"Tödliches Finitum". Thomas Helm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Helm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847616863
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der langen Fensterfront langsam aber mit betont festen Schritten auf und ab zu gehen. »Entschuldige den – Zeitsprung, aber ich will dich an einen bestimmten Vorgang erinnern, der sich vor gut eineinhalb Jahren zugetragen hat. Wir hatten damals einen jungen Mitarbeiter verloren! Er war ganz offiziell als Personenschutz für einen Kunden eingesetzt, kam jedoch von seinem Einsatz nicht zurück! Erinnerst du dich?«

      Weiler nickte beflissentlich, denn auch ihm gab jener Vorfall immer noch ein Rätsel auf. »Das war doch der junge Bursche, der mit einem unserer Kunden nach Paris fliegen sollte. Und, den man später im Atlantik gefunden hat?«, pflichtete er Zernick bei.

      Der verhielt für einen Moment den Schritt und nickte zur Bestätigung.

      Woraufhin sich Weiler bemüßigt fühlte, noch weitere Fakten preiszugeben. »War da nicht irgendwas mit einer Bargeldzahlung? Der Mutter des Toten haben wir eine sehr gute Entschädigung und auch das Begräbnis gezahlt. Ja, ja, das weiß ich noch!«

      Zernick schüttelte daraufhin heftig den Kopf. Er lachte laut auf und seine Entgegnung klang recht bissig. »Horst Weiler, du verdammter Kopekenkacker! Mann! Ich will hier nicht von unseren Kosten reden, sondern von den Problemen, die uns diese Angelegenheit einbrachte!« Er nahm die Hand aus der Tasche und deutete auf seinen Partner. »Da standen doch plötzlich die Herren vom BKA in meinem Büro und zeigten mir ein fürchterliches Leichenfoto. Ich erkannte darauf unseren Mitarbeiter. Du weißt ja hoffentlich noch, wie ich denen damals bestätigt habe, dass der Kunde im Voraus in bar bezahlt hat. Und auch, dass er erst einige Tage später mit dem Personenschützer nach Paris geflogen ist.«

      Weiler hob beschwichtigend die Arme und verdrehte genervt die Augen. »Ralf! Lass’ es gut sein. Das weiß ich doch noch. Wieso glaubst du, ich hätte mein Gehirn beim Pförtner abgegeben? Aber was hat das denn alles mit den Typen von damals zu tun?«

      Zernick kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück. Er ließ sich in den Drehsessel fallen und starrte einige Augenblicke vor sich hin. »Verzeihung! Ich wollte nur noch mal ein paar Hintergründe beleuchten, mein lieber Horst. Doch du solltest wissen, dass ich den Bullen nicht alles gesagt habe. Auch dir nicht, mein Lieber! Der Kunde, der damals hier in meinem Büro erschien, war nämlich kein Unbekannter. Der Mann, der einen unserer Personenschützer mieten wollte und der mir gleich ein Kuvert mit Bargeld auf den Tisch legte, der – der war der frühere Oberst Führmann!«

      »Oh Scheiße!«, rief Weiler dazwischen und klatschte in die Hände. »Wie das denn? Ist der etwa mit Absicht bei uns aufgetaucht?«

      Zernick stieß ein kurzes, bitteres Lachen aus. »Nee, nee! Es war wohl eher eine Art Fügung. Denn ich glaube, dass er zufällig auf unsere Firma gestoßen ist. Führmann hatte sich damals mit dem schönen französischen Namen »Fuhran« bei mir vorstellte. Er benötigte angeblich für irgendeine Sache, die er in Paris vorhatte, einen Personenschützer. Er habe unser Unternehmen in den »Gelben Seiten« gefunden. So jedenfalls sagte er es mir damals.« Zernick trank aus einer Tasse und verzog das Gesicht. »Schitt! Schon kalt!« Er schüttelte den Kopf. »Da stürmte dieser Typ also völlig unangemeldet hier herein und wir beide haben uns sofort wiedererkannt! Natürlich gab das keiner von uns zu! Wir spielten einfach »Unbekannt bis heute«. Ich bestätigte ihm den Auftrag mündlich. Er legte das Geld hier auf den Tisch, dann gab er mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer drauf und verschwand. Als er weg war, da habe ich die Rufnummer sofort gecheckt. Denn nicht mal eine Visitenkarte hatte er hier gelassen. Darum suchte ich seine Firma im Internet, wo ich sie auch gleich gefunden habe. Sie nannte sich »Blue Invest«. Angeblich beschäftigten sie sich witzigerweise geschäftlich mit Erdgasfirmen in Russland. Nebenbei gesagt konnte man dort im Impressum auch Führmanns neuen, falschen Namen lesen.«

      Weiler hatte die Fensterbank verlassen, sich wieder an den Tisch gesetzt. Ungerührt trank er seinen kalten Kaffee aus. Er wartete auf weitere Ansagen von Zernick.

      »Ja! Rainer Führmann war zu René’ Fuhran geworden. Nun ja, als dann unser junger Mitarbeiter nicht zurückkam und auch der Herr Fuhran seine restlichen Schulden nicht zahlte habe ich natürlich weiter recherchiert. Ich bin zu der Firmenadresse gefahren, wo aber inzwischen eine andere Firma eingemietet war. Und ich suchte im Internet, bei der IHK, dem Amtsgericht und der Wirtschaftsauskunft nach ihnen. Doch die »Blue Invest« blieb verschwunden. Aber ich konnte ihr einziges Subunternehmen finden. Das nannte sich WELA GmbH.«

      Horst Weiler schaute jetzt doch etwas irritiert auf seinen Partner. Wohl aufgrund der Fülle an Informationen, die ihm soeben entsprudelten.

      »Jawohl, mein lieber Horst! Ich habe noch etwas«, sagte Zernick, indem er sich den letzten Schluck Kaffee aus der Kanne eingoss. »Bei dieser Recherche habe ich eine weitere, sehr interessante Information erhalten. Der Geschäftsführer dieses Subunternehmens, eben dieser »WELA GmbH«, war laut Impressum ein gewisser - Kolja Braun. Eigentlich ganz witzig, diese Namenswandlung! Hatte man damals etwa die Befürchtung, dass sich der Genosse Bruhns einen etwas schwierigeren Neunamen nicht merken kann?«

      An dieser Stelle wurde Zernick von Weiler unterbrochen. »Was ist daran denn so witzig?«

      Zernick drehte sich seinem Partner zu und breitete in einer etwas theatralischen Geste die Arme aus. »Horst, mein verehrter Freund und Genosse! Ich habe dir doch soeben alle Fakten erklärt. Mein Zusammentreffen mit Michael Bruhns. Damals Bauleiter im Ural und vermutlich der Leiter dieser ominösen Gruppe. Wegen ihm bin ich auch diesem Oberst Führmann im Ministerium begegnet. Mann! Der Bruhns trug auf der Baustelle den Spitznamen »Kolja«! Verstehst du’s jetzt?«

      Inzwischen hatte es Weiler endlich begriffen. »Ist ja gut!«, rief er aus. »Ich hab’s geschnallt! Aus Michael also Kolja Bruhns wurde Kolja Braun. Und aus Rainer Führmann wurde René Fuhran.«

      Zernick nickte erfreut. »Blitzmerker! Probleme machen mir jedoch noch die Antworten auf einige der noch offenen Fragen. Erstens: Zu welchem Zweck haben Fuhran und Braun schon vor dem Zeitpunkt der sogenannten Wende ihre Firmen im damaligen Westberlin gegründet? Denn die Gründungsdaten von Ende Neunundachtzig stehen nämlich im Handelsregister. Zweitens: Was haben sie mit und in den beiden Unternehmen fast vierzehn Jahre lang gemacht? Wovon konnten sie überhaupt existieren? Denn der Firmensitz am Kudamm war sicherlich auch kein Schnäppchen!« Zernick sprang aus seinem Sessel, nahm seine Wanderung entlang der Fensterfront wieder auf.

      Weiler schaute ihm vorerst wortlos vom Tisch aus dabei zu.

      »Drittens!«, dozierte Zernick. »Es interessiert mich brennend, warum Führmann unbedingt nach Paris fliegen musste und von dort nicht mehr zurückgekommen ist. Wieso ist unser Mitarbeiter damals auch verschwunden? Letztendlich frage ich mich auch, weshalb sich anschließend diese »Blue Invest« so schnell in Luft aufgelöst hat.« Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück, ließ sich wieder in den Sessel fallen.

      Weiler hob die Hand wie ein Pennäler und deutete dann mit dem Zeigefinger auf seinen Partner. »Habe ich das richtig verstanden, Ralf? Aufgelöst wurde nur diese Firma am Kudamm? Aber was passierte denn mit dieser, – wie heißt sie denn noch mal, – dieser »WELA GmbH«?«, fragte er aufgeregt. Er sprang sogar zu Zernicks Verblüffung aus seinem Sessel auf.

      Denn aus der Erfahrung heraus wusste sein Partner eines mit Bestimmtheit. Wenn Weiler erst einmal saß, dann saß er!

      Jetzt jedoch nahm er Zernicks Platz am Fenster ein. Er stützte sich mit den Händen auf dem Fensterbrett auf. Von da aus warf er einen langen Blick hinaus in den düsteren Nachmittag. »Wirklich, ein Scheiß-Wetter da draußen. Gott oh Gott! In ein paar Tagen ist Weihnachten!«, bemerkte er über die Schulter hinweg. Was zu Zernicks Überraschung völlig unpassend zu ihrem Gesprächsthema war. Langsam drehte er sich zu seinem Partner herum.

      Der schüttelte, wegen Weilers sprunghafter Reaktion, nachsichtig den Kopf. Um ihm schließlich die erwartete Auskunft zu geben. »Dass, mein lieber Horst ist, eben das Unverständliche. Die Firma von Bruhns existiert immer noch. Zumindest bestand sie noch im letzten Herbst. So jedenfalls ist es mein Kenntnisstand.«

      Weilers Gesicht hellte sich nach dieser Aussage auf.

      Da er wieder zu einem Einwurf ansetzte, wehrte Zernick diese sogleich mit einer harschen Handbewegung ab. »Mach’ dir keine Hoffnungen! Ich weiß zwar, dass