7. Strophe – Lizzie
Es gibt in der Millionenstadt London eine Attraktion, die nur ein einziges Mal auf der Welt existiert. Kurioserweise handelt es sich nicht um ein Gebäude wie Big Ben, den Tower oder den Piccadilly Circus. Es ist auch nicht Madam Toussaut, in dem neben vielen anderen natürlich auch Wachsfiguren der Beatles ausgestellt sind, oder ein anderes Etablissement. Im Grunde genommen kann man noch nicht einmal sagen, dass es sich dabei wirklich um ein Objekt handelt, obwohl davon wahrscheinlich Tausende in jeder Stadt auf der ganzen Welt anzutreffen sind. Bei diesem einen seiner Art, das sein Dasein im allgemeinen durch weiße Farbe erlangt, gibt es sogar eine Webcam, die es für Jedermann 24 Stunden am Tag möglich macht, es im Internet zu beobachteten. Es handelt sich um den berühmtesten Zebrastreifen der Welt, der vor dem Londoner Aufnahmestudio der Beatles über die Abbey Road in London führt und der auf dem gleichnamigen Album der Beatles abgebildet ist, während die Beatles ihn gerade überqueren. Das nicht viel weniger berühmte Aufnahmestudio, in dem fast sämtliche Beatlesaufnahmen entstanden, sind die Abbey Road Studios, die wegen der nach wie vor hohen Auslastung bis heute nicht für den Publikumsverkehr freigegeben sind. Es konnte sich aber auch lohnen, einfach ein Weilchen vor der Tür zu verbringen. Denn es war tatsächlich ein mögliches Szenario, dass plötzlich Paul McCartney vor die Tür kam und fragte: „Hat eine der Damen Lust, bei einem unserer Stücke als Background mitzusingen?“ So wurde für die zwei Beatlefans Lizzie Bravo aus Brasilien und die einheimische Gayleen Pease nahezu ein Traum wahr, als sie 1968 durch diesen Umstand bei der Produktion von across the universe mitwirken durften. John fand das zuerst gar nicht lustig, denn er hatte erwartet, dass Paul professionelle Musiker besorgen würde, und er hegte den Verdacht, dass Paul seine Kompositionen manipulieren wollte. Lizzie und Gayleen machten sich aber nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut, was bei ihrer Nervosität, die sich bei jedem eingestellt hätte, der von den Beatles spontan zu einer Aufnahmesession geholt worden wäre, nur verständlich war, und John gab zwei Freundinnen von Lizzie später ein Autogramm auf ein Foto, das Lizzie von ihm gemacht hatte und dankte ihr herzlich für ein tolles Jahr. Warum er das so schrieb, ist unbekannt, aber gerade für Lizzie, die, nachdem es absehbar wurde, dass die Beatles sich auflösen würden, nach Brasilien zurückging, muss es sich tatsächlich um ein tolles Jahr gehandelt haben, weil es alles andere als selbstverständlich war, den Beatles für einen Tag lang so nahe zu kommen. Und so konnte es geschehen, dass ein einzigartiger Tag, der damit begonnen hatte, dass jemand über den Zebrastreifen auf der Abbey Road zu den Aufnahmestudios der Beatles gegangen war, einen einzelnen Menschen für ein ganzes Jahr beflügelt.
8. Strophe – Toronto
Musik wird sprichwörtlich dadurch erfolgreich, dass sie beim Zuhörer einen Nerv trifft, der im Resultat emotionale Gefühle wie zum Beispiel Spannung, Trauer oder Freude auslöst. Eines von Johns großen Talenten war, dass er insbesondere zusammen mit den Beatles, aber auch alleine, Musik schaffen konnte, die genau diese Anforderung für ein sehr breites Zuhörerspektrum erfüllte. Das ging sogar soweit, dass sämtliche musikalischen Experimente, die er zusammen mit Yoko durchführte, in Kauf genommen wurden, weil immer auch ein Stückchen John für das Publikum dabei abfiel. Ein gutes Beispiel dafür ist der erste Liveauftritt, den John ohne die Beatles absolvierte, und der der Welt das erste Livealbum eines Beatles überhaupt bescherte.
Im September 1969 fand im kanadischen Toronto eines der großen Rock-Festivals dieser Zeit statt. Mit einem eintägigem 12-stündigen Programm, bei dem neben Rocklegenden wie Chuck Berry, Little Richard und Jerry Lee Lewis auch Vertreter einer neuen Generation von Künstlern wie Alice Cooper und The Doors angekündigt waren, wird es gelegentlich als die kleine Schwester des Woodstock-Festivals angesehen. Leider verkauften sich die Karten bis wenige Tage vor dem Termin sehr schlecht, weshalb die Organisatoren auf die Idee kamen, bei Apple anzurufen und John und Yoko zu fragen, ob sie die Schirmherrschaft für das Festival übernehmen wollten. John sagte unter der Bedingung zu, dass er dann aber auch dort spielen wolle, was einer Sensation gleichkam, denn seit 1966 hatte kein Beatle mehr auf einer öffentlichen Bühne gestanden. Als die lokalen Radiosender darüber informiert wurden, hielten viele diese Meldung zunächst für einen Scherz und erst als die Organisatoren die Flugtickets mit den Namen der Mitglieder von Johns Plastic Ono Band öffentlich zugänglich machten, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Bis sich die Festivaltore vor dem Stadion der Universität von Toronto öffneten, waren alle 25 000 Karten innerhalb eines Nachmittags ausverkauft. John hatte kurzentschlossen Klaus Voormann, Eric Clapton und Alan White zusammengetrommelt und sie probten ein paar Stücke im Flugzeug auf dem Weg von London nach Toronto.
Das Festival ging in die Geschichte ein und es ranken und halten sich nach wie vor beharrlich kuriose Gerüchte darum. So soll zum Beispiel Alice Cooper einem auf die Bühne gescheuchten Huhn den Kopf abgebissen haben, bevor er es in das tobende Publikum zurück beförderte. Es ist kein Gerücht, dass zum ersten Mal vom gesamten Publikum Streichhölzer, Wunderkerzen und Feuerzeuge entzündet wurden, wodurch sich ein beeindruckendes Lichtermeer vom Abendhimmel über dem Stadion abgrenzte. Das passierte, um John auf der Bühne zu begrüßen. Die Setliste seines Auftritts war insofern interessant, als dass John zuerst einige alte Rock & Roll Titel spielte und dann zu seinen Eigenkompositionen überging. Die zweite Hälfte des Konzerts übernahm Yoko. Ihre Darbietung, die ebenfalls von John, Klaus, Eric und Alan begleitet wurde, stellte einen krassen verbaldissonanten Gegensatz zu dem dar, was für die Mehrheit der normalsterblichen Zuhörer der Definition von Rockmusik entspricht.
Die ersten Möglichkeiten, diese eigenwillige Kunstform Yokos zu erleben, wären die drei weitestgehend unbeachteten gemeinsamen Schallplatten von John und Yoko aus den Jahren 1968 und 1969 sowie der Musikfilm Rock & Roll Circus der Rolling Stones aus dem Jahre 1968 gewesen, der damals aber auf Geheiß von Mick Jagger der Öffentlichkeit vorenthalten wurde. Dadurch war es in Toronto das erste Mal, dass Yokos Expressionen einem breiten unvorbereiteten Publikum vorgetragen wurden. Sie traf damit nicht wirklich den Nerv der Zuhörer. Yokos Beiträge wurden sehr kontrovers gesehen, sie polarisierte und hatte hier und auch später immer mehr Kritiker als Befürworter auf ihrer Seite. Nach dem Torontokonzert waren die Aussagen der Zuschauer ebenso differenziert. Einige hatten die Botschaft anscheinend verstanden, viele andere waren verstört und unsicher, was diese Vorstellung hinsichtlich der konkreten Aussage wohl zu bedeuten gehabt haben könnte. John war wie immer einfach zu verstehen, wenn er zum Beispiel give peace a chance sang, aber Yokos künstlerische Ausdrucksform des Kreischens verursachte dahingegen hauptsächlich Unverständnis. Es ist daher um so beeindruckender, dass John auch mit