- Das sind rund viertausend Euro. Ich benötige davon lediglich einige kleinere Scheine für eine Taxifahrt zum Flughafen. Der Restbetrag sollte wohl ausreichen, um einen Bootstransfer zu organisieren. Sobald ich mich wieder in Amsterdam aufhalte, überweise ich Dir 10‘000 Euro als Erfolgsprämie auf ein Konto. Dieser Bonus hilft über Gewissensbisse hinweg.
Hans lenkt ein. Dieses Umdenken liegt aber nicht an der Bestechungssumme.
- Ich werde euch beiden ohne Gegenleistung dabei behilflich sein, das Land vor der Entdeckung des Leichnams zu verlassen. Dieser Gefallen geschieht aus einem einzigen Grund. Ich kann mir äußerst rüde Reaktionen seitens der Polizei und Justizbehörde durchaus vorstellen, und möchte aufreißerische Berichterstattungen in den Medien vermeiden. Letzteres dient ebenfalls zum Vorteil meines Arbeitgebers.
Der Reiseleiter greift nach einem Fünfhunderteuroschein.
- Damit werde ich Euch ein Schiff und einen verschwiegenen Kapitän besorgen. Machen Sie sich für eine baldige Abreise bereit, in spätestens einer Stunde legt Darko unten am Steg an.
Ohne weitere Erklärungen verlässt Hans den Raum, um Darko Zebec aufzusuchen. Der Eigentümer eines direkt vor seinem Haus ankerndes Kabinenmotorbootes, welches den Namen der Jungfrau Maria am Bug trägt, wohnt gute 400 Meter von Hotel Lafodia entfernt. Während der Sommermonate bietet der Kroate individuelle Tagesausflüge oder Schnorcheltouren zur Nachbarinsel an. Unberührte Strände mit einem Fisch-Barbecue auf Sipan zu kombinieren, dieses Angebot ist bei den Urlaubern sehr beliebt. Hans erwähnt diese alternative Ausflugsmöglichkeit während seiner Informationsveranstaltungen. Als Gegenleistung lädt ihn Darko gelegentlich an seinem freien Tag zu einer Privattour ein. Sie lösen Austern mit einem scharfen Messer von Unterwassersteilwänden ab, und verzehren die Köstlichkeitem unter Hinzugabe von Zitronensaft. Gekühlten Posip-Weißwein und frisches Weißbrot steuert der Reiseleiter bei.
Darko erschrickt fürchterlich, als ihn zwei Hände wachrütteln. Nach einem extrem derben und absolut nicht jugendfreien Fluch wechselt der Kroate auf die deutsche Sprache über.
- Was fällt Dir ein, mich inmitten der Nacht zu überfallen? Ist ein neuer Krieg ausgebrochen?
Leicht angeschwollene Augen erblickenden einen verführerisch entgegen gehaltenen Geldschein. Darko betastet die extrem seltene Banknote geradezu ehrfurchtsvoll.
- Hat sich der Weihnachtsmann im Monat vertan?
Anstatt darauf eine Antwort zu geben, zieht der Vodic den Geldschein wieder an sich und schaltet zunächst die Deckenbeleuchtung ein. Darko verzieht angewidert das Gesicht. Grelles Licht und Alkohol vertragen sich einfach nicht. Wenigsten so lange nicht, bis er erfährt, was der Holländer von ihm will.
- Du darfst dich als glücklicher Besitzer dieser Geldnote fühlen, falls Du innerhalb von 30 Minuten in der Lage bist, ein holländisches Ehepaar nach Dubrovnik überzusetzen, ohne dabei nach einem Grund zu fragen. Folgende Kurzinformation muss dir dazu genügen. Ein Landsmann von mir muss innerhalb weniger Stunden ein Geschäft abschliessen, bei welchem weit mehr als 500 Euro auf dem Spiel stehen. U redu?
- Odlicno. Du kannst wie immer voll auf mich zählen. Gewähre mir lediglich fünfzehn Minuten. Eine kalte Dusche wird meinen vernebelten Kopf aufklaren, und der flaue Magen benötigt türkischen Kaffee mit extra viel Zucker. Und das ist zugleich deine Aufgabe. In weniger als einer halben Stunde erwartet die Santa Maria zwei Passagiere an der Anlegestelle.
- Dobro.
Hans setzt nur den Kaffee auf und eilt umgehend zum Hotel zurück. 20 Minuten später hilft er einem erleichterten Ehepaar, das Gepäck lautlos bis zum Kai runterzutragen. Es herrscht absolute Totenstille. Der theoretisch diensttuende Nachtrezeptionist liegt in unveränderter Position auf dem Fußboden des Hotelzimmers, und das Küchenpersonal erscheint niemals vor 5 Uhr 30, um mit den Frühstückszubereitungen zu beginnen. Antje Van Breugelen hat derweilen ein optisches Wunder vollbracht. Ihr zuvor verheultes und totenbleiches Gesicht hat wie durch Magie das Aussehen eines Fotomodells erlangt.
Darko legt ohne den Einsatz der Scheinwerfer an. Peer van Breugelen hat derweilen von Hans Spruit erfahren, das man auf die absolute Verschwiegenheit des Kapitäns zählen könne. Der Kroate betreibe sein Gewerbe ohne Konzession, zahle somit keine Steuern und vermeide jeden Kontakt mit der Polizei und Behörden. Während Darko die Gepäckstücke einzeln in der Kombüse verstaut, bittet van Breugelen seinen Reiseleiter, ihm die Privatadresse in Holland auf einen Notizzettel zu schreiben. Der Manager möchte sich in ein paar Tagen für die geleistete Hilfestellung großzügig erkenntlich zeigen. Und zusammen mit einem kräftigen Händedruck verkündete Peer, seinen Landsmann ab sofort als Freund zu betrachten.
Antje Van Breugelen verschwindet direkt in der kleinen Kabine und blickt nicht eine Sekunde lang zurück. Darko schiebt vorsichtig den Gashebel nach vorn und steuert langsam zum anderen Ende der Bucht, um die Abreise zur extrem frühen Stunde nicht durch unnötigen Motorenlärm zu verraten. Er glaubt kein Wort hinsichtlich des Motives für den nächtlichen Transfer. Der Reiseleiter werde seine Gründe für diese Geheimnistuerei haben. Letztendlich interessiert ihn nur, dass die Fünfhunderternote echt ist.
Hans befindet sich derweilen auf dem Weg zum Restaurant. Vorm Haupteingang stehen vierrädrige Servierwagen, auf denen normalerweise Getränkekisten, Lebensmittel, Geschirr und Gläser transportiert werden. Einen bedeckt er mit mehreren Tischdecken und schiebt den Wagen zum Aufzug. Der Multitransporter rollt lautlos zum Zimmer der Van Breugelens. Es verlangt etwas Kraftanstrengung, um den Leichnam auf die Ladefläche zu hieven. Mit Schnürbändern des Toten bindet Hans die Beine und Arme am Körper fest. Die Extremitäten dürfen keinesfalls unter den Tischtüchern hervorragen. Diese Vorsichtsmaßnahme erweist sich als überflüssig. Niemand geistert durch die Hotelgänge.
Seine eigene Unterkunft stellt das sicherste Versteck dar. Er legt regelmäßig Reservationslisten auf dem Fußboden aus, um die Beförderung der Urlauber zwischen der Insel und dem Festland zu planen. Und deswegen betritt das Zimmermädchen niemals den Raum ohne seine ausdrückliche Aufforderung.
Duzko, Rezeptionist der Frühschicht, trifft den Nachtportier überraschenderweise nicht hinter der Rezeption an. Der Bosnier entschuldigt die Abwesenheit mit dessen anstrengender Doppelbelastung. Langsam scheint die Geldgier von Josipe ihren Tribut zu fordern. Tagsüber eine Konoba zu bewirtschaften und während der Nachtstunde hinter der Rezeption zu verweilen, diese Doppelschicht kann nicht spurlos an einem vorübergehen. Sicherlich hat sich der Nachtportier während des letzten Rundganges kurz in einer ruhigen Ecke ausruhen wollen. Sobald die Zimmermädchen die Staubsauger einschalten, wird es mit dem Erholungsschlaf auch schon vorbei sein.
Gegen 11 Uhr wundert sich eine Kellnerin, dass mehrere Tischdecken verschwunden sind.
Urlauber, welche im Verlauf des Tages vor der Konoba von Josipe stehen, stellen mit Bedauern fest, dass die Gartenterrasse nicht geöffnet ist. Offensichtlich hat der Nachtportier beschlossen, einen Ruhetag einzulegen. Die Leute suchen ein anderes Privatrestaurant auf, dort schmeckt der Wein aber nicht ganz so lecker. Sie ahnen nicht, dass Josipe lediglich eine Rotweinsorte im Keller einlagert, obwohl drei Qualitätssorten auf der Schiefertafel angepriesen werden. Trocken, lieblich oder süß. Entsprechende Zuckerlösungsmengen stellen sein streng gehütetes Geheimnis dar. Norddeutschen und Holländern mundet die etwas teurere Spätlese. Seine Ehefrau hat ihn nicht wegen Weinpanscherei verlassen. Unzählige Frauengeschichten stellten den Grund dar.
Die Abwesenheit des Nachtportiers zieht um 22 Uhr eine erste Konsequenz nach sich. Dube wählte mehrmals vergeblich die private Telefonnummer von Josipe. Ihr Kollege hat zwar den Ruf eines unentwegt anbaggernden Schürzenjägers weg, aber in Bezug auf Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit bei der Arbeit kann man sich auf ihn verlassen. Bisher ist er kein einziges Mal verspätet zur Ablösung im Hotel erschienen. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als mit einem Filzstift eine Nachricht für die Hotelgäste zu verfassen und klebt das Blatt mit Tesafilmstreifen auf den Tresen. In englischer und deutscher Sprache wird darum gebeten,