Heinrich Töpfer und die Jubelkugel. Detlef Köhne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Köhne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742757166
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auf seiner Stirn, »aber die mit dieser bescheuerten Pumucklperücke muss es nicht unbedingt sein. Und seien wir mal ehrlich: Ron ist eine Lusche.«

      »Immerhin kriegt er im Buch am Ende das Mädchen,« gab Patrick zu Bedenken und kratzte sich einen Schminkerest vom Haaransatz. »Welche Rolle wäre dir denn lieber?«,

      »Ich weiß nicht, vielleicht einer der Geister. Mit dem Betttuch über dem Kopf fällt wenigstens niemandem auf, wenn du kein freundliches Gesicht machst.«

      »Abgesehen von der Perücke ist die Ron-Rolle gar nicht schlecht«, meinte Timo. »Man hat dadurch leichter mal Gelegenheit, in Lisas Nähe zu kommen.«

      Heinrich grinste etwas gezwungen. Lisa, die Hermine-Darstellerin, war eines der hübschesten Mädchen in der Theatergruppe. Für Heinrich war jedoch genau das ein weiterer Grund, sich insgeheim eine Nebenrolle zu wünschen. Lisa irritierte ihn irgendwie. Früher war es einfacher gewesen, da hatte er Mädchen einfach nur doof gefunden, doch mittlerweile bekam dieses einfache Weltbild deutliche Risse, er begann es mit anderen Augen zu sehen und manchmal ertappte er sich bei dem Gedanken, sein Leben könne allmählich ein wenig mehr Glamour vertragen. Und doch oder gerade deswegen machten Mädchen wie Lisa ihn unsicher und nervös. Angesprochen auf dieses Thema pflegte sein Vater stets recht unpräzise zu werden und wenig hilfreiche Sätze abzusondern, wie ›das kriegst du schon noch früh genug raus‹ oder ›damit hast du noch ein wenig Zeit‹.

      Patrick trocknete sich das Gesicht ab und packte sein Waschzeug zusammen. »Ich muss los, Jungs, meine Mum holt mich ab. Wie sieht's mit morgen aus? Schafft ihr es bis drei? Nils und Luka kommen auch.«

      »Mein Vater bringt mich gegen halb vier«, sagte Timo. »Hoffentlich kommt der nicht dahinter, dass wir eine Counterstrike-Party aufziehen. Er denkt, es geht um eine Hausaufgaben-AG.«

      »Hab ich meinem Vater auch erzählt«, sagte Heinrich.

      »Von mir wird es keiner erfahren«, grinste Patrick. »Na denn, bis morgen, Jungs.« Er schulterte seine Sporttasche und verließ den Waschraum.

      Timo prüfte mit kritischem Blick sein Spiegelbild. »Ich denke, so passt das einigermaßen. Was ist mit dir? Kommst du klar?«

      »Einigermaßen.« Heinrich rubbelte noch immer an seiner Stirn, die inzwischen knallrot geworden war. »Ich krieg diesen verdammten Blitz nicht ab. Blöde Schminke! Hartnäckig wie ein Tattoo.«

      »Kussechter Lippenstift, was?«

      »Sehr witzig. Naja, künftig wirst du derjenige sein, der sich die Birne bemalen darf. Ich bin jedenfalls durch mit dem Jungen mit dem Blitz auf der Stirn.«

      7

      Gleichzeitig, jedoch ein paar Millionen Meilen weiter, an einem Ort, wo Raum und Zeit gänzlich anderen Gesetzen folgten und wo die Feuer der Hölle heißer brannten als die Fritteusen bei Kentucky Fried Chicken, schickte sich soeben ein Mann namens Alfred Poloser an, die Welt zu erobern. Im eigentlichen Sinne war Alfred Poloser allerdings gar kein Mann. Genau genommen war er nicht einmal ein Mensch. Nein, Alfred Poloser war ein Diener. Kein gewöhnlicher Diener, versteht sich. Alfred Poloser war Dämon auf Probe und ein Diener der Finsternis. Und Alfred Poloser trug sich mit großen Plänen. Er wollte nicht sein ganzes untotes Leben lang Dämon auf Probe bleiben. Er wollte mitmischen im Konzert der Diplom-Dämonen, Pferdefüßigen und Gehörnten und dazu musste etwas Großes, etwas Überzeugendes her. Und so war das ›Welt erobern‹ durchaus wörtlich zu nehmen, denn mit nichts Geringerem befasste sich der Plan, den er in Händen – oder vielmehr: Hufen – hielt. Gerade eben erst hatte ihm dieser neue Bürobote, ein Typ, der zwar ziemlich abgewohnt und übernächtigt aber andererseits seltsam unhöllisch ausgesehen hatte, den druckfrischen Ordner aus der Druckerei gebracht.

      Doch verwirklichen konnte er den Plan nicht allein. Dazu war er ein viel zu kleines Tier. Es galt, die Kollegen von der Abteilung ›Praktische Tyrannisierung‹ von der Umsetzbarkeit des Plans zu überzeugen und sich ihre Unterstützung zu sichern, dann stünde der Karriere nichts mehr im Wege.

      Poloser warf einen prüfenden Blick in den Spiegel aus poliertem Edelstahl neben seiner Bürotür, übte ein paar Grimassen und schnippte sich ein imaginäres Staubkorn vom rechten Hornansatz seiner noch giftgrünen Hörner. Er war nervös. Zu viel hing ab vom Gelingen dieses Plans. Sein Blick fiel auf den Kalender, der neben dem Spiegel hing: ›Dr. Liebermanns Beliebte-Bösewichte-Schurkenkalender‹. Das Gesicht des Schurken der Woche blickte ihm bemüht ernst, mit gerunzelter Stirn und albern geschürzten Lippen entgegen. ›George W. Bush, 43. Präsident der Vereinigten Staaten‹, war unter dem Bild zu lesen. ›Aufgenommen in Dr. Liebermanns Beliebte-Bösewichte-Schurkenkalender auf Vorschlag der weltlichen Rüstungsindustrie nach der gelungenen und unmerklichen Abschaffung mehrerer Freiheits- und Bürgerrechte in der Welt der Menschen. Gilt als Erfinder der Achse des Blöden und der scheindemokratischen Regierung ohne Wählermehrheit.‹ Poloser seufzte. Der Typ hatte es geschafft. Ob es ihm auch gelingen würde, irgendwann einmal in diesen Kalender aufgenommen zu werden? Er rang die Zweifel nieder, atmete noch einmal tief durch, nickte dem Schurken der Woche und seinem Spiegelbild entschlossen zu und verließ das Büro – nicht ohne zuvor die lodernde Esse in seiner Büroecke etwas kleiner gedreht zu haben. Kein Grund, Energie zu verschwenden, solange er nicht im Büro war. Die armen Teufel in der Abteilung Fegefeuer hatten auch so genug zu tun.

      8

      Dämonenanwärter Alfred Poloser biss sich auf die Unterlippe und beherrschte sich mühsam, während sein Gegenüber mit affektiert überlegenem Grinsen im Gesicht seinen Vermerk las. Abgesehen von Hörnern und Hufen sah der Kerl eigentlich nicht besonders dämonisch aus, eher bieder, wie ein gewöhnlicher Bürohengst. Ein bisschen grobschlächtig vielleicht, groß und breit, mit einem dicken Schmerbauch und tiefen Falten auf der haarlosen Stirn, aus der die beiden prächtigen Hörner hervorwuchsen. Mit dem rechten Huf trommelte er gelangweilt ein Requiem auf die Schreibtischplatte, während seine Augen über die Zeilen huschten. Insgeheim wünschte Poloser den Kerl zur Hölle, was völlig überflüssig war, denn sie waren ja ohnehin schon dort.

      »Tjaaaa«, sagte der Kerl schließlich gedehnt, »ich fürchte, Sie sind hier völlig falsch, werter Kollege. Das hier«, er wedelte mit dem Blatt Papier in seinem Huf, »ist ein Fall von Finsternis und Verderben, und dafür bin ich absolut nicht zuständig. ›Finsternis und Verderben‹ sind schräg gegenüber. Sie sind hier bei ›Chaos und Zerstörung‹.«

      »Ich weiß, Herr Dr. Schmelzer, aber ...«

      »Hören Sie, Herr ...?«, unterbrach Dr. Schmelzer.

      »Poloser. Alfred Poloser, Projektbüro.«

      »Ach ja, richtig. Projektbüro«, schnaubte Dr. Schmelzer verächtlich, worauf ihm ein paar glühende Funken aus den Nüstern stoben. Das Blatt mit Polosers Vermerk begann leicht zu kokeln. »Oh, Verzeihung«, murmelte Schmelzer und versuchte die Flämmchen mit feurigem Atem auszupusten, worauf das Blatt erst richtig in Brand geriet. Er warf das Papier in ein großes, mit siedendem Öl gefülltes Goldfischglas. Einige kross frittierte Fischlein schwammen darin herum. »Sie sollten sich aus dem Materiallager das asbestbeschichtete Papier besorgen, das bewahrt Sie künftig vor solchen Missgeschicken,« sagte Schmelzer und fischte die vom Öl tropfenden Reste von Polosers Vermerk aus dem Glas.

      Poloser schnappte nach Luft. War es etwa sein Fehler gewesen, dass der Vermerk jetzt aussah wie ein Bogen Backpapier, auf dem soeben die einhundertste Pizza aufgebacken worden war? Dieser Kerl konnte einen wahrlich zur Weißglut bringen. Für einen voll ausgebildeten Profidämon gehörte gerade das natürlich auch zum kleinen Leuteschinden-Einmaleins. Egal. Poloser sparte sich eine Erwiderung und beschränkte sich darauf, höflich in den Huf zu husten, als ihm ein schwefliger Schwall von Schmelzers heißem Atem in die Nase stieg. Verflixt, er hatte es immer noch nicht richtig drauf, ohne Sauerstoff zu atmen.

      »Na schön, Poloser«, hob Dr. Schmelzer neu an und glättete beiläufig die frittierten Papierreste. »Auch wenn wir bisher noch nie das Vergnügen miteinander hatten, bin ich sicher, haben Sie bereits von mir