49 Arendt/Scotus S. 366.
Das ist der größtmögliche (zweckfreie) Unterschied zum Haben und Besitzen und Beherrschen. Nicht: „Ich möchte dich haben“ oder „Ich möchte dich beherrschen“, sondern das Wesen der Liebe und des Liebens ist Freien. Dies kann der Mensch in seiner höchsten Würde von Gott her und auf Gott hin mit Gott zugleich (zu gleicher Liebe fähig) wollen, sagen, tun, mit dieser Form, welche Gott als Liebe ist, „mit der Gott offenbar die Menschen liebt, die er nur schuf, weil er wollte, daß sie existieren, und die er liebt, ohne sie zu begehren.“50
50 Arendt/Scotus S. 367.
Gebetete Theologie und Spiritualität
Papst Benedikt XVI. hat in einem Schreiben zum 700. Todestag des Duns Scotus dessen Frömmigkeit und Forschergeist zugleich hervorgehoben. Er zieht eine Linie von Scotus zu seiner ersten Enzyklika „Deus Caritas est“, indem er schreibt: „Da Wir von Beginn unserer Amtsführung an vor allem die Liebe gepredigt haben, die Gott selbst ist, nehmen Wir mit Freude wahr, dass die Lehre des Seligen dieser Wahrheit einen einzigartigen Platz einräumt, einer Wahrheit, von der Wir meinen, dass sie in unserer Zeit in höchstem Maße zu erforschen und zu lehren ist.“
Scotus sieht die Theologie eher als eine praktische Wissenschaft, weil deren Ziel die höchste Form des Handelns ist, als gelebte Liebe zu Gott, dem unendlich Guten.
Er denkt eine Art „Hierarchia Caritatis“, eine Theologie der liebenden Zärtlichkeit – und denkt dies doch sehr nüchtern und präzise durch, wie solches zu begründen ist – scharf-sinnig-sinnlich!
Sehr franziskanisch vom Gott der Liebe und des Liebens hingerissen, welcher in seiner Menschwerdung in Jesus, dem Christus, diese ins maßgebliche Ziel heilsgeschichtlichen Wirkens führt, erstvollendet im neuen Menschen Maria, der „unbefleckten Empfängnis“, d.h. in einem Menschen, einer Frau, die das wieder gefundene Paradies real ist, der endgültige Anfang der neuen Menschheit, kein Automatismus, vielmehr in voller Willens-Freiheit von ihr bejaht im „mir geschehe nach Gottes Wort ( bei dem nichts unmöglich ist), wie Du, Engel, es mir gesagt hast“ (vgl. Lk 1, 26 ff.).
Von daher, im Glauben an das vollendete Geschöpf, Maria, (denn Jesus ist im christlichen Dogma in Gott gezeugte, ungeschaffene, Wirklichkeit „gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“) ist auch deren leibliche Aufnahme in den Himmel („Mariä Himmelfahrt“) für Scotus alles andere als ein Mythos, vielmehr weit tiefer als alles griechische Denken, denn in Maria kommen wir Menschen (potentiell) real, mit Leib und Seele, durch Christus ins Ziel. Hannah Arendt fasst dies von Duns Scotus her schön zusammen: „Und in dieser Hinsicht ist das Dogma von der Auferstehung sehr viel sinnvoller als die philosophische Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele: ein Wesen mit Leib und Seele kann einen Sinn nur in einem Weiterleben finden, in dem es vom Tode so aufersteht, wie es sich jetzt kennt. Die philosophischen ‚Beweise’ der Unsterblichkeit der Seele wären, selbst wenn sie logisch richtig wären, irrelevant. Damit das Weiterleben für den ‚viator’, den Wanderer oder Pilger auf Erden, sinnvoll ist, muß es ein ‚zweites Leben’ sein, nicht eine völlig andere Seinsweise in Form einer körperlosen Entität.“51
51 Arendt/Scotus S. 359.
Diesem entspricht auch die philosophische Einsicht, dass geistige Tätigkeiten nie von der Sinnenwelt völlig lösbar sind.
Antizipiert ist es im Liebesakt Gottes in Welt durch Menschwerdung, Leben, Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu Christi mittels des freien „Ja“ der Gottesmutter und „Immaculata“ („unbefleckten Empfängnis“) und unbedingt freien Maria. Es hätte von Gott her nicht sein müssen, überhaupt nichts hätte sein müssen von Gott her, denn der Wille ist absolut indifferent. Aber in dem Gott in der völligen Autonomie des Willens, aus dem Nichts das Sein geschaffen hat („creatio ex nihilo“), unhintergehbar, so, wie wir nicht fähig sind, uns Nichts vorzustellen, trotzdem wir das Wort konsistent im Denken bilden können, hat Gott sich den Bedingungen des Seins in Liebe eingegeben.
Gott ist darin unbedingte „Diesheit“ („Haecceitas“), die den anderen (uns Menschen, uns geschaffene Welt in aller Welt) völlig bejaht. Diese unbedingte Bejahung nennt Duns Scotus „Liebe“: „Amo: volo ut sis“.
Glückselig ist von da her der Akt, der dem Wollen und dem Gegenüber des Wollens in Berührung vollendet entspricht in dauernder Befriedigung – einander bedürftig-befriedigend-ewig im Bleiben!
Das bezieht sich bei Scotus auf das Wort des Heiligen Paulus: „Die Liebe höret nimmer auf“, auch dann nicht, „wenn kommen wird das Vollkommene“ und „das Stückwerk aufhören“ wird (vgl. 1 Korinther 13, 8-13).
Duns Scotus deutet dies da hin, dass Unvergänglichkeit im Lieben der Liebe nicht in der Reinigung von Bedürftigkeit besteht, vielmehr „daß in ihr das Vermögen des Wollens selbst in reine Tätigkeit verwandelt ist.“52
52 Arendt/Scotus S. 375.
Dieses aber ist der „verherrlichte Körper“, denn nur in ihm sind Wollen, Geist, Akt und leib-materielle Wirklichkeit ewig Eins!
Das ist der wundervolle Gedanke des Franziskaners Duns Scotus, selig gesprochen und als Heiliger der Kirche verehrt, es könne eine Tätigkeit geben mit Ziel in sich selbst – und solches ist Lieben!
Von diesem Liebesereignis, von dieser Gegenwart Gottes, kann Scotus, der Philosoph und Theologe, deshalb auch nicht in unpersönlichen Formen des Denkens sprechen und schreiben. Gott ist kein primärer Denkgegenstand, auch nicht unpersönliches ‚unverursachtes sein’, vielmehr spricht Duns Scotus Gott in seinem philosophischen Meisterwerk als D U an und verleiht diesem im Ganzen die Form eines Gebetes (vgl. Duns Scotus, Abhandlung über das Erste
Prinzip):
„Du bist der erste Wirkende, du das letzte Ziel, du der Höchste an Vollkommenheit, der alles übersteigt. Du bist ganz ohne Ursache, darum unerzeugbar und unvernichtbar, du kannst unmöglich nicht sein, da notwendig aus dir alles kommt. Darum bist du ewig, ohne Ende, alles zugleich und ohne Aufeinanderfolge besitzend. (…)
Gott, du bist einer der Natur, einer der Zahl nach. Mit Recht hast du gesagt, daß außer dir kein Gott ist. Denn mag es viele Götter dem Namen und der Meinung nach geben, so gibt es doch nur einen der Zahl nach, den wahren Gott, aus dem, in dem und durch den alles ist. Du bist gepriesen in alle Ewigkeit. Amen.“
Literatur
Johannes Duns Scotus, Abhandlung über das erste Prinzip (hg. u. übers. v. W. Kluxen), Darmstadt 1974; Hannah Arendt, Vom Leben des Geistes (= Sp 2555), München 3/2006; darin vor allem S. 356-376. Bernhard Raspels, Seliger der Weltkirche, ‚Heiliger’ in Köln. Zum 700. Todestag des seligen Johannes Duns Scotus : Kirchenzeitung Köln 46/2008/ S. 4 und S. 52, mit Hinweis auf die Ausstellung zur Wirkungsgeschichte des Duns Scotus in der Erzbischöflichen Diözesanbibliothek in Köln (bis April 2009). Ludger Honnefelder, Johannes Duns Scotus – bedeutender Theologe und Philosoph (http://www.orden-online.de/news/2008/11/03/johannes-duns-scotus).
Meister Eckhart
Gott-Los / Gott-Voll
Meister Eckhart lesend ins tägliche Leben nehmen
„Hier umbe bite ich got, daz er mich quit mache gotes.“
(Meister Eckhart, Predigt 52)
Lectio I
Eckhart von Hochheim · Meister Eckhart in seiner Zeit
Meister Eckhart gilt in seinen Schriften als Mystiker. Mystik kommt vom Wort „myein“ (die Augen schließen).
Diese Absicht gilt Eckhart aber nur, um, gleich dem blinden Seher, umso heller zu schauen und zu denken.
Eckhart