Seine Gestalt bleibt dunkel. Er lebt von ca. 1260 bis ca. 1327/1328. Sein Grab ist unbekannt.
Seine Zeit, das 13./14. Jhdt. ist eine markante Krisenzeit. Weite Teile Westeuropas und Deutschlands sind in ständigem Bürgerkrieg. Daraus erwuchsen auch Neuaufbrüche (in den Niederlanden und Frankreich, die imposante Kultur der deutschen Städte).
Eckhart ist ein Stadtdenker – die Stadt, Ort der Massen, Ort der Gegensätze auf engstem Raum (Bischöfe, Hochadel, Patrizier, Klerus, Großbürger, Zünfte, Handwerker und eine Art Proletariat), die einander aufladen wie elektrische Speicher, im Kampf um Macht über den- und Einfluss auf den inneren wie äußeren Menschen! (Er lebt, denkt, schreibt, lehrt und predigt in Paris, Straßburg und Köln). Er ist auch und nicht zuletzt Seelsorger in den Städten, die Orte doppelter Entfremdung werden:
a) zwischen vorgegebenen Autoritäten aus Kirche und Reich! b) zwischen einer Vielzahl von Menschen und diesen vorgegebenen Autoritäten. Reich und Kirche, Kaiser und Papst sind ihrerseits zerrissen in einem mörderischen zweihundertjährigen Ringen. In der Kirche toben Grabenkämpfe. Zwei Päpste, die einander verdammen, der eine in Avignon, der andere in Rom.
Politischer Widerstand organisiert sich, gerade in den rheinischen Städten (Mainz und Köln) gegen die päpstliche Steuerpolitik.
Im Desaster dieser Zustände suchen viele Menschen Zuflucht aus ihrer spirituellen Heimatlosigkeit in einem „inneren Reich“, um wenigstens dort ein eigenes und eigenständiges religiöses Leben führen zu können. Viele religiöse, spirituelle Neubewegungen, nonkonformistische oft, wuchern, in Ablehnung der Heilsmittlerschaft durch die Sakramentwaltung der Kirche. Manche dieser Bewegungen und Gruppierungen (Katharer, Waldenser, Brüder des Heiligen Geistes der Freiheit, Lollarden, Beghinen, Begarden etc.), werden verketzert; das deutsche Wort Ketzer ist von „Katharer“ = die „Reinen“ abgeleitet. Hier wie dort, bei Selbsterweckten wie bei Vertretern der überkommenen Institutionen werden die Suche nach Gott und die Rede von ihm oft zum Vorwand, eigene Interessen zu wahren.
Gottfried von Straßburgs Epos „Tristan und Isolde“ verkündet als Ausweg aus der äußeren Zerfallenheit dem Bürger ein „inneres Reich der Liebe“. („ Wen nie die Liebe leiden ließ/ dem schenkte Liebe niemals Glück.“ – heißt es in seinem Tristan).
Die Bettelorden (die frühen Dominikaner und Franziskaner) werden zu Zentren der geistigen und geistlichen Aufbruchs- und Reformeliten. (Thomas von Aquin und Meister Eckhart etwa sind Dominikanermönche).
Eckhart ist als Seelsorger auch in die groß aufbrechende deutsche monastische Frauenbewegung (in Köln allein als Prediger vor Dominikanerinnen, Zisterzienserinnen, Benediktinerinnen) hineingestellt.
Es entsteht gleichsam ein neues Paar als Topos für Jahrhunderte; der neue Mönch und die erweckte Frau in inniger Kommunikation und gegenseitig beseelendem Kontakt.
Wo soll in alledem die Grenze sein zwischen Eigenstem und gemeinsam Verfassten, zwischen äußerer Kirche, der „Mauerkirche“, und persönlichstem Erfahrungsraum, zwischen Tradiertem und dem neuen Wissen und Denken, das vielfach dieses Tradierte sprengt?
Eckhart wagt „bewusst den Gang am Abgrund“ (Otto Karrer).
Seine wichtigsten Lebensdaten: um 1260, im Thüringischen vermutlich, geboren; 1277 Studium in Paris (die artes), 1280 Studium in Köln; als Dominikaner „Meister“ benannt durch seine Professur in Paris (Meister ist die deutsche Form von „Magister“); Lehrtätigkeit in Paris 1302/3 und 1311/13; über Jahre Provinzial der Dominikaner für Nord-und Mitteldeutschland; enorme Reisetätigkeit – zu Fuß durch halb Europa!; seit 1314 wirkt er in Straßburg, seit 1322/23 Lehrstuhl am Studium generale der Dominikaner in Köln.
Hier wird ab 1326 durch Erzbischof Heinrich von Virneburg ein Inquisitionsprozess gegen ihn eröffnet, der am päpstlichen Hof in Avignon fortgesetzt wird. 1327 ist Meister Eckhart in Avignon, wo er sich selbst vor dem Papst verteidigen will. Ende 1327 oder Anfang 1328 stirbt er. Nach seinem Tod werden am 27. März 1329, in der Verurteilungsbulle ‚In agro dominico“ („Auf dem Acker des Herrn“) 17 seiner Sätze als häretisch und 11 Sätze als häresieverdächtig erklärt.
Sein Werk umfasst Deutsche Predigten und Lateinische Traktate, vor allem die Paiser Quaestionen; ein riesiges dreiteiliges Werk: Philosophische Thesen, philosophisch-theologische Probleme, Bibelkommentare und Predigten.
Nur ein Teil des Werkes ist erhalten.
Das Grundproblem in der Auseinandersetzung mit seinem Werk ist stets die Spannung zwischen der ungeheuren Kühnheit seines Denkens und dem gleichzeitigen Eingebundensein in die christliche Tradition.
Erste Inhalte
Eckhart ist Platoniker, stark und nachhaltig beeinflusst von Plotin, dem letzten großen antiken Denker. Es gibt Denker, wie etwa Ernst Bloch, die Eckhart gegenüber Plotin jedwede Originalität absprechen. „Plotin und der Neuplatonismus sind so der Ursprung, ja Inhalt aller späteren christlichen Mystik; weder Dionysios Areopagita noch Meister Eckhart haben Neues zugefügt.“ (Ernst Bloch, Atheismus im Christentum, S. 93). Von Plotin her denkend und korrespondierend mit der Zentralerfahrung im eigensten Selbst, gelangt er zu zentralen Einsichten, die in ihrer höchsten Einfachheit ungeheuer komplex und schwer wiegen. Bei Plotin hieß dies „haplosis“ – die höchste Vereinfachung der vernunfthaften Seele, wenn sie sich auf ihren mit dem Ureinen wesensgleichen Grund zurückzieht. Im Grunde also die Identität des Seins mit Gott, die in dem kurzen Satz gipfelt: „Das Sein ist Gott“ („esse est deus“). Einheit, Einssein der Seele mit dem Weltgrund. Daraus aber, mit der Folge des Überspringens von Sakramentskirche und Entbunden jeglicher Obrigkeit als Mittler und Garanten von zweierlei Welten, von Oben und Unten: Aufhebung der Entfremdung von Gott und Welt und Ich und Selbst und Du als Überwindung von Selbstentfremdung – in gelassener Indifferenz (vgl. Ignatius v. Loyola; Geistliche Übungen) als Abgeschiedenheit zu allem Seienden, zu allen Seienden, zu mir selbst in meiner Bedürftigkeit, Freude, Hoffnung und Not, Trauer und Angst in Leib, Zeit und Geschichte, gleichsam als ein Daheim-Sein in der Unbehausstheit der Wüste.
Und dennoch kein Pantheismus!
Denn Gott bleibt Gott und löst sich nicht auf in Welt. „Gott ist ein Sein – es ist nicht wahr: er ist (vielmehr) ein überseiendes Sein und eine überseiende Nichtheit!“53
53 Vgl. Dw 3, 441, 1ff.
Spüren Sie die Sprengkraft?
Gott ist Nichts und Alles in Allem. Das Geschaffene ist als Geschaffenes ohne Gott Nichts und in Gott Alles in Allem – je jetzt und jetzt!
Das Geschöpf besitzt keinerlei Sein außer dem göttlichen Sein. Im göttlichen Sein aber ist das Geschöpf, als voll und ganz von Gott, durch Gott, in Gott, gottvoll Gottes selbst. Außerhalb Gottes ist dagegen alles nichts.
So übersetzt Meister Eckhart die berühmte Passage aus dem Johannesprolog (Joh 1, 3: „Omnia per ipsum facta sunt: et sine ipso factum est nihil“) in seinem Kommentar zum Johannesevangelium wie folgt: „Das Wort: alles ist durch ihn (den Logos/ das göttliche Wort) geworden bezieht sich auf die Erschaffung aller Dinge; und ohne ihn ist das Gewordene nichts auf die Erhaltung der geschaffenen Dinge im Sein.“ (Lat. Werke III)
Eine doppelte Seinslehre wird ansichtig: Reines Sein der Geschöpfe ist Gott – jedoch nur in der Weise der „Analogie“ (der Einheit der Entsprechung Wesensverschiedener darin, worin sie Wesens verschieden sind). Nur das Sein Gottes ist im strengen Sinne Gott. Wir Geschöpfe haben aus und in uns selbst soviel Sein/Göttliches wie ein Stein aus sich selbst: gar keines.
Aber sofern wir Geschöpfe als von Gott gegebene sind, ist dieses absolute und reine Sein/Göttliche ganz und ungeteilt in uns, unendlich mehr, als es außer uns je wäre.
So weist Eckhart auf Nikolaus von Kues voraus, der das „Gott ist der ganz Andere“ als Spitze Negativer Theologie, aus der Annahme und Bejahung völliger geistiger Armut und Fremde, die ebenso ganz verkostet