Beide wissen, dass Mitglieder der Oberschicht niemals die Dienste des deutschen Reiseveranstalters in Anspruch nehmen. ‚Neckermann machts möglich‘, mit diesem Slogan spricht man eine lediglich eine Kundschaft an, welche nicht über prall gefüllte Brieftaschen verfügen. Im Kroatienkatalog werden fast ausschließlich nur Hotels aus dem Zwei- und Dreisternebereich angeboten. Dube fokussiert derweilen den Blick auf das ungewöhnliche Paar. Ein spezielles Kleidungsstück hat es ihr besonders angetan.
- Die hiesigen Nachttemperaturen kühlen in diesem Monat schon etwas ab, aber eine Edelpelzjacke halte ich für überzogen! Sieh nur, was für ein Luxus die Schultern der feinen Dame ziert.
Hans hat keine Ahnung, welches arme Tier dafür sein Leben lassen musste. In jedem Fall erscheint ihm eine Stola vollkommen deplatziert. Die Pelzträgerin stolziert in High Heels die Treppenstufen herauf. Ein Anblick, welcher ihn tatsächlich an die Glimmerwelt von Filmfestspielen erinnert. Derartige Anlässe kennt Hans lediglich vom Fernsehschirm her. Die Rezeptionistin kommentiert das Herannahen des Paares ganz im Stil einer Klatschreporterin.
- Die Schultern der Diva in einem himmelblauen Abendkleid aus Seide des Hauses Dior bedeckt eine elegante Zobelstola von Révillon. Ihr etwa 45-jähriger Begleiter trägt einen Smoking von Karl Lagerfeld.
Das ungewöhnliche Paar wirkt dabei selbstsicher. Sie ist maximal Anfang 30, und er mindestens fünfzehn Jahre älter. Gold und mehrere Karat funkelt in der Abendsonne, Blitzlichtgewitter setzt nicht ein. Sie vernehmen auch kein Jubel wartender Fans. Gekreische hungriger Möwen hallt stattdessen durch die Abendluft und Einheimische nahe der Anlegestelle trauen ihren Augen nicht. Der Gepäckträger des Hotels rennt tatsächlich mit zwei Koffern in den Händen die Treppenstufen hinauf. Normalerweise vermeide Mirko doch jede unnötige Anstrengung. Welche Trinkgeldhöhe hat ihn wohl zu dieser Höchstleistung gedopt?
Hans begibt sich an den Arbeitstisch zurück und öffnet etwas verunsichert den Aktenkoffer, um die Transferliste der letzten Ankunft zu konsultieren. Darauf wird ein Ehepaar aufgeführt, welches nicht im gebuchten Charterflugzeug aus Amsterdam anreisen konnte. Gemäß telefonischer Anweisung aus der Zentrale muss deren Unterkunft auf unbestimmte Zeit blockiert bleiben. Es kann doch nicht sein, oder ...
- Dube erwartest das Hotel heute noch irgendwelche Ankünfte?
Die Rezeptionistin verneint dies kategorisch. Sein sechster Sinn veranlasst ihn, sich schleunigst zu erheben, um die neuen Gäste bereits am Hoteleingang abzufangen.
- Guten Abend. Habe ich die Ehre, das Ehepaar Van Breugelen mit etwas Verspätung auf Lopud willkommen zu heißen?
- Dem ist so, und wir hoffen, unsere Unterkunft wurde mittlerweile nicht anderweitig belegt.
Hans ist mit sich zufrieden. Auf seinen beruflichen Instinkt ist Verlass. Dube muss kräftig durchatmen, während die van Breugelens ihre Personalien auf den Anmeldeformularen eintragen. Die anschließende Information lässt den Reiseleiter ebenfalls um Fassung ringen.
- Eine unvorhergesehene Terminüberschneidung hat es uns am Dienstag verunmöglicht, wie ursprünglich geplant im Charterflugzeug anzureisen. Dank des Einsatz des Firmenjets können wir wenigsten ein paar Urlaubstage auf Lopud genießen.
Der Rezeptionistin fällt der Zimmerschlüssel aus den Hand, und der Reiseleiter muss eine noch weitere Überraschung verkraften, ohne ein allzu erstauntes Gesicht zu machen.
- Sie können bereits unseren Rückflug nach Amsterdam stornieren. Am Ende unseres Urlaubs werden wir im Learjet direkt nach London weiter fliegen.
Zu seiner eigenen Überraschung verschlägt es Hans nicht die Sprache.
- Sobald Sie mir die Abflugzeit mitteilen, werde ich mich um den Transfer zum Flughafen kümmern.
- Ihr Angebot ist gut gemeint, aber mein Assistent in Den Haag hat sich bereits um diese Detail gekümmert.
Dube ist lediglich in der Lage, den Zimmerschlüssel kommentarlos in die ausgestreckte Hand des Kofferträgers zu legen, während Hans die beiden Urlauber auf seiner Liste abhakt. Später muss er noch auf dem Wochenrapport noch vermerken, dass beim nächsten Abflug zwei frei Plätze nach Amsterdam zur Verfügung stehen. Zuvor kommt er der Verpflichtung als Reiseleiter nach.
- Boschko begleitet Sie nun zu ihrem Zimmer. Falls Sie Hilfe oder Informationen benötigen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Es werden immer noch interessante Ausflüge auf dem Festland angeboten, meine Sprechstundenzeiten stehen auf der Anschlagtafel. Ich wohne übrigen ebenfalls im Hotel Lafodia. Für einen Notfall verrate ich ihnen meine Zimmernummer. Es ist die 234. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und einen guten Appetit. Das Restaurant ist noch bis 22 Uhr geöffnet.
- Danke Hans. Wir wollen lediglich etwas ausspannen und die Natur genießen. Meine Ehegattin hat die Insel bereits vor einem Jahr besucht, und ist deswegen noch mit den örtlichen Gegebenheiten weitgehend vertraut. Ich habe eine kleine Aufmerksamkeit für Sie.
Peer van Breugelen steckt dem Reiseleiter etwas Glitzerndes in die Brusttasche. Während die van Breugelen den Fahrstuhl benutzen, betrachtet Hans das Geschenk und es gelingt es ihm nicht, seine Enttäuschung zu verbergen. Es handelt sich um einen hundsgemeinen Kugelschreiber. Auf diesen Kommentar hin springen Dube schier die Augen aus der Orbita.
- Hast Du überhaupt eine Vorstellung, welchen Wert so ein edles Schreibgerät besitzt?
Hans zuckt mit den Schultern, und die Rezeptionistin flippt beinahe aus.
- Ich müsste einen halben Monatslohn für dieses Juwel aufbringen!
- Somit gehört er dir. Und gebe dein sauer verdientes Geld für vernünftigere Dinge aus.
Hans überreicht der verdatterten Rezeptionistin den Luxusartikel, denn Statussymbole jeder Art liegen nicht überhaupt auf seiner Wellenlinie. Einen Kugelschreiber wird er, wie viele andere zuvor, irgendwo liegen lassen. Deshalb zieht er es vor, eine dem Konsum verfallene Kroatin zu beglücken. Dube freut sich wie Kind an Heiligabend. Ihr Weihnachtsmann muss sie zunächst aus dem Freudentaumel zurückholen.
- Frau van Breugelen hat ihren Schminkkoffer neben der Rezeption stehen lassen.
Die Rezeptionistin kratzt sich zunächst am Hinterkopf.
- Könnest Du bitte kurze Zeit meinen Platz einnehmen?
Der Reiseleiter nickt, und macht sich hinter der Rezeption daran, die Endabrechnung der monatlichen Ausflugsverkäufe zu beenden. Bis ihn Dube ablöst, nimmt er lediglich zwei Zimmerschlüssel entgegen. Es ist Abendessenszeit, und Urlauber wollen keineswegs auf ihre Vollpensionsleistung verzichten.
Strahlenden Augen der Rezeptionistin verraten ihm, das erhaltene Trinkgeld hat ihre Erwartung sogar übertroffen. Als Beweis wedelt sie mit einem druckfrischen 20-Euroschein vor ihrem Gesicht herum. Und dazu ist sie stolze Besitzerin eines Lombard Kugelschreibers aus Gold und Silber. Diesen Glückstag wird sie so schnell nicht vergessen.
Stunden später denkt Hans Spruit dasselbe, aber nicht aus einem positiven Grund heraus.
*
Das Anklopfen an seiner Zimmertür entstammt keiner Traumfantasie. Was besagt der Blick auf den Radiowecker? Um 3 Uhr in der Früh wird wieder einmal ein besoffener Urlauber die eigene Zimmernummer oder sogar das Stockwerk verwechselt haben. Entsprechend grimmig schlurft Hans zur Tür und holt tief Luft. Den elenden Störenfried wird er gehörig zusammengestauchen. Doch als er durch die Türspalte späht, bleibt ihm der Anschiss im Hals stecken. Was will Peer Van Breugelen im Schlafanzug und mit wutentbranntem Gesichtsausdruck von ihm. Der Anblick verheißt nichts Gutes und sein Landsmann hält sich nicht erst lange mit einer Entschuldigung für die Störung auf. Ein Manager kommt direkt zur Sache.
- Kleiden sie sich umgehend an und folgen Sie mir leise zu meinem Zimmer.
Ansonsten gibt er keine Erklärung hinsichtlich des Grundes seines