Mit gezielten Schlägen schlug Marcel den Angreifer K.O. Unter Schock stehend saß Aluanda auf ihrem Stuhl, den Blick auf Ezechia gerichtet. Marcel wandte sich nun der Zofe zu. Der Dolch steckte tief in der Schulter der Elfe und blaues Blut befleckte das weiße Gewand, das sie trug. Vorsichtig zog er den Dolch heraus, riss ein Stück vom Ärmel seiner Tunika und versuchte die Blutung zu stillen.
„Bleib bei mir“, flüsterte er. „Nicht einschlafen.“
Schwach blinzelten die Augen Ezechias. Er musste irgendwie den Druckverband fixieren, dachte Marcel bei sich. Kurz löste er den Druck vom Stoff, den er auf die Wunde drückte und riss einen langen Streifen der Tunika ab. Dann drückte er wieder auf die Wunde und band mit der anderen Hand den Streifen herum und fixierte diesen mit einem Knoten.
„Eure Majestät“, rief er. „Wer kennt sich bei Hofe mit Medizin aus?“
Aluanda erwachte aus ihrer geschockten Trance. „Der Magier. Octurian“, antwortete sie. „Aber der ist ohnmächtig.“
„Versucht ihn aufzuwecken“, sagte er.
„Wie denn?“
„Schlagt ihm auf die Wangen. Schüttelt ihn sanft. Versucht irgendwie eine Regung in seinen Körper zu bekommen.“
Die Königin erhob sich und kniete sich an Octurians Seite. Motiviert versuchte sie die Ratschläge von Marcel umzusetzen.
„Was mache ich, wenn unser Angreifer wieder zu sich kommt?“, fragte sie.
„Daran will ich gar nicht erst denken“, antwortete Marcel, der hoffte dass der Höfling Hilfe geholt hatte.
„Er kommt zu sich“, schrie Aluanda und tatsächlich: Langsam schlug der alte Magier die Augen auf. „Eure Majestät, woher wusstet Ihr, wie man eine Ohnmacht löst?“
„Der Auserwählte war mir behilflich. Er hat den Angreifer niedergerungen und kämpft um das Leben von Ezechia. Sie wurde von dem Dolch, der mich bedrohte schwer getroffen. Helft ihm!“, flehte sie weinerlich. „Bitte.“
Octurian gab sich Mühe auf die Beine zu kommen und stolperte zu Marcel. Er beobachtete die verletzte Elfe und prüfte den Druckverband. „Tragt sie nach nebenan, schnell!“, befahl er.
Behutsam nahm Marcel die Zofe der Königin und hielt sie mit beiden Armen. Octurian nahm das Schwert und nickte ihm aufmunternd zu. „Los jetzt.“
„Aber was ist, wenn der Angreifer wieder zu sich kommt?“, fragte er. „Ich weiß wer er ist. Er hat gestern das Gelände verlassen und …“
Octurian unterbrach ihn. „Das ist jetzt irrelevant. Ich weiß es im Übrigen auch. Und seht.“ Der weise Magier wandte sich um: „Da kommt Lord Harbor mit ein paar Soldaten seiner Garde bis auf die Zähne bewaffnet. Da wird er kaum den Aufstand proben. Und jetzt retten wir das Leben Eurer Freundin.“
Marcel wollte etwas erwidern, doch er konnte nicht. Er folgte dem alten Magier durch die Hintertür und legte die Elfe auf ein Bett. Octurian öffnete vorsichtig den Knoten des Verbands und schaute sich die Wunde an.
„Da hat unser Unwyn gute Arbeit geleistet. Etwas tiefer und er hätte das Herz unserer lieben Ezechia getroffen. Du hast gut und richtig gehandelt, junger Mann", meinte Octurian zu Marcel. Der alte Magier griff in einen ledernen Beutel an seinem Gürtel und fingerte eine Phiole heraus. Vorsichtig öffnete er den Deckel und träufelte ein wenig von einer blauen Flüssigkeit auf die Wunde. „Pass genau auf“, lächelte er sanft.
Die Blutung stoppte und ein Heilungsprozess der Haut trat in Gang. Die Augen der jungen Elfe waren noch immer geschlossen.
„Was ist das?“, wollte Marcel wissen.
„Eine Medizin, hergestellt aus dem Saft der Moosbeere, den Blüten der Eisblumen, die oben im Sarangebirge wachsen, sowie ein paar geheimen Kräutern“, antwortete Octurian leise. „Sie wird jetzt schlafen und heute Abend sollte es ihr besser gehen.“
„Aber …“, wandte Marcel ein, doch es schien als ob der Magier die weiteren Worte kannte.
„Du kommst mit in den Thronsaal und berichtest, was passiert ist. Danach darfst du zu ihr. Lass sie noch ein wenig ruhen.“
Widerwillig nickte Marcel und folgte dem alten Magier. „Eine Frage hätte ich allerdings noch, Octurian.“
„Stell sie mir.“
„Warum legt Ihr die höfische Förmlichkeit mir gegenüber ab?“
Der Elfenzauberer lächelte erneut. „Du hast ein reines Herz und eine gute Entscheidung gefällt. Auch wenn deine Herkunft eine andere, wie die Unsere ist, so gehörst du nun zu uns.“
Mit dieser mysteriösen Antwort gab Marcel sich zufrieden. Sie betraten den Thronsaal. Königin Aluanda saß auf ihrem Thron. Die Schrecken des dramatischen Angriffs steckten ihr noch immer in den Gliedern. Am Tisch, hatte Lord Harbor Platz genommen und hatte Unwyn gefesselt unter seiner Kontrolle. Magier Octurian nahm auf dem Thron neben der Königin Platz. Sie lächelte und das verlieh ihrer Aura ein wenig Farbe. Dann wandte sie den Blick zum Helden des Tages.
„Wir sind Euch zu Dank verpflichtet, Marcel. Ihr habt wahrhaftig Mut und Herz bewiesen und dazu beigetragen, dass es nicht zu einem größeren Blutvergießen gekommen ist. Ich trauere um meine beiden Pagen Illyrio und Leglas, die Opfer eines feigen Attentäters wurden. Doch verspreche ich, dass der Tod der beiden nicht umsonst gewesen ist!“
Eine Mischung aus Zorn und Trauer lag in ihrem Gesicht. Marcel erkannte, dass eine Träne die rechte Wange entlang floss.
„Ihr habt eine Nacht Bedenkzeit von mir verlangt“, fuhr sie fort, die Stimme etwas kräftiger. „Wie habt Ihr Euch entschieden?“
„Euer Majestät“, antwortete Marcel. „Zunächst einmal bin ich genauso erschüttert und traurig über den Verlust der beiden Pagen und fühle mich von Eurem Dank geehrt. Ich habe meine Entscheidung getroffen und werde das Schwert von Konik führen, um die Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals erfüllen.“
Leichter Applaus brandete unter den Anwesenden auf und die Königin nickte stolz. „Wir sind überglücklich von Eurem Entschluss zu hören. Ihr habt ein wahrhaft großes Herz. Es gibt nur noch etwas, worum ich Euch bitten möchte.“
„Worum geht es Eure Hoheit?“
Verächtlich blickte sie in Richtung Unwyn. „Wir werden noch heute Gericht über diesen Dreck in unseren Fingernägeln halten. Wenn er zum Tode verurteilt wird, habt Ihr die Pflicht als Sieger des Duells das Urteil zu vollstrecken!“
Marcel schluckte. Irgendwie hatte er sich den Beginn im Hofstaat von Königin Aluanda ganz anders vorgestellt. Den Gedanken verdrängend nickte er. „Ich bin bereit.“
Octurian stand vorsichtig auf, ging auf Marcel zu und reichte ihm das Schwert. „Einen Waffengürtel mit passender Schwertscheide bekommst du von Lord Harbor. Es war übrigens seine Idee dich mit dem Schwert zu überzeugen.“
Von seinem Platz aus nickte Lord Harbor mit freundlicherer Miene.
„So sei es gesprochen“, verkündete die Königin. „Wir treffen uns umgehend im Gerichtssaal.“
Octurian und Aluanda gingen durch die Hintertür aus dem Thronsaal, während Marcel zu Lord Harbor ging. Er führte den Gefangenen vor sich her. „Ich bin stolz auf Euch“, sagte er unvermittelt. „Ihr seid im Herzen wahrhaft anders, als Ihr von außen wirkt.“
„Wie meint Ihr das?“
„Nun ja. Als ich Euch das erste Mal gesehen habe, dachte ich, dass Ihr schneller den Weg nach Hause antretet als dass ich meinen Krug Bier leere, doch Ihr seid nicht nur geblieben, sondern habt wahren Heldenmut bewiesen. Ich wäre zu spät gekommen und dieser Schuft hätte unser Königreich in den Untergang geschickt.“
„Ich