Die Wälder von NanGaia. Sabine Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabine Roth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847667568
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sie das Tuch endlich weglegte. Doch als er sich erleichtert aufsetzen wollte, hielt sie ihn zurück. „Das war leider nicht alles“ sagte sie ernst. „Einige Ihrer Wunden sind nämlich so tief, dass sie genäht werden müssen. Und dazu muss ich Sie in ein Krankenhaus bringen.“ Er stöhnte. Niemals! „Ich gehe weder in ein Krankenhaus, noch zu einem Arzt!“ erwiderte er entschieden. „...dann müssen meine Wunden eben auf andere Weise heilen.“ Diese Antwort hatte sie befürchtet. „Sie sollten sich das gut überlegen, mit solchen Verletzungen ist nicht zu spaßen!“ unternahm sie den hoffnungslosen Versuch, ihn umzustimmen. Und erklärte erst, als ihr dies nicht gelang, und auch nur sehr widerstrebend, sie könne das Nähen selbst übernehmen. „Eigentlich darf ich das ohne Zulassung als Ärztin nicht.“ Sie seufzte. „Aber noch weniger darf ich Sie unversorgt lassen.“ „Genug geredet!“ Er schloss die Augen. „Fangen Sie endlich an.“ „Soll ich Ihnen diesmal ein Schmerzmittel geben?“ Sie fragte, obwohl sie auch diese Antwort bereits ahnte. „Nein.“ Sie machte ihre Sache wirklich gut. Nur einmal zuckte er kurz zusammen, als sie zu nähen anfing. Danach lag er vollkommen reglos, schlug die Augen erst wieder auf, als sie ihm den Verband angelegt hatte und aufzuräumen begann. „Vielen Dank. Selbst ein zugelassener Arzt hätte das nicht besser gekonnt als Sie.“ „Keine Ursache.“ Sie lächelte schwach. „Allerdings hat mich diese Geschichte mehr Kraft gekostet, als ich dachte. Ich muss dringend ins Bett.“ „Und ich?“ „Sie schlafen auf dem Sofa, ich hole Ihnen jetzt eine Decke und ein Schmerzmittel – nur zur Sicherheit“ fügte sie hinzu, weil er die Stirn runzelte, „nur für den Fall, dass Sie wegen der Schmerzen nicht schlafen können.“ Schon stand sie wieder mit einer Decke und einem dunklen Fläschchen vor ihm. „Dieses Mittel ist ziemlich stark.“ Sie stellte das Fläschchen vor Nantai auf den Tisch, und musterte ihn prüfend. „Zehn Tropfen sollten Ihnen genügen.“ Das Licht der Lampe über dem Sofa fiel sanft auf ihr Gesicht... Und zum ersten Mal fand er jetzt die Gelegenheit, sie aus der Nähe zu betrachten. Ihre Augen waren grün - nicht blau, wie er vermutet hatte - und leuchteten trotz der Müdigkeit wie zwei Smaragde, stachen unter den goldenen Locken hervor, die ihr ungeordnet in die Stirn fielen. Sie gefiel ihm. Sehr sogar - obwohl ihre Gesichtszüge ein wenig zu grob und unregelmäßig geraten waren, um sie schön zu nennen. Sein Blick streifte über ihre vollen Lippen, die wohl geformte Nase, und das mit einem frechen Grübchen versehene, recht energisch wirkende Kinn. Sie errötete, als er sie so unverhohlen anstarrte, und versuchte etwas hilflos, ihre Verlegenheit zu überspielen. „Brauchen Sie noch etwas?“ „…Ich… ich kenne Ihren Namen noch nicht...“ Nantai stotterte. Mit einem Mal war auch er verlegen. „Oh, tatsächlich! Sie haben Recht!“ Sie sah ihn verblüfft an. „…Ich heiße Dorothea Miller, aber fast alle nennen mich Doro. Doch angesichts der besonderen Umstände könnten wir eigentlich zum ’Du’ übergehen.“ Er lächelte. Angesichts der Umstände hatte sie vollkommen Recht. „Ich heiße Nantai.“ Doro verabschiedete sich ein wenig überhastet, und verschwand bald darauf in ihrem Schlafzimmer. Auch Räuber, der bisher ruhig auf seiner Decke gelegen hatte, erhob sich jetzt, und trottete zur Schlafzimmertür, legte sich dicht davor auf den Boden. Wollte er damit zeigen, dass Doro unter seinem Schutz stand? Nantai seufzte leise. „Keine Angst. Deine Besitzerin ist absolut sicher vor mir…“ Es hatte Zeiten gegeben, in denen er Doro nicht so rasch hätte gehen lassen… Aber diese Zeiten waren lange vorbei – und im Augenblick hatte er ohnehin andere Sorgen. Müde und erschöpft, suchte er sich nur noch eine Position, in der er das Pochen der Wunden nicht mehr so sehr spürte. Und war nach wenigen Minuten eingeschlafen.

      Gefühlswirren

      Nantai erwachte, weil eine Tür leise ins Schloss fiel.

       Die Sonne schien ins Zimmer. So hell, dass sie ihn blendete…Aber das Fenster seiner Wohnung zeigte nach Norden.... Verdutzt rieb er sich die Augen und blickte um sich. Wo in aller Welt war er?

       Dann erst kehrte die Erinnerung an die vergangene Nacht zurück, und er setzte sich auf. Ein wenig zu eilig - denn der stechende Schmerz in der Brust warf ihn sofort wieder zurück. „Verdammt“, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen - und unternahm einen zweiten, deutlich vorsichtigeren Versuch.

       Doro war bereits aufgestanden.

       Die Tür zu ihrem Schlafzimmer stand weit offen. Und auf dem Esstisch vor der Kochnische fand er einen Zettel mit der flüchtig hin gekritzelten Nachricht: „Ich hole Brötchen, bin gleich wieder da. Koch schon mal Kaffee, Gruß Doro“.

       Sehr lange und sehr nachdenklich starrte er auf das Papier - und legte es mit einem bedauernden Lächeln wieder zurück. „Es tut mir Leid, Dorothea Miller, aber du musst heute alleine frühstücken.“

       Ihre Abwesenheit kam ihm sehr gelegen. Weil er die Wohnung nun ohne Erklärung verlassen konnte – obwohl er wusste, wie unhöflich dies war, nach allem, was sie für ihn getan hatte.

       Er versuchte, sich einzureden, er wolle Doro nicht länger zur Last fallen, sie sei sicher froh, wenn sie sich nicht mehr um ihn kümmern musste...

       Und belog sich selbst damit.

       Denn er floh vor der Erkenntnis, wie sehr ihn die jüngsten Ereignisse aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. Nachdem sein Körper sich wieder erholt hatte, spürte er die tiefe Erschütterung seiner Seele umso mehr, die nach Trost verlangte - und ihn bei der jungen Frau zu suchen schien, die in der Nacht so zufällig in sein Leben getreten war.

       Viel zu nahe war Doro ihm in seinen unruhigen Träumen gewesen.

       Und diese Nähe machte ihm Angst.

       Seltsam... hatte er nicht zu Beginn des Studiums die Nähe so vieler Frauen freudig genossen? Warum fühlte er bei Doro jetzt den Drang, wegzulaufen?

      Was ist nur mit mir los? Wehmütig dachte er an die Zeit zurück, in der er solche Skrupel nicht gekannt hatte…an den Abend, an dem alles begonnen, an dem er zum ersten Mal mit einem Mädchen geschlafen hatte… Nicht lange zuvor hatten ihn die Freunde noch geneckt. „Es ist allerhöchste Zeit, dass du deine Unschuld verlierst, Nantai, und es gibt keinen Ort, an dem die Chancen dafür besser stehen als in diesem Club. Dort warten die Mädchen doch nur auf einen hübschen Kerl wie dich!“ Und dies nur, weil er ihnen am Abend zuvor - schon deutlich angetrunken – erzählt hatte, dass er noch nie mit einer Frau zusammen gewesen war. Zuerst hatten sie ihm nicht glauben wollen, „...ein attraktiver Kerl wie du, in deinem Alter?“ dann jedoch beschlossen, diesen untragbaren Zustand baldmöglichst zu beenden, und den Widerstrebenden in eine Diskothek geschleppt, die als Treffpunkt für jene galt, die ein Abenteuer suchten. Anfangs hatte er sich schrecklich unsicher gefühlt, und nicht gewagt, eine Frau anzusprechen, hatte neidvoll zugesehen, wie die Freunde erfolgreich auf Eroberungszüge gingen. Bis er irgendwann alleine an der Bar gesessen, und nur noch auf das Ende des Abends gewartet hatte. Doch dann hatte sich dieses Mädchen zu ihm gesetzt - Tanja. Hübsch, sympathisch und sehr direkt, hatte sie ihn die Hemmungen rasch vergessen lassen. Und schon bald war er mit ihr nach Hause gegangen - verfolgt von den ungläubigen Blicken der Freunde. Er hatte Tanja noch einige Male getroffen - bis sie irgendwann einvernehmlich festgestellt hatten, dass zu wenig sie verband. Doch hatte die Begegnung mit ihr ihm eine Welt eröffnet, in die er sich von nun an bedenkenlos gestürzt hatte. Er schüttelte den Kopf. Konnte nicht fassen, dass dies tatsächlich viele Wochen lang sein Leben gewesen war. Er hatte es eben noch zur rechten Zeit beendet. Doch nun hatten ihm die Ereignisse der vergangenen Nacht die Schattenseiten des Lebens bewusst gemacht, das er seitdem führte. Viel zu wohl hatten ihm Doros Wärme und Fürsorge getan, …und ihn erkennen lassen, wie sehr er die Nähe eines anderen Menschen vermisste. Wie sehr die Einsamkeit, obwohl selbst gewählt, an ihm zehrte. Mühsam zwang er sich zur Vernunft. Es war sinnlos, in dieser Stadt auf die Art von Nähe zu hoffen, die er suchte. Zudem würde er nicht mehr lange in Megalaia bleiben, nur noch, bis seine Gabe erwachte - und dies würde nun bald geschehen. Es war besser, wenn er ging. Sofort. Ehe Doro vom Einkaufen zurückkam. Misstrauisch beäugt von ihrem Hund, fügte er Doros Nachricht einige rasche Zeilen hinzu, in denen er sich herzlich bedankte, ihr viel Glück für die Zukunft wünschte - und log, er habe wegen eines wichtigen Termins gehen müssen. Aber Nantai hatte die Rechnung ohne Räuber gemacht. Lange Zeit hatte der Hund ruhig auf seinem Platz gelegen und ihn aufmerksam beobachtet. Doch im selben Moment, in dem Nantai sich zur