffnet, entdeckte sie seine Mail. Er wollte ihr mit Sicherheit mitteilen, dass es zwischen ihnen nicht passte. Wie gut, dass er ihr zuvorkam.
Zögerlich klickte sie auf Öffnen und las erstaunt die Zeilen. Ihre übereilte Flucht in jener Nacht blieb unerwähnt, stattdessen lud er sie zum Adventsmarkt ein. Jetzt musste sie wohl oder übel ein ernstes Wörtchen mit ihm reden und die - hm, was war das eigentlich zwischen ihnen - also, sie musste diese Sache auf dem schnellsten Wege beenden.
Jetzt gleich oder besser morgen? Ach was, warum sollte sie sich ausgerechnet den heutigen Abend verderben. Gutgelaunt erhob sie sich, um dann erneut einen besorgten Blick in den Kleiderschrank zu werfen. Shirt, Jeans, Turnschuhe – dieses Outfit passte so gar nicht in eine angesagte Szenebar.
Sie gönnte sich ein Wannenbad, um die verkrampften Muskeln zu lösen, und rieb den Knöchel anschließend mit einer Salbe ein. In ein paar Tagen sollte das Ganze ausgestanden sein. Ihre langen blonden Haare drehte sie auf große Wickler, damit ihre bescheidene Mähne später in lockeren Wellen auf die Schultern fiel. Wenn sie schon nicht mit passenden Kleidungsstücken auftrumpfen konnte, dann wenigstens mit ihrem Äußeren. Zwar wirkte sie neben Emily immer ein wenig blass und schmal, aber daran hatte sie sich im Laufe ihrer Freundschaft gewöhnt. Es gab schließlich Wichtigeres als reine Äußerlichkeiten.
Die restliche Zeit bis zum Treffen verbrachte sie vor dem Rechner mit einer virtuellen Shoppingtour. Immerhin wollte sie für den nächsten Ausflug ins Nachtleben gewappnet sein, nur hin und wieder kämpfte sie gegen das schlechte Gewissen an. Ihr Konto würde mächtig bluten, aber sie gönnte sich ja sonst nichts. Nach ihrem verschwenderischen Einkauf hob sich ihre Stimmung von Minute zu Minute und sie freute sich auf den Abend. Den Gedanken, als einziger Single dort aufzutauchen, verdrängte sie erfolgreich. Sie warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und ihr gefiel, was sie sah.
Gerade als sie die Tür hinter sich zuziehen wollte, ging das Licht im Treppenhaus aus. Sie hörte ein leises Rascheln und tastete nach dem Schalter. Innerhalb von Sekunden flammte das Licht auf. Sie wollte sich gerade abwenden, als ein Hauch von Aftershave um ihre Nase wehte.
„Hallo, ist da jemand?“
Stille.
War das nicht das gleiche Aftershave, das auch Christian benutzte? Zögernd umfasste ihre Hand das Treppengeländer, dann lief sie nach unten. Und wenn schon, Christian war sicher nicht der einzige Mann, dem dieser Duft anhaftete.
Das Lokal war gut besucht und Julia schob sich suchend durch die Menge, bis sie Emily endlich an einem Ecktisch entdeckte.
„Setz dich zu mir Julia, hier ist noch Platz.“
Verbissen quetschte sie sich neben ihre Freundin und fühlte sich in dieser Enge unwohl. Das Stimmengewirr schwoll ständig weiter an und die laute Musik tat ihr Übriges dazu.
„Möchtest du auch einen von diesen leckeren Cocktails probieren?“ Emily nippte an ihrem Glas.
„Danke, aber ich bleibe lieber bei meiner Cola.“
Julia schwitzte in ihrem langärmeligen Shirt und fächelte sich mit der Hand Luft zu. Der Alkohol würde ihr Blut nur noch mehr in Wallung bringen und sie wollte nicht im eigenen Saft schmoren. Die Stimmung am Tisch war aufgekratzt und Julia fühlte sich völlig deplatziert. Gelangweilt ließ sie ihren Blick über die Menge schweifen und blieb an zwei jungen Männern hängen. Sie versuchte noch rasch zur Seite zu schauen, aber es war zu spät. Leon hatte sie entdeckt und winkte ihr zu.
Hoffentlich kamen die beiden nicht zu ihnen an den Tisch und erzählten von Chris… oh nein, sie kamen tatsächlich. Am liebsten wäre sie unter die Sitzbank gekrochen, aber dafür war es bereits zu spät. Lässig klopfte Leon auf die Tischplatte.
„‘n Abend allerseits. Hallo Julia, wie geht’s?“
Sämtliche Augenpaare waren auf sie gerichtet und ihr schoss augenblicklich die Röte ins Gesicht. „Darf ich vorstellen, Leon und Daniel.“
„Und woher kennst du die beiden? Du hast mir noch nie etwas von ihnen erzählt?“ Emily musterte sie vorwurfsvoll.
„Das sind Arbeitskollegen von Christian“, flüsterte Julia, bevor sie sich Leon und Daniel zuwandte. „Was hat euch denn hierher verschlagen?“
„Ich wohne hier und ziehe mit Daniel um die Häuser. Habt ihr noch ein Plätzchen frei?“, fragte Leon grinsend.
Die wollten doch hier nicht ankern? Wenn die andern von Christian erfuhren, konnte das außerordentlich peinlich werden.
„Ich weiß nicht so recht“, ergriff Julia das Wort. „Ist schon ziemlich eng hier, auch ohne euch.“
„Ach was, mir machen uns ganz klein. Stimmt’s, Daniel?“
Die zwei jungen Männer hatten Emilys Neugier geweckt. Emily rutschte ein Stückchen zur Seite, damit Leon neben ihr Platz nehmen konnte.
„Musste das wirklich sein, Emily?“, zischte Julia leise.
Aber diese zuckte nur mit den Schultern. „Ist doch egal. Hauptsache, wir haben unseren Spaß.“
„Eben, und was ist mit mir?“
„Julia, warum musst du uns immer ausbremsen? Genieße doch einfach den Abend.“
Daniel setzte sich Julia gegenüber und schien mindestens genauso verlegen wie sie. Leon hatte da weniger Berührungsängste. Obwohl Emilys Freund anwesend war, flirtete er offensichtlich. Er sah nicht übel aus und gab sich sehr selbstbewusst. Emily hing an seinen Lippen und ließ sich von ihm mitreißen. Mehrmals hintereinander lachte sie laut auf, Leon versprühte Witz und Charme.
„Na, alles klar?“
Daniel hielt sich schüchtern an seinem Bier fest. Er hatte schöne Hände, das war ihr sofort aufgefallen. Nervös strich er eine dunkle Haarsträhne zur Seite und seine rehbraunen Augen musterten sie unverhohlen. Er war schmaler und nicht so breitschultrig wie Leon, aber dennoch gut gebaut.
„Im Großen und Ganzen schon“, antwortete sie ehrlich.
„Du und Christian, seid ihr zusammen?“, fragte er ganz unverblümt.
Sie errötete leicht und verneinte.
„Wie ist denn Christian so als Chef?“
„Frage lieber nicht.“ Er winkte ab. „Ständig schlecht gelaunt, er kann und weiß alles besser und schuld sind immer die anderen. Er ist ein fantastischer Koch, aber das Zwischenmenschliche kannst du vergessen.“
„Doch so schlimm?“
„Schlimmer.“
Daniel lachte und sie stimmte mit ein.
„Warum hast du dich für diesen Beruf entschieden?“, hakte sie nach.
„Das BWL-Studium war mir zu trocken, ich wollte etwas Kreativeres machen.“
„Du hast es abgebrochen?“
Er nickte. „Ja, das war einfach nicht meins.“
„Himmel, meine Eltern