„Euer Gnaden“, sagte er. „Soeben kam ein Reiter aus Alplanden mit wichtigen Neuigkeiten, bezüglich der Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals. Und dass seine Botschaft ausschließlich für Euch bestimmt sei, Euer Grausamkeit.“
Schwerfällig erhob sich Zorshrek und warf sich einen Umhang über, der aus Knochen und Tierfellen bestand. „Schickt den Reiter in die große Halle, Bordrak und dann werde ich entscheiden, ob die Nachricht seine Freiheit wert ist oder ob ich ihn verspeise.“
„Wie Ihr wünscht, Euer Grausigkeit.“ Bordrak verbeugte sich und verließ den Eingang zur Höhle. Zorshrek ging zu einem steinernen Tisch, wo eine aus Tierknochen gemachte Krone lag. Er lächelte kalt. „Schon bald werde ich dich gegen die Kronjuwelen und Edelsteine der Königin der Alplande eintauschen“, flüsterte er grinsend.
Siegesgewiss betrat der Ork die große Halle. Dort saß eine Gestalt, in schwarz gekleidet und die Kapuze des Umhangs tief ins Gesicht gezogen. Zorshrek setzte sich auf den steinernen Thron gegenüber, blickte dem Wesen unter die Kapuze. Er erkannte ihn. „Ich grüße dich, mein kriecherischer Spion Unwyn. Was führt dich aus dem Schutz der Alplande zu mir?“
„Woher wisst Ihr, dass ich es bin?“, fragte Unwyn erstaunt.
„Weil keiner meiner anderen Spione um diese späte Stunde bei mir reinschneit. Und weil ich unter deiner Kapuze dein vernarbtes Gesicht erkannt habe“, entgegnete Zorshrek. „Nun denn, mein schleimiger Verräterverbündeter, was führt Euch zu mir?“
„Die Prophezeiung ist eingetreten, Euer Gnaden.“
„WAS?“ Die Augen des Orks leuchteten rot im Dunklen der Höhle auf. „Und dafür spannst du mich so auf die Folter?“
„Ich bitte um Vergebung, Euer Gnaden“, antwortete Unwyn unterwürfig. „Heute Nachmittag ist ein Mensch aus anderer Zeit in unsere Welt gestürzt und unserer Königin vorgestellt worden.“
„NENNT SIE NICHT KÖNIGIN, DU VERRÄTERISCHES SCHEUSAL! ICH WILL FAKTEN!“
„Sehr wohl, Eure Grausamkeit. Er wurde der Usurpatorin vorgestellt und vor die Wahl gestellt, die Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals zu erfüllen oder in seine Zeit zurückzukehren.“
Zorshrek funkelte seinen Spion zornig an. „Und wie hat er entschieden?“
Verlegen blickte Unwyn zu Boden. „Er hat sich eine Nacht Bedenkzeit erbeten, Euer Gnaden.“
„UND MIT DIESEM MIESEN WISSEN WAGT IHR ES MIR UNTER DIE AUGEN ZU TRETEN? MICH ZU AUS DER ENTWICKLUNG NEUER STRATEGIEN ZU EROBERUNG VON ALPLANDEN ZU HOLEN!“ Zorshrek war fuchsteufelswild. Noch nicht einmal er bemerkte es, wie er sich von seinem Thron erhoben hatte. „BEI DEN GNOMEN VON ASTRAPOR, WARUM SEID IHR NICHT ERST NACH SEINER ENTSCHEIDUNG GEKOMMEN?“
„Ich …, ich… wollte Eure Gn… aden nicht … zu lange … warten lassen“, entgegnete Unwyn.
Zorshrek war zornig. Er stürmte auf Unwyn zu, packte ihn mit spielerischer Leichtigkeit am Kragen und schüttelte ihn kräftig durch. Dann ließ er ihn unsanft auf seinen Platz zurücksinken und setzte sich selbst auf seinen Thron. „Du widerst mich einfach nur an, Unwyn. Als du nach der Schlacht am Wieselsquell zu mir gekrochen kamst, wollte ich dich töten. Hätte ich meine Klauen nur tiefer in deine Visage reingeschlagen, dann bräuchte ich mich nicht über deine Inkompetenz zu ärgern.“
„Aber Eure Grausigkeit. Ich kann doch wieder zurückreiten und erfahren, wie sich der Auserwählte entschieden hat. Wenn er sich gegen sein Schicksal wendet, habt Ihr leichtes Spiel.“
„Versuchst du mich zu beruhigen, Unwyn?“, fragte Zorshrek mit einer Singsang Stimme.
Unwyn nickte kaum merklich.
„Du widerlicher kleiner Wurm! Ich brauche keine Beruhigung von jemandem, der die Loyalität zu seinem Volk untergräbt, um der wahren Macht zu dienen. Reite zurück auf die Burg Karamurg und hefte dich an die Fersen des „Auserwählten“. Und ich wünsche erst wieder deine vernarbte Visage zu sehen, wenn uns ein Angriff kurz bevorstehen sollte, hast du das verstanden?“
„Ja, Euer Grausamkeit.“
Mit einer gelangweilten Geste gab Zorshrek Unwyn zu verstehen, dass die Unterhaltung beendet war. Der dunkelgekleidete Elf stand auf und wandte sich zum Gehen um. Der Fürst der Orks und Trolle blickte dem Elfen grimmig hinterher. Bordrak, der aus sicherer Entfernung das Gespräch verfolgte trat in den dunklen Saal der Berghöhle.
„Was willst du denn jetzt hier?“, fragte Zorshrek zornig.
„Ich kam nicht umher Euer Gespräch zu belauschen, Euer Grausamkeit. Unwyn ist unsere wertvollste Figur in diesem Spiel, Euer Gnaden. Wir wissen, dass die Alpländer wahrscheinlich ihre wichtigste Waffe haben. Das ist gut. Nun bereiten wir uns langsam vor, um falls der Auserwählte sein Schicksal antritt, gewappnet zu sein. Sollte er es nicht tun, wird unser Sieg in der Schlacht noch einfacher ausfallen.“
„Du meinst, ich soll Unwyn einfach seine Aufgabe erledigen lassen ohne großen Druck?“, fragte Zorshrek argwöhnisch.
„So ist es, Euer Gnaden. Ihr seid ehrfurchtsvoll genug, ohne Drohgebärden. Spart Euch die Energie lieber für den großen Kampf. Ihr wollt Euch doch für die Schmach an Harbor rächen?“
Fürst Zorshrek dachte nach. Er erinnerte sich an die Schlacht am Brauntor nach dem Attentat auf Königin Aluandas Eltern. Lord Harbors Streitkräfte schnitten Zorshrek den Weg zu seiner Armee und zum Grenzübergang ab. Der Führer der Orks und Trolle saß in der Falle. In seiner schwarzen Rüstung mit dem Banner des goldenen Drachen ritt Harbor auf ihn zu, richtete sein Schwert auf ihn und stach mehrere Male auf ihn ein. Bevor Harbor ihm den Todesstoß versetzen konnte, griff ein Verbündeter von Zorshrek, Grindelmort Voldewald ein. Mit seinen Streitkräften, die auf Luftschlangen reitend Pfeile auf die Truppen von Lord Harbor feuerten, lenkte er die Elfen ab und rettete Zorshrek das Leben. Der schwer verwundete Ork wurde von seinen Streitkräften über die Mentfruberge gebracht und versorgt. Der dunklen Magie und den Kenntnissen der Heilkunst des Magiers Voldewald war es zu verdanken, dass er überlebte. Noch geschwächt von der Schlacht am Brauntor, führte er seine Armee in die Schlacht von Wieselsquell wo diese abermals eine bittere Niederlage schlucken mussten. Er erinnerte sich an diesen Tag zurück. Seinen Soldaten war es gelungen den Elf Unwyn in einen Hinterhalt zu locken und schwer zu verwunden. Durch schwarze Magie gaukelte man Unwyn vor, dass die eigenen Soldaten ihn verletzt hatten und man bat ihm an, für Fürst Zorshrek am Hofe von Königin Aluanda zu spionieren. Der in seiner Ehre und seinem Stolz verletzte Unwyn willigte ein. Er teilte Zorshrek sämtliche Angriffspläne und Truppenbewegungen der Alpländer mit und so konnte Zorshrek selbst taktisch geschickt agieren. Die Gefahr der Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals, die jeder auch jenseits der Mentfruberge kannte bestand darin, dass der Auserwählte das Bündnis der Drachen auf dem Sarangebirge weckt und damit ein schier unbesiegbares Hindernis für Zorshreks Soldaten beschwört.
„Du hast Recht, Bordrak. In der Tat war ich ein bisschen hart zu diesem kleinen Kriecher. Wir müssen an den Auserwählten herankommen, ehe er das Bündnis der goldenen Drachen erweckt und wir gänzlich ohne Chance sind. Er muss sterben. Genauso wie Königin Aluanda und diesen Fatzke von Harbor werde ich schön langsam und quälend ausbluten lassen!“ Zorshrek blickte triumphierend seinen Berater an und lachte schallend auf. „Ich werde schon bald über dieses Land herrschen.“
Südwestlich der Grenze zu den Mentfruberge befand sich eine einfache Kate, an deren östlicher Seite ein Stall gebaut war. Eine alte Frau mit grauen Haaren, die von grünen Strähnen durchzogen waren blickte in die Nacht. Es war die weißmagische Hexe Elea Grünkralle. Einst hatte sie unter Aluandas Eltern am Hof als Magierin und Heilerin gewirkt. Sie konnte gut in die Zukunft blicken und war eine Musterschülerin vom großen Octurian, doch als Fürst Zorshrek das Attentat auf die Königsfamilie Ottward und Kalea verübten, war sie zutiefst betrübt die Gefahr nicht erkannt zu haben. In einer Nacht- und Nebelaktion packte sie ihre Sachen