Nicht der Vermenschlichung Gottes wird hier das Wort gegeben, vielmehr der Vergottung des Menschen.
So heißt es in Eckharts „Reden der Unterweisung“ (noch sehr um den Sprachgebrauch der überkommenen Tradition trinitarischer Theologie bemüht) : „Fragt mich jemand, was Gott im Himmel tut, so würde ich antworten: Er gebiert seinen Sohn, er gebiert ihn dauernd neu und hat so große Lust zu diesem Werke, dass er nichts anderes tut als dieses Werk wirken mit dem Heiligen Geist und alle Dinge in ihm.“
Jeder Mensch soll werden, was er in Gott und aus Gott schon ist: Sohn Gottes/Tochter Gottes ineins Gott Selbst als das Wort, „das immer geboren ist und immer geboren wird“ (qui semper natus est et semper nascitur).
Es gibt demfolgend nur zwei Wahrheiten und Wirklichkeiten als im tiefsten eine je größere Wahrheit und Wirklichkeit: Gott und die Seele.
Die Einung, die in Gott immer schon ist, gelingt in Rückführung darin aber nur dem abgeschiedenen Menschen, der Seele, die ganz ausgegangen ist von allen irdischen Dingen; ihr wird möglich, alle Dinge zu tun, da ihr Leben Gottes Leben, Gott selbst ist – Gott – immerwährendes Gegenwärtigen. (Vgl. Eckharts „Reden der Unterweisung“).
So ist das, was zunächst wie größte Hybris aussieht im Wesen vielleicht doch tiefere Demut: Als Annahme von allem, was ist, als in und durch Gott Gottes.
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Nochmals soll hier versucht werden, der Großaufgabe der Überwindung von Metaphysik im Werk Eckharts auf die Spur zu gelangen, dem vielleicht Folgenreichsten seines Denkens.
In Eckharts Pariser Quaestionen gibt es eine, für seine Zeit bereits, eigentümliche These vom Vorrang des Intellekts vor dem Sein, derart, dass in Gott das Erkennen Grundlage des Seins sei und nicht, wie sonst in der Tradition zumeist, umgekehrt. „Drittens zeige ich, dass es jetzt nicht so erscheint, dass weil (Gott) sei, er deswegen erkenne, sondern weil er erkennt, deswegen ist er, so dass Gott Erkennen ist, und dass das Erkennen selber das Fundament seines Seins ist.“ (Lw V, 40, 4ff.) („Tertio ostendo quod non ita videtur mihi modo, ut quia sit, ideo intelligat, sed quia intelligit, ideo est, ita quod deus est intellectus et intelligere et est ipsum intelligere fundamentum ipsius esse.“)
Der Gedanke stößt sich hier vom Sein ab; Sein aber, das stets als Sein des Seienden gedacht wird, ist dem Faktischen, dem etwas stets unterworfen. Diese Vorfindlichkeit geht dem seienden Seinsvollzug voraus und gibt ihm den Spielraum seiner Möglichkeiten vor, so dass die Rede vom Sein der Faktizität des „ist“ immer schon unterworfen ist (das ganze Gefängnis der Metaphysik, die eben nicht zur meta – physik gelangt, taucht auf).
„Der Satz „Ich bin“ heißt also dieses doppelte in einem: Ich bin schon de facto da, und ich bin, indem ich mich mir voraus entwerfe und vollziehe und so durch mich lebe.“ (Bernhard Welte)
Unser Selbstvollzug ist immer schon an den vorgegeben Spielraum gebunden, der nicht überschritten werden kann. Es ist das Vor-liegende, das Vor-handene.
In der überkommenen Weise ist das Sein ein zum Seienden hinzukommendes oder dem Seienden zu-kommendes in der -der Sprache bewussten- Differenz von Sein und Seiendem.
Eckharts Bemühen des vorrangigen intelligere als Vollzug oder Geschehen versucht diesen Vollzug vom Sein des Seienden und von der Bestimmung des Bestimmbaren zu befreien.
Er denkt es als ein lichtes Geschehen, das überall mit sich identisch und eins ist – und das keiner Faktizität unterworfen ist, keinem anderen ist, keiner Bestimmung außer sich selbst, nicht negativ an anderes oder korrelierendes grenzend, ohne anderes außer sich, rein mit sich Eins.
Hier gelänge eine erste kompetente vorausliegende Antwort auf die Kantische Kritik aller Gottesbeweise, die eben darin bestand, dass in der gängigen Gott-Rede von Gott geredet und gedacht wird in den Kategorien des Seienden. (Ein Gott, den es gibt, den gibt es nicht!)
Kant hat es in der Kritik der reinen Vernunft, unter B 641, so pointiert, indem er den als seiend angesetzten Gott sich selber fragen lässt (wie übrigens kleine Kinder schon sehr früh auf Gott hin fragend bemerken): „Aber woher bin ich denn?“
Und Kant fährt fort: „Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit wie die kleinste schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft, der es nichts kostet, die eine wie die andere ohne die mindeste Hindernis verschwinden zu lassen.“
Nur der bestimmungs- und formlose reine und freie Geist, frei von allem Sein des Seienden, welchen Eckhart mit dem Begriff des vorrangigen Intelligere umschreibt, offen für alles in reiner Negation alles Bestimmten und Festgelegten, untergrübe die Kantische Kritik.
Eckhart stützt sich hier erstaunlicherweise durch ein Aristoteleswort: „Wie Aristoteles sagt: Der Gesichtssinn muss ohne Farbe sein, damit er alle Farbe sähe, und das Denkvermögen muss ohne alle natürlichen Formen sein, damit es alle denken könne, und so bestreite ich auch Gottes selber das Sein und ähnliches, damit er sein könne die Ursache alles Seins und alles voraus habe.“ (Lw V, 47, 15ff.)
Dieser Versuch der Überwindung von Metaphysik, als Weise vorstellenden Denkens, geschieht mit den Mitteln der Metaphysik. Es drängt Eckhart deshalb noch um eines darüber hinaus – im Durchbrechen durch alle Begriffe hindurch – in Gegenden, in denen nichts zu sehen ist, in Nichtes Nicht, in reine Negativität, Einöde, Wüste, reine und unermessliche Weite, Lichte-Sehende Finsternis....Nichts...
Hierzu noch einige Textzeugen – aus den Deutschen Predigten: Predigt 7: „Das Erkennen bricht durch die Wahrheit und Gutheit hindurch und wirft sich auf das reine Sein und erfasst Gott bloß, wie er ohne Namen ist.“(Dw I, 122, 6ff.)
Predigt 23: „Wenn er nun weder Güte noch Sein noch Wahrheit noch Eins ist, was ist er dann? Er ist gar nichts, er ist weder dies noch das.“ (Dw I, 402, 1ff.)
Und auf den Menschen der Abgeschiedenheit hin entsprechend in Predigt 6: „Die nichts gleich sind, die allein sind Gott gleich. Göttliches Wesen ist nicht gleich, in ihm gibt es weder Bild noch Form.“ (Dw I, 107, 5) Verlassen der Begriffe, Aufgabe des „Etwas-Denken“, der Mensch, ganz abgeschieden, nichts denkend, nichts wollend, nichts habend – reine Stille, Leere, Öffnung.
Aber erfahrend – denn nur ein Sehender kann die Finsternis sehen als das Nichts des Sehens!
Kostbar ist solche reine Gegenwart: „Darum bitten wir Gott, dass wir ‚Gottes‘ ledig werden.“
(s. „Beati pauperes...“)
„Dein Sein kann keine unsrer Sprachen fassen,
Das Wort, das es erschöpft, bleibt stets uns fremd;“60
60 Gertrud Kolmar, Gebet; zitiert nach Gertrud Kolmar, Weibliches Bildnis. Sämtliche Gedichte (=dtv 10779). München 1987, S. 590.
Lectio VI
Eckarts Erbe – Eckart in der Kritik
Nach der Verurteilung einzelner Sätze Eckharts durch die Bulle Johannes XXII. vom 27. März 1329 wird das Denken Eckharts gleichsam nach unten verdrängt (offiziell wird es über lange Zeiten totgeschwiegen). Gerade durch diesen Vorgang aber entwickelt sich die ungeheure Sprengkraft, die diese Schriften immanent besitzen, um so stärker aus.
Tauler, Seuse, Nikolaus von Kues, die Frauenklöster des Dominikanerordens, die Devotio moderna (mit der „Imitatio Christi“ des Thomas von Kempen als Höhepunkt), Jakob Böhme, Luther, Ignatius von Loyola, Franz von Sales, der Pietismus, mit seinem Einschlag auf Fichte, Schleiermacher, Hegel und Schelling, Schopenhauer – bis hin zu der kleinen Therese (Therese von Lisieux) mit ihrem „Alles ist Gnade“: Sie alle sind nachhaltig von Eckharts Schriften, vor allem von seinen Deutschen Predigten geprägt.
Es geschieht aber auch die fatale deutsch-national-faschistoide Adaption Eckharts durch Alfred Rosenberg, Hermann Schwarz u. a., die in Eckhart den Evangelisten eines deutschen, weltimmanenten Gottglaubens