Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch. Kristina C. Stauber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kristina C. Stauber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847680826
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* *

      Connor legte ihm den Arm um die Schulter.

      „Bradford!“ Er schwankte leicht vor und zurück und streckte mahnend den Zeigefinger aus.

      „Bradford, jezzz kommen die Mädchen. Verstehst du, die Mädchen „kommen“!“ Er lachte glucksend, als ob er einen besonders intelligenten Witz gemacht hätte. Sie standen auf dem nassen Kopfsteinpflaster vor dem Gentlemen’s Club, bereit weiter zu ziehen. Es war noch relativ früh und trotzdem hätte man vom Alkoholpegel der Gruppe her auf vier Uhr in der Früh schließen können. Jacob wand sich peinlich berührt. Sie wollten der große Stolz ihrer Eltern sein, bereit, die führenden Unternehmen des Königreichs zu leiten, Verantwortung für hunderte von Mitarbeitern und die wirtschaftliche Blüte Englands zu übernehmen? Wenn er sich Connor und die anderen ansah, hatte er da so seine Zweifel.

      „Und Connor hat für seine Freunde was wirklich… wasss wirklich! ... besonderes ausfindig gemacht“, lallte dieser weiter. „...lasst euch überraschen. Gentlemen...“ Er winkte fahrig zum Aufbruch. Sie hielten zwei Droschken an und die acht Männer verteilten sich lachend und derbe Witze reißend darauf.

      Die Droschken fuhren nicht in die übliche Richtung, in der die gehobenen Bordelle lagen. Im Gegenteil wurde die Gegend immer schäbiger. Jacob schaute zu Thomas hinüber. Auch der hatte es bemerkt und erwiderte den fragenden Blick schulterzuckend.

      Schließlich hielten sie vor einem baufälligen Gebäude, an dem die rote Laterne keinen Zweifel in Bezug auf die Nutzung der Räumlichkeiten ließ.

      Jacob sah seine Befürchtungen bestätigt. Connor hatte sich eines der billigsten Bordelle ausgesucht. Jacob betrat diese aus Prinzip nicht, denn er wusste, dass die Damen hier nicht für gutes Geld, sondern in der Regel unfreiwillig ihrem Gewerbe nachgingen, und dass so mancherlei Abscheulichkeit angeboten wurde. Er wollte dieses System von Unterdrückung und Abhängigkeit nicht noch fördern. Außerdem – wer wusste schon, was man sich neben der Syphilis hier noch so alles als Souvenir mit nach Hause bringen konnte. Auch Thomas schien unangenehm berührt.

      „Ich bin raus“, flüsterte Jacob ihm zu, während die anderen durch die Tür verschwanden.

      „Ach, komm schon, wir nehmen einen Absacker, und wenn wir davon nicht blind werden“, versuchte Thomas zu scherzen, „dann trollen wir uns.“

      „Nein danke, ich habe wirklich genug“, gab Jacob zurück.

      „Gut, wie du meinst. Ich geh‘ noch kurz mit rein. Aber wirklich nur auf ein Gläschen, wer weiß, was da drinnen alles lauert.“ Thomas schüttelte sich. „Wir sehen uns morgen.“

      „Ja, bis morgen, und sei vorsichtig!“ Jacob kam sich vor, wie eine alte Gouvernante, die ihren Schützling entließ. Er drehte sich kopfschüttelnd zur Droschke um, aber die fuhr ihm gerade vor der Nase davon. Nun stand er hier irgendwo im East End, der dunkelsten Ecke der Stadt, und wusste nicht genau, wie er nach Hause kommen sollte. Na, großartig! Ein krönender Abschluss für einen verschwendeten Abend. Er fluchte laut. Er hatte schon gewusst, warum er keine große Lust auf die heutige Unternehmung verspürt hatte. Er schlug den Kragen höher und machte sich dann etwas zögerlich auf in die Richtung, aus der die Droschke gekommen war. Er verfluchte Connor, den alten Dummkopf, dass dieser ausgerechnet ein Bordell im East End ausgewählt hatte, keine Adresse für einen als solchen erkennbaren Gentleman. Mit einem Mal war er wieder völlig nüchtern. Nun konnte er nur hoffen, dass er heil nach Hause kam, ohne seiner Brieftasche beraubt zu werden. Die gleiche Sorge hatte er um die Gruppe, aber die waren immerhin mehrere. Glücklicherweise waren aufgrund des Wetters wenige Menschen unterwegs.

      Er richtete den Blick starr auf den Boden und versuchte so selbstsicher und zielstrebig wie möglich zu laufen, was schwierig war, wenn man nicht wusste, wo man hinwollte.

      Die Straßen waren unglaublich schmutzig und voll mit allerlei Unrat. Er mied die engen Gassen und blieb auf der Straße, die wie eine Art Hauptstraße anmutete. Sein Herz schlug bis zum Hals. Was, wenn ihn jemand überfallen würde? Erpressen? Entführen? Er verbot sich jeden weiteren Gedanken und lief einfach weiter. Es hatte wieder zu regnen angefangen. Er verwünschte Connor, er schimpfte auf Thomas, der ihn überredet hatte mitzukommen, und er ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht einfach abgelehnt hatte. Nun war er um diese Uhrzeit mutterseelenallein in dieser heruntergekommenen Gegend unterwegs!

      Nach etwa einer viertel Stunde rumpelte eine Droschke an ihm vorbei, aber er traute sich nicht, sie durch lautes Rufen zum Stehen zu bringen, aus Angst, aufzufallen. Das Winken schien der Kutscher nicht gesehen zu haben. Vielleicht hatte er aber auch nicht anhalten wollen.

      Die Gegend war mittlerweile geringfügig weniger verkommen. Das ließ Jacob hoffen, dass er bald bekannte Gefilde erreichen würde oder zumindest eine Stelle, an der häufiger eine Kutsche vorbeikäme.

      Er sah eine dunkle Gestalt auf der anderen Straßenseite, die gegen den Regen in ein Cape aus schwerem Stoff gehüllt war. Sie hielt etwas an die Brust gedrückt, wie um es gegen den Regen zu schützen. Kurz hob er den Blick, um die Gefahr eines Angriffs abzuschätzen, sah dann aber erleichtert, dass es sich um eine schmale Person handelte, eine Frau, der er körperlich überlegen sein musste.

      Die Person hatte ebenso kurz aufgeschaut und schien ihn für einen Moment zu mustern. Er senkte schnell die Augen auf das schmutzige Pflaster. Wer wusste schon, was das für eine Gestalt war, Bettlerin oder Verrückte, man konnte nie wissen.

      Er spürte den Blick der Frau auf sich, als sie sich einander näherten.

      Zu seinem Entsetzen hörte er, wie die Person die Schritte verlangsamte und ihn dann ansprach. Hektisch beschleunigte er seinen Gang, bis er seinen Namen hörte, ausgesprochen von einer vage bekannt klingenden Stimme. Er drehte sich um, erkannte aber nicht, wer es war und hatte Angst, dass dies vielleicht eine Falle sein könnte. Gleich darauf schimpfte er sich aber selbst, dass er Gespenster sah, denn die Person schlug die Kapuze zurück und zu seiner großen Erleichterung, ja Freude fast, erkannte er das Dienstmädchen, Eleonore, über die er sich heute Nachmittag noch so amüsiert hatte.

      „Mr Bradford?“, fragte sie erneut, ungläubig, ihn hier zu sehen. „Sind Sie wahnsinnig?“, entfuhr es ihr. Als ihr aufging, wie unangemessen diese Anrede war, beeilte sie sich zu sagen: „Entschuldigen Sie, Sir!“

      Er gab zurück: „Nein, nein, nur zu, dasselbe habe ich mich auch schon gefragt.“

      „Sie können hier doch nicht einfach herumspazieren als ob... als ob... als ob Sie im heimischen Garten lustwandeln. Das ist Whitechapel! Sie müssen froh sein, dass es regnet, das hält selbst das Gesindel im Trocknen.“ Sie sah sich hektisch um.

      „Aber Sie sind doch auch noch unterwegs, Eleonore?“ Jacob bemerkte sorgenvoll, dass sie äußerst nervös wirkte. War die Lage denn wirklich so ernst? Aus einer der Seitengassen kamen zwei dunkle Gestalten, sie torkelten wie Betrunkene. Ohne lange zu fackeln, griff Eleonore Williams mit einer Hand seinen Arm und zog ihn in die Richtung, aus der sie gekommen war, weiter. „Kommen Sie, wir können hier nicht stehen bleiben“, zischte sie, „das zieht nur die Aufmerksamkeit auf uns.“ Mit dem freien Arm hielt sie immer noch etwas eng an ihre Brust gedrückt.

      „Hören Sie mir genau zu, und schlagen Sie um Gottes Willen den Kragen wieder hoch, damit man ihr Gesicht nicht erkennt.“ Sie selbst hatte die Kapuze gleich nachdem sie sich ihm zu erkennen gegeben hatte, wieder tief ins Gesicht gezogen. „Ich kann mich relativ frei bewegen, man erkennt mich als jemanden von hier, bei mir ist nicht viel zu holen. Aber bei Ihnen, da reicht ein Blick auf die Kleidung und Ihre Art zu gehen und alles ist klar.“ Vorwurfsvoll sah sie ihn an. „Was machen Sie überhaupt hier?“

      Er war froh, dass sie nicht sehen konnte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. „Ach, ein Missverständnis und dummer Zufall“, gab er schwach zurück. Eleonores energische Art beeindruckte ihn. Sie bewegte sich auf sicherem Terrain, dabei war er doch der Gentleman und sie gehörte dem vermeintlich schwachen Geschlecht an…

      Sie sah sich hastig um und beschleunigte ihre Schritte. „Jetzt machen Sie genau, was ich sage“, raunte sie ihm zu, nur um dann im nächsten Moment schrill und mit verstellter Stimme aufzulachen